Stephanie Bart - Deutscher Meister

  • Die grauenvolle Zeit des III. Reiches - zahlreiche Gedenkveranstaltungen, Mahnmale und Rückblicke erinnern uns immer wieder an diese entsetzliche Zeit, sodass Manche das Gefühl haben, dass doch schon längst alles gesagt sei. Doch dieses Buch zeigt, dass dem bei weitem nicht so ist. Denn wer kennt Johann Trollmann?
    Erzählt wird die Geschichte dieses Boxers, der vermutlich den meisten am Boxen nicht so Interessierten bisher unbekannt geblieben ist. Er hatte einen für seine Zeit ungewöhnlichen Kampfstil (dem Muhammed Alis nicht ganz unähnlich), was den nationalsozialistischen Funktionären ein Dorn im Auge war. Doch dies war nicht sein größtes Handicap: Johann Trollmann war Sinto. Und die Aussicht, im nationalsozialistischen Deutschland einen Sinto im Halbschwergewicht als Deutschen Meister zu präsentieren, löste massives Entsetzen aus. So wurden nicht nur Kämpfe, sondern auch die Presse manipuliert - und alle machten mit. Doch Trollmann ließ sich nicht so einfach unterkriegen...
    Aber es nicht nur seine Geschichte, die hier erzählt wird. In kurzen Sätzen und Abschnitten wird vom Leben vieler Anderer aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten berichtet, woran ich mich erst einmal gewöhnen musste. Denn zu Beginn wirkten die plötzlichen Wechsel zwischen den Personen eher irritierend. Doch je mehr ich mich darauf eingelassen habe, desto mehr hielt mich dieses Buch gefesselt. Ich hatte das Gefühl, ich stehe mitten im Publikum und nehme all diese Momentaufnahmen wahr, die die Autorin in kurzen und teils auch schnoddrigen Sätzen (typisch berlinerisch ;-) ?) beschreibt. Herrlich auch ihre subtile Ironie, wenn sie über den Ersten Vorsitzenden des Verbands der Deutschen Faustkämpfer schreibt, der ein Mitläufer ersten Ranges ohne Rückgrat ist und das ganze Buch hindurch namenlos bleibt.
    Alles in allem entsteht so ein eindringliches Bild dieser Zeit, das das immer stärker werdende Durchdringen aller Gesellschaftsbereiche durch die Nationalsozialisten beeindruckend darstellt. Sehr sehr lesenswert, auch wenn es ein bisschen Mühe kostet. Und selbst das Boxen wird einem nahe gebracht ;-)

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Auch wenn ich nicht der unbedingte Boxfan bin, manche Kämpfe habe ich mit Interesse verfolgt, Mike Tysons Biografie habe ich mit Begeisterung gelesen und so lag es für mich nicht fern, meine Aufmerksamkeit auf diesen Teil deutscher Boxgeschichte zu richten.


    Johann Rukelie Trollmann war mir vor der Lektüre dieses biografischen Romans vollkommen unbekannt. Die Autorin brachte mir mit ihrem Buch aber den Boxer und den Menschen Trollmann sehr nahe. Sie beschreibt ihn als facettenreichen Mann, talentierten Boxer, Frauenschwarm und großen Publikumsmagneten. Aber er war auch Sinto und das kostete ihn erst den Deutschen Meistertitel im Mittelgewicht und zuletzt auch noch das Leben. Ich hätte gern noch mehr über diesen Boxers erfahren, der für die damalige Zeit eigenwillig boxte und so gar nicht ins nationalsozialistische Bild eines deutschen Sportlers passte.


    Obwohl sich Stephanie Bart in diesem Roman auf nur drei Monate im Leben des Johann Trollmann beschränkt, ist ihr mit diesem Roman ein sehr komplexes Werk gelungen. In dieser kurzen von ihr betrachteten Zeitspanne schafft sie es, ein gutes und untermauertes Zeitbild zu zeichnen, in dem deutlich wird, warum Johann Rukelie Trollmann im Ring nicht nur gegen seinen Gegner, sondern auch gegen ein politisches System kämpft. Die SA-Schergen stehen nicht nicht nur am Ring, sie wollen dieses Rassenproblem lösen und beeinflussen das Geschehen. Sprachlich so gut es ging an Ort und Zeit angepasst, versteht sie es, die Aura dieses in Vergessenheit geratenen Sportlers wieder aufleben zu lassen und ihm ein Denkmal zu setzten.

