Jeff Noon - Falling Out Of Cars

  • If you can read this sentence, this one fragile sentence, it means you're alive.


    Inhalt
    Marlene Moore wasn’t even sure why she accepted the job, except that it gave her the chance to just get in her car and drive -- to escape, to keep moving, to maybe find a destination for herself. Now she’s journeying around England, a land that turns stranger and more dreamlike the further she travels. Slowly, day by day, Marlene is falling prey to a sickness, a disease that seems to change the world around her. And the job itself turns out to be far more weird, and more dangerous, than she ever imagined. A road novel like no other, Falling Out of Cars explores a country, and a psyche, falling off the edge of reality.
    (Amazon.de)


    Der Autor
    Jeff Noon wurde 1958 in Droylsden am Rande von Manchester geboren und arbeitete zunächst im Buchhandel. Sein erster Roman, Gelb/Vurt, erschien 1993. In Großbritannien hat es das Buch über Nacht auf die Bestsellerlisten geschafft und wurde mit dem Arther C. Clarke Adward ausgezeichnet.
    Offizielle Webseite des Autors: metamorphiction.com/


    Meine Meinung
    In der Informationstechnologie und übertragen in den Sprach- und Kommunikationswissenschaften gibt es die sogenannte Signal to Noise Ratio. Diese beschreibt die Menge der tatsächlich nützlichen Informationen im Verhältnis zum allgemeinen Hintergrundrauschen. Jeff Noon hat aus dieser Theorie einen Roman gemacht und beschreibt, was passiert, wenn das Hintergrundrauschen überhand nimmt. Das Rauschen ist in Falling Out Of Cars zur einer viralen Infektion geworden. Es übertönt alles, lässt Sinneseindrücke langsam verschwinden, aber auch Erinnerungen; Informationsverarbeitung ist nicht mehr möglich, bald ist Denken nicht mehr möglich, Persönlichkeiten lösen sich auf. Durch diese Welt irrt Marlene Moore mit ein paar anderen Menschen im Schlepptau. Sie hat einen Auftrag bekommen, dessen Inhalt sie nicht immer im Gedächtnis hat und dessen Lösung sie in ihrem Auto quer durch Großbritannien treibt. Um sich selbst im allgemeinem statischen Rauschen nicht zu verlieren, um sich an den letzten Rest ihres Verstandes zu klammern, führt sie Tagebuch. Aus ihren Eintragungen ergibt sich der vorliegende Roman.


    Falling Out Of Cars stellt einige Herausforderungen an den Leser: Es gibt zwar eine übergreifende Handlung, diese wird aber nicht kontinuierlich erzählt. Marlenes Tagebuch ist ein fragmentarischer, dissoziierender Stream of Conciousness, der sich mal an die Gegenwart klammert, mal in die Vergangenheit abgleitet; ein verzweifelter Versuch, in einer Welt voller noise seine Persönlichkeit, sein Selbst zu wahren. Der mysteriöse Auftrag wird schließlich zum puren Selbstzweck, zum einzigen, was Marlene noch am Leben hält. Falling Out Of Cars ist ein Roman über kaputte Menschen, die durch eine kaputte Welt fahren. Es ist Noons kompositorischer Kunst zu verdanken, dass dies keineswegs so düster und hoffnungslos wirkt, wie es wirken könnte. Vielmehr entfaltet sich ein doppelbödiges Spiel, der Roman gleicht einem Spiegelkabinett, in dem ein Ereignis ein anderes reflektiert, in dem der Leser mühsam seinen Weg und die Wahrheit (falls es eine solche gibt) suchen muss. Vielleicht führt der Weg durch den Spiegel hindurch – denn Noon wäre nicht Noon, wenn sich nicht auch hier einige Anleihen und Referenzen zu Alice im Wunderland finden lassen würden.


    Wer gerne Bücher mag, die sich „schnell und einfach runterlesen lassen“ (das schlimmste Prädikat, das man einem Buch zuweisen kann, meiner Meinung nach), wer am Ende gerne Antworten erhalten möchte oder wer erwartet, dass ein Buch tatsächlich ein Ende hat – der sollte lieber die Finger von Falling Out Of Cars lassen. Alle anderen finden hier einen funkelnden kleinen Schatz, der zeigt, was man mit Sprache alles anstellen kann, wenn man einen spielerischen Umgang mit ihr wagt, wie Geschichten komponiert sein können, wenn man einmal den vorgegebenen Pfad von Anfang – Mittelteil – Ende verlässt. Alles löst sich auf, am Ende hat man nur noch – den Text.


    Fazit
    Ein feuchter Traum für Sprach- und Kommunikationswissenschaftler, ein durch und durch kaputtes kleines Buch, das sich als äußerst seltsame und seltene Schönheit entpuppt. Sowas muss man pflegen und liebhaben :)
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Ach Gottchen, das macht ja mal Lust aufs Lesen! Eine schöne Rezension! Ich kram wohl zunächst einmal "Alice im Automatenland" aus der zweiten Regalreihe wieder nach vorne :wink: und gönne mir alsbald einen schönen Cyberpunk-Sommer! :drunken:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 56 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)


  • Ich kram wohl zunächst einmal "Alice im Automatenland" aus der zweiten Regalreihe wieder nach vorne :wink: und gönne mir alsbald einen schönen Cyberpunk-Sommer! :drunken:


    Viel Spaß dabei :)
    Cyberpunk ist Falling Out Of Cars nun gar nicht mehr. Nicht einmal wirklich Science Ficion, da es mit Science nur sehr am Rande zu tun hat. Am ehesten noch Dystopie.