Ivan Kraus – Réunions de famille/Rodinny sjezd

  • Original : Rodinny sjezd (Tschechisch, herausgegeben : 1996, geschrieben zwischen 1989/95)


    INHALT :
    Die neunzehn kurzen und betitelten Texte von Ivan Kraus formen eine wahre Schilderung durch die Geschichten und Erinnerungen der Eltern (insbesondere des Vaters) des Autors, Otto und Bozena, und eben Ivans selbst. Die ziemlich bewegte Geschichte der Familie wird dargestellt, angefangen Ende der 30iger Jahre mit der Inhaftierung des Vaters im KZ Auschwitz (und sein Überleben). Ivan wird seinen Vater erst als Sechsjährigen bei dessen Befreiung kennenlernen. So manche der Generation der Eltern wandern schon in dieser Zeit aus. Dahingegen wächst die Geschwisterschar Ivans langsam auf: Viere kommen noch hinzu. Doch 1968, der Prager Frühling und der Einmarsch der Sowjettruppen lösen erneute Exilierungen aus, und letztlich sind vier der fünf Geschwister in Kolumbien, den USA, Frankreich und Deutschland ! Auf den Familienfeiern werden verschiedenste Sprachen gesprochen, doch eines bleibt : die Nähe zur Heimat und eine tiefe Hommage an die Eltern !
    (Elemente aus: Editions Noir sur Blanc, auf Französisch; Behelfsübersetzung durch mich)



    BEMERKUNGEN :
    Vielleicht wird es hier und da in diesen Texten gar nicht dem fremden Leser so ganz klar, welche harten Wirklichkeiten hier angesprochen werden : Auschwitz, Trennungen, Exil, Versteckspielen mit dem Überwachungsstaat, der den braunen abgelöst hat, so dass man kaum den Unterschied ausmachen kann. Tatsächlich gehörte gerade die Tschechoslowakei zu einem der repressivsten Systeme.


    Doch all dies trifft nicht den unglaublichen Ton Ivan Kraus’ : wie hier sein Vater seine Lausbubenstreiche im Lager von Auschwitz erzählt und erinnert, oder wie man sich inmitten eines Schwimmbadbesuches über die « praktische Einrichtung von Zahlen am Unterarm » austauscht, zeugt von einer Art des jüdischen Galgenhumors, den wohl kaum ein Aussenstehender so wagen dürfte. Makabern makaber, aber auch welch ein Zeugnis des Überlebenswillens und des « savoir vivre ». Das Leben geht hier weiter trotz alledem.


    Seltsam und bewundernswert, wie sich diese « Untermenschen » in egal welchem Regime Freiheiten rausnehmen, die sie um einiges über den totalitären mittelmäßigen Bürokraten oder Folterknecht stellen. Absolute Weltklasse, würde ich dazu sagen, und jedes Lesens würdig !


    So nebenbei mag der ein oder andere, für den diese diktatorialen Zeiten ferne Vergangenheit sind, ein klein wenig erahnen, wie das so ablief : zB die Kodierungen von Briefen ins Ausland ; das Versenden von verbotenen und versteckten Artikeln in Paketen ; die allgegenwärtige Überwachung ; die Methoden von Verhören... So seh es einen dabei grausen mag schaffen es die Kraus’, uns dabei nicht so ganz die Hoffnung in den Menschen zu verlieren.


    Hut ab !!! Von mir gibt's: :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:


    Schaut man sich auf diversen Seiten (im Internet) um, liest man dieses Buch und die Liste der auf Tschechisch erschienen Bücher, Filme, Shows etc . Erahnt man, dass es hier bei Ivan Kraus noch einiges zu entdecken gebe ! Derweil sind auf Deutsch erste Bücher veröffentlicht (siehe Nationalbibliothek, unten), doch in anderen Ländern quasi gar nichts. Man kann gar nicht umhin sich zu fragen, wie viele Schätze noch unübersetzt hier und da auf uns warten...


    AUTOR :
    Ivan Kraus (* 1. März 1939 in Prag) ist ein tschechischer Puppenspieler, Schauspieler, Kabarettist, Schriftsteller und Drehbuchautor.


