Inhalt und Klappentext nach Buchumschlag: Im Mittelpunkt des Geschehens: Vater Leander, Kapitän eines kleinen Vergnügungsdampfers, mit schriftstellerischen Neigungen und nie um eine Lebensweisheit verlegen, Mutter Sara mit ihren Anfällen von damenhafter Tüchtigkeit und die beiden Söhne Beverly und Moses, die mehr schlecht als recht die amerikanischen Abenteuer des Erfolgs und Versagens zu bestehen haben. Alles in allem eine Familie, die mit standesgemäßen Scheuklappen über ihren drohenden Verfall hinwegsieht. „Die Geschichte der Wapshots", Gegenstück einer erhabenen Familienchronik, ist der mehrstimmige, moderne amerikanische „Don Quijote". Für diesen Roman wurde John Cheever mit dem National Book Award ausgezeichnet, für seine Stories erhielt er den Pulitzer-Preis. Einer der großen Klassiker des 20. Jahrhunderts endlich in neuer Übersetzung.
Da hier im Büchertreff Rezensionen über Bücher John Cheevers noch Mangelware sind, und ich mich überhaupt doch sehr über die hierzulande (gerade bei Hobby-Kritikern) eher verhaltene, verharmlosende oder im besten Fall wohlwollende Rezeption dieses leisen literarischen Riesen, dieses "Tschechows der Vorstädte", wundere, teile ich hier einmal meine Ansichten über die 2007 neu übersetzte "Geschichte der Wapshots", im Original von 1957 und früher auf deutsch als "Die lieben Wapshots" verbreitet. Wenn man sich im Netz nach Buchbesprechungen umschaut, findet man nämlich auch viel nur lauwarme Begeisterung. John Cheevers leichtfüßige Erzählweise legt es einigen Lesern anscheinend nahe, diesen Roman voller Geschichten, den ich für warmherzig, lebensklug und wahrhafte Erzählkunst halte, nur mittelprächtig zu finden. Skandal! Manche Leser scheinen die einfache, gradlinige Erzählweise, in der Konflikte nicht ausdiskutiert werden, die Verwendung klischeehafter Typenfiguren und vielleicht das Fehlen aufgebracht geäußerter Vorwürfe und Anschuldigungen, die die Figuren einander um die Ohren hauen, als Beleg dafür zu nehmen, es "nur" mit einem heiteren Familienroman zu tun zu haben.
Weit gefehlt: Zwischen der Tünche vordergründiger Harmlosigkeit und Alltäglichkeit lauert Verzweiflung an allen Ecken, während die Figuren doch nichts weiter wollen, als ihr Glück zu finden; Figuren, die hin und her geworfen werden vom Geschick oder den Umständen, und meist nicht verstehen, wie ihnen geschieht. Unterschwellig sich aufstauenden Groll gibt es kaum. Sind gegenwärtige Leser vielleicht so sehr an eine Dramatisierung des Lebens (dank Scripted Reality Dokusoaps, der Boulevardisierung von Nachrichten, der Emotionalisierung von Sportberichterstattung), so sehr an sich zuspitzende Konflikte, die brav gelernten Erzählschemata folgen, quasi also eine Fiktionalisierung des Alltags gewöhnt, so dass leisere, nicht überwürzte Erzählweisen ohne vordergründig ausgespielte Emotionen sogleich bieder, gedankenlos und unrealistisch wirken? Können viele Menschen Gefühle bei anderen etwa nur noch wahrnehmen, wenn sie ihnen lautstark entgegen gebrüllt werden? Solche Leser werden keinen Nutzen, kein Vergnügen aus diesem Roman ziehen!