  • Stephanie Bart - Deutscher Meister



    Seiten: 384
    ISBN: 978-3-455-40495-1
    Erscheinungsdatum: 12.08.2014



    Zahllose Sportlerinnen und Sportler waren im Europa des 20. Jahrhunderts von politischer Verfolgung betroffen. In erster Linie galt dies für faschistische Staaten, doch auch in den (post-)stalinistisch verfassten Ländern wie in der Sowjetunion oder der DDR herrschte im Sport ein Totalitarismus, der Opportunismus belohnte und »Abweichler« bitter und folgenreich diskriminierte. Dieses Buch beschreibt die politische und rassische Opfer-Situation des deutschen Nationalsozialismus um den Boxer Johann Trollmann. Daneben werden Funktionäre und Sportler verwöhnt, die sich mit den jeweiligen Systemen arrangierten. Nicht nur die Geschichte, die Zahlen und Fakten finden sich in diesem Werk, sondern auch die Betrachtungsweise zwischen den Zeilen. Wahrhaft Eindrucksvoll und teilweise in zugleich bedrückender Weise wird der Leser an die Hand genommen und erlebt die Vergangenheit des Protagonisten; dessen Ängste, Verzweiflung und Hoffnung sowie das von ihm erfahrene und auch weitergegebene Unrecht. Bemerkenswert ist, dass die Autorin Bart , die Handlungen und die Persönlichkeit des Protagonisten nicht einseitig schönt, sondern durchaus eine kritische Betrachtung erfolgte.


    Zugleich wird es dem Leser ermöglicht, sich mit dem abscheulichsten aller Kapitel der deutschen Geschichte anhand der Lebensgeschichte Trollmanns zu befassen und dieses Kapitel für sich strukturiert durchzuarbeiten. Krieg und Verfolgung werden in diesem Buch ungeschönt wiedergegeben. Dennoch ist es ein Werk, dass dem Leser keine Unlust an der Aufarbeitung der Geschichte vermittelt. Ich für meinen Teil habe dieses Buch insbesondere dazu genutzt, mein Wissen über das Sportlerdasein im Naziregims zu vertiefen und nachzuempfinden.


    Zusammenfassend kann ich sagen, dass dieses Buch ein Stück Geschichte ist.

  • Hmmm, ich weiß, dass es zu diesem Buch schon Rezensionen gibt (u.a. auch eine von mir :wink: ). Wo sind die denn hin ?( ?

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Autor: Stephanie Bart
    Titel: Deutscher Meister
    Produkt-/Autoren/Inhaltsinformationen (Quelle AMAZON):
    Produktinformation:
    Gebundene Ausgabe: 384 Seiten
    Verlag: HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH; Auflage: EA, (12. August 2014)
    ISBN-10: 3455404952
    Autorenbiografie:
    Stephanie Bart, geboren 1965 in Esslingen am Neckar, studierte Ethnologie und Politische Wissenschaften an der Universität Hamburg. Seit 2001 lebt sie in Berlin. Für die Arbeit an Deutscher Meister erhielt sie das Stipendium des Deutschen Literaturfonds 2011 und 2012, für den Roman wurde sie mit dem Rheingau Literatur Preis 2014 ausgezeichnet
    Inhaltsangabe lt. Verlag:
    Ein virtuoser Roman und eine unglaubliche Geschichte.
    Berlin, 9. Juni 1933: Johann Rukelie Trollmann ist ein talentierter, unkonventionell kämpfender Boxer und charismatischer Publikumsliebling. Er steht im Kampf um die Deutsche Meisterschaft. Seinem Gegner ist er überlegen. Doch Trollmann ist Sinto. SA steht am Ring. Funktionäre und Presse tun alles, um seine Karriere zu zerstören und ihn endgültig auf die Bretter zu schicken.
    Stephanie Barts Roman "Deutscher Meister" führt ins Innerste der nationalsozialistischen Machtentfaltung und an ihre Grenzen.


    Meine Meinung zum Buch:
    Dieses Buch hat mich gleichzeitig sehr gut unterhalten und sehr betroffen gemacht, vor allem, weil es sich dabei um eine wahre Geschichte handelt, denn Trollmann lebte wirklich. Da er ein Sinto war, also den Sinti angehörte, durfte er keinen Erfolg haben; denn die Sinti und Roma galten bei den Nationalsozialisten als "Untermenschen" und wurden von den Machthabern im sogenannten "Dritten Reich" verfolgt. Auch er hat dieses "Reich" nicht überlebt, denn Johann Rukelie Trollmann wurde 1944 im Konzentrationslager Neuengamme erschlagen.
    Die Geschichte wird ansprechend erzählt, sachlich, ohne erhobenen Zeigefinger, ohne direkte Anklage und ohne Kitschige Tränendrück-Atmosphäre. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb kann man kaum unberührt von Trollmanns Schicksal bleiben.
    Im Gegensatz zu meiner Oma, die einst früh um 5 Uhr vor dem Fernseher saß, um Cassius Clay alias Muhammad Ali boxen zu sehen, spielte in meinem Leben dieser Sport nie eine bedeutendere Rolle. Trotzdem kam auch für mich als deshalb mit der Box-Szene weniger vertraute Leserin die Atmosphäre gut und glaubwürdig, ja sogar spannend herüber.
    5 Sterne