    Als Sohn von Ota Kraus und seiner Frau Božena wurde Ivan Kraus 1939 in Prag geboren. Jan Kraus ist sein Bruder. Nach dem Abitur 1957 studierte er internationales Wirtschaftsrecht. Als Schauspieler, Kabarettist und Puppenspieler trat er in kleinen Prager Theaterhäusern auf. Nach 1968 (Prager Frühling, bzw Invasion durch die Sowjetarmee) lebte er im Ausland. 1971 arbeitete er als Rundfunk- und Fernsehdrehbuchautor und Puppenspieler in Deutschland. Unter anderem inszenierte er die Kinderserie « Die Yxilon-Show ». 1976 zog er weiter nach Frankreich. Auch hier war er als Fernsehdrehbuchautor in Paris tätig. Anschließend lebte er in den USA, der Schweiz, Italien, England, den Niederlanden, Spanien, Portugal und Mexiko.


    Ivan Kraus schreibt Kurzgeschichten, Erzählungen, Satiren, Aphorismen und Fernsehdrehbücher. Seine Erzählungen behandeln Verhältnisse in Familien. Der traditionelle Familienbegriff wird dabei kombiniert mit grotesken und humoristischen Elementen sowie absurder Komik.


    Auszeichnungen :
    Allekopreis für Humor und Satire, Sofia
    Georg-Mackensen-Anerkennung (1976)
    Drehbuchpreise auf internationalen Filmfestivals in Philadelphia und Oberhausen
    Quelle : wikipedia.de


    WERKE (auf Deutsch erschienen) :
    - Nachmittag mit Schwan
    - Bitte, sei nicht verrückt
    - Das trocknet an dir
    - Das trocknet an dir fertig
    - Bitte, sei nicht verrückt, Schätzchen
    (siehe : https://portal.dnb.de/opac.htm…pleSearch&query=131848577 )


    Verlag: Les Editions Noir Sur Blanc (16. Februar 2006)
    Sprache: Französisch
    ISBN-10: 2882501714
    ISBN-13: 978-2882501714

  • Original: Rodinny sjezd (Tschechisch)


    Unknown Binding: 126 pages
    Publisher: Academia; Vyd. 2. (V nakl. Academia 1) edition (2000)
    ISBN-10: 8020003266
    ISBN-13: 978-8020003263

  • Der tschechische Humor ist schon ein ganz besonderer (dabei fällt mir ein: unbedingt mal wieder Miloš Formans tollen Film Der Feuerwehrball anschauen!).
    @tom leo: Wie schade, dass das Buch nicht auf Deutsch vorliegt, wo Deine Rezension einem den Mund doch recht wässrig machen kann. Jetzt heißt es wohl, langfristig die Augen im Buchhandel offen halten nach Ivan Kraus. Ein tschechischer Schwerpunkt auf einer der Buchmessen könnte helfen... Wie auch immer: mal wieder besten Dank für diese besondere Buchvorstellung. Französisch müsste man können ... :-,

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 54 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Everett "Erschütterung" (27.03.)

  • Danke für Deinen Beitrag, Jean.


    Der tschechische Humor ist schon ein ganz besonderer (dabei fällt mir ein: unbedingt mal wieder Miloš Formans tollen Film Der Feuerwehrball anschauen!).


    Ja, der tschechische Humor ist schon was! Wenn man da an die Haseks, Formans etc denkt... Im Moment entdecke ich parallel den Karel Capek. Auf ähnliche Weise total humorvoll, wenn auch nicht mit ganz so ernstem Thema. Rezi folgt noch! Von Capek wiederum liegt einiges auf Deutsch vor. Ebenso - gemäss der Nationalbibliothek - von Kraus, Ivan (allerdings nicht dieses Buch). Allerdings fand ich davon keine Spur bei amazon...
    Übrigens ist einer der Söhne von Milos Forman (Matei) Marionettenspieler und Szenarist. Würde mich nicht besonders wundern, dass die sich alle kennen...