Vielleicht bedarf es auch nur einer besonderen Empathie, um mit still leidenden Menschen, die ihr Leid nicht wie eine Auszeichnung vor sich hertragen, mitfühlen zu können, und um ihr stetiges Bemühen, ein gutes Leben zu führen, einer Erzählung wert zu finden. Man forsche einmal in seinem eigenen Werdegang danach, wie oft man etwa seinen Eltern selbstverliebte Vorwürfe machte oder im Angesicht unausweichlichen Schicksals zu einer tiefen Erkenntnis gelangte - und vergleiche es mit der Häufigkeit von Situationen, in denen einem, während sie sich ereignen, gar nicht klar war, es mit einem prägenden Erlebnis zu tun zu haben, mit Lebensabschnitten, die einem, obwohl eher von Vermeidung und Langeweile geprägt, tiefe Wahrheiten über das Dasein zu liefern imstande waren. Warum sollte es in Literatur, die sich realistisch und modern nennt, anders sein, als im Leben?! Interessant ist nicht nur das, was sich gut erzählen lässt!
Wundern muss ich mich auch über die oft zu findende Kritik des Bruchstückhaften, die Erzählung ergäbe kein geschlossenes Ganzes. John Cheever, Autor hervorragender Kurzgeschichten, würde als Romancier gewissermaßen versagen, was schon daran abzulesen sein soll, dass einige Figuren nach kurzer Romanhandlung einfach fallen gelassen würden. Anstatt als Erbsenzähler die Abweichung von der Erzählnorm als schriftstellerisches Versagen zu werten, sollte man lieber überlegen, was solche Leerstellen und Sprünge mit der Geschichte machen, was sie in einem offenherzigen Leser bewirken mögen, welche Bedeutung sie transportieren können. Die Geschichte des zunächst unbeteiligten Mädchens Rosalie beispielsweise, die eine Zeit lang mit der der Familie Wapshot verbunden ist, wird erzählt und beendet, als sie aus dem Leben der Wapshots verschwindet. Warum sollte ich als Leser fordern dürfen, dass Rosalie später im Roman noch eine handlungstragende Rolle zu spielen hat? Ist es nicht oft so, dass Menschen kommen und gehen, ohne dass ihre Bedeutung für das eigene Leben sofort klar benannt werden könnte? Sagt das nicht auch etwas über das Verständnis der Welt, die Bedeutung von Gemeinschaft und die Beschränktheit des Lebens aus? Sollte man das nicht genauso stehen lassen können, ohne es als Autor in ein fiktionales Schema pressen zu müssen?
Auch, dass etwa die Figur der Mutter Wapshot nur sehr beiläufig behandelt wird, sollte - auch wenn es vielleicht schade ist, nicht mehr oder Tiefgründigeres von ihr zu erfahren - nicht allzu schnell als Versagen des Romanciers gewertet werden, lässt sich daran, wenn man mag, doch auch ablesen, dass die Gesellschaft, in der der Roman spielt, kein Umfeld ist, in dem mittelalten Frauen viel Bedeutung beigemessen wird. Sarahs Einflussbereich endet mit dem Erwachsenwerden ihrer Söhne - und erstreckt sich höchstens auf Nippes und Vereinsarbeit. Frauen treten hier nur als reiche, spleenige Erbtanten, greise, mannhafte Patriarchinnen oder begehrenswerte junge Mädchen in Erscheinung. Die einseitige Ausgestaltung der Mutterfigur trägt also eine Bedeutung in sich, und sollte nicht als Mangel gelesen werden.
Wer diesen Worten etwas abgewinnen kann, bereit ist, sich auf einen vermeintlich harmlosen Roman einzulassen und ein Gespür für feine Zwischentöne hat, wird großartige Lesestunden mit den Wapshots verleben können. Was alle Figuren eint, ist, dass mit ihnen etwas geschieht, eher als dass sie aktiv ihr Leben gestalten; sie reagieren, verhalten sich. In diesem vorbestimmten Rahmen geht es ihnen um die kleinen Fluchten und das kleine Glück, dem die große Zufriedenheit schon folgen wird. Warmherzig im Ton, tiefgründig erzählte Wahrheitssuche, perfekter Stil und treffende Beschreibungen von außergewöhnlichen Beobachtungen bekannter Situationen, in wunderschönen Worten niedergeschrieben - ein Buch, das nahegeht und lange nachhallt!