  • Deutscher Meister: So durfte sich Johann Rukelie Trollmann für kurze Zeit nennen. Wenige Tage im Juni 1933 war der Boxer Deutscher Meister im Halbschwergewicht. Trollmann pflegte einen leichtfüßigen, tänzelnden Boxstil, schäkerte mit dem Publikum, war Frauenschwarm, und zeigte sich im Ring so flink und intelligent, dass die meisten Gegner ihm nicht gewachsen waren. Doch Trollmann war auch Sinto und damit dem aufkommenden nationalsozialistischem Regime ein Dorn im Auge.
    Im Jahr 1933 macht sich der Verband Deutscher Faustkämpfer im vorauseilendem Gehorsam daran, „Säuberungen“ durchzuführen. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte: Weil dem jüdischen Boxer Erich Seelig der Meistertitel aberkannt wird, darf Trollmann endlich um die Meisterschaft boxen. Juden raus, Zigeuner rein: So ganz zur Zufriedenheit der Gesinnungsträger ist das natürlich auch nicht. Den Meisterschaftskampf gegen seinen schlecht vorbereiteten Gegner Adolf Witt gewinnt Trollmann. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, will der Boxverband den Kampf aber zunächst nicht werten. Großes Getöse, Schlüssel rasseln, Stühle fliegen, schließlich bekommt Trollmann doch noch den Titel samt Kranz und Gürtel, unter Tränen nimmt er an.
    Die Freude ist von kurzer Dauer, vier Tage später erkennt der Verband Trollmann den Titel aufgrund „armseligen Verhaltens“ wieder ab. Aber das reicht nicht, der Zigeunerboxer soll endgültig am Boden liegen.


    Stephanie Bart hat aus diesem Stück deutscher Geschichte spannende Literatur gemacht. Ihre verdichtete Biographie Johann Trollmanns konzentriert sich auf die drei Monate rund um den Meisterschaftskampf. Deutscher Meister ist aber mehr als nur ein Buch über das Boxen: Die ersten zwei Drittel nutzt Bart, um ein lebendiges Bild Berlins im Jahr 1933 zu zeichnen, eine vielfältige, internationale, queere Stadt, die vom Nationalsozialismus eingenommen wird. Der Blick ihres allwissenden Erzählers streift verschiedene Figuren, Bäckereifräulein, britische Expads, SS-Schläger, Boxfunktionäre, Presseleute, Boxkollegen, Trainer und Manager – unter anderem. Am Ring treffen sich alle wieder. Eine feine Ironie durchzieht das Buch, insbesondere in den Kapiteln, die aus Sicht des Ersten Vorsitzenden des Boxsportverbandes geschildert werden, eine Karikatur des realen Georg Radamms, die im gesamten Verlauf des Buches namenlos bleibt – wie einige andere Figuren auch.
    Den Meisterschaftskampf beschreibt Bart in Echtzeit, auf rund 80 Seiten, Schlag um Schlag um Schlag, eine herausragende Leistung, absolut mitreißend geschildert. Man fiebert mit Trollmann, der endlich um den Titel kämpfen darf, und hat gleichzeitig Mitleid mit dem so glasklar überforderten Witt, der in Grund und Boden geboxt wird.
    Ebenso intensiv wie über das Boxen schreibt Bart über SA-Säuberungsaktionen. Wer noch Hoffnung hatte, dass unter dem neuen Regime alles schon nicht so schlimm werde, wird im Sommer 1933 brutal eines Besseren belehrt. Den Abschluss des Buches bildet Trollmanns letzter Profikampf, abermals ein beeindruckendes Beispiel für Barts erzählerisches Talent und ihre sprachliche Kraft.


    Trollmann wurde erst späte Anerkennung zuteil: 2003 nahm der Bund Deutscher Berufsboxer e.V. ihn offiziell als Deutschen Meister im Halbschwergewicht auf.


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    "Selber lesen macht kluch."


    If you're going to say what you want to say, you're going to hear what you don't want to hear.
    Roberto Bolaño