Inhalt:
Theodore Decker schildert die denkwürdigen Umstände, unter denen er als Zwölfjähriger seine Mutter verloren hat, nämlich bei einem Terroranschlag auf ein Kunstmuseum. Bei diesem für ihn so verwirrenden Ereignis macht er inmitten dieser tragischen Umstände die Bekanntschaft eines Mannes, die auf unvorhersehbare Weise auf sein späteres Leben großen Einfluss nehmen wird. Theo nimmt bei derselben Gelegenheit etwas ausgesprochen Wertvolles mit, was zwar nicht direkt über seine Lebenswege entscheiden, ihn aber all seine Jahre überschatten wird, bis zu einem Punkt, wo sich die Konsequenzen aus den unseligen Ereignissen vom Buchanfang zu einem Netz verdichten, das für Theo ernsthaft gefährlich wird.
Meine Meinung:
Ich habe meine Angaben zum Inhalt absichtlich extrem vage gehalten, weil Der Distelfink überwiegend von der Fülle der überraschend eintretenden Ereignisse zehrt. Der Klappentext, den ich glücklicherweise gar nicht erst gelesen hatte, beinhaltet für mich gleich mehrere Spoiler.
Ich hatte mich auf das Buch von Donna Tartt gefreut, da ich Die geheime Geschichte viele Jahre lang zu einem meiner Lieblingsbücher gezählt hatte. Auch in Der Distelfink stellte ich fest, dass Frau Tartt wirklich schreiben kann. An Ermangelung von atmosphärischen und detailreichen Schilderungen mangelt es diesem Buch nun wirklich nicht. Ebenso gibt es eine ganze Menge an Spannung, die die Autorin glücklicherweise zustande bringt, ohne zu Szenen mit Schmerzandrohung oder sonstiger Brutalität greifen zu müssen. Auch die Tatsache, dass Frau Tartt alles aufs Detaillierteste miteinander verflicht, ohne dass das Buch kompliziert zu lesen ist, hat mich erstaunt. Der Plot scheint durch und durch zu stimmen, ich zumindest konnte keine logischen Fehler entdecken. Ich betrachte es für einen Autor als eine gute Leistung, dass bei einem Buch mit solch einem detailreichen Plot alles schlüssig ineinander greift. Sogar die Auflösung der Problematik, die Frau Tartt gegen Ende extrem gesteigert hatte, passt, obwohl sie auf den ersten Blick zu einfach scheint.
Die Einfachheit in der Auflösung ist der Tatsache geschuldet, dass Boris aufgrund der mit seiner Lebensgeschichte polyglotter Kenntnisse die Lösung sehen kann, die sich Theodore nie erschlossen hat.
Schön sind die Beschreibungen des Umfelds und der Menschen aus der jeweiligen Lebensetappe von Theodore Decker, alles sehr lebendig und detailliert und mit phantastischen Metaphern.
Kehrseite der Medaille: Der Distelfink mag zwar jede Menge an Momenten großen Impaktes im Leben des jungen Theo aufzeigen, wie z.B. väterliche Vernachlässigung, Drogen, Alkohol, Terroranschläge etc. etc. aber es bleibt alles auf der Ebene eines rasanten und recht spannenden, aber ziemlich trivialen Unterhaltungsromanes.Wir wissen, dass die Autorin ein extrem gutes Händchen besitzt, was die Darstelllung hinter den Kulissen der sozialen Oberschicht angeht. Was die Authentizität ihrer Schilderung von Abhängigkeit durch psychotrope Substanzen angeht, habe ich allerdings so meine Zweifel.
Desweiteren hat mich die Detailfreudigkeit der Autorin stellenweise ziemlich ermüdet –zum Beispiel bekam ich den Eindruck, dass sich die Episoden der Drogen- und Alkoholexzesse teilweise nur noch in Menge und Beschaffenheit des Erbrochenen unterschieden. Fairerweise muss ich jedoch hinzufügen, dass Donna Tartt immer wieder die Handlung auf überraschende Weise umgelenkt und an Spannung zugelegt hat.
Der Buchschluss lässt für mich jedoch zu wünschen übrig: auf den allerletzten paar Seiten lässt Donna Tartt ihren Ich-Erzähler die Geschehnisse im Buch mit solch plumpen und flachen möchte-gern-philosophischen Überlegungen rekapitulieren, dass ich mich für die Autorin fast schon fremdgeschämt habe. Glücklicherweise hat sie sich auf vier oder fünf Seiten beschränkt, so dass ich mich nicht lange in der Peinlichkeit der letzten Seiten winden musste. Dass der Roman mit dem Pulitzerpreis für Belletristik 2014 erhalten hat, empfinde ich persönlich als übertrieben hohe Würdigung.
Fazit: Der Distelfink erschien mir als ein zwar umfangreicher, aber insgesamt schnell und leicht zu lesender Unterhaltungsroman.
Zur Autorin:
Donna Tartt wurde 1963 in Mississippi geboren. Ihr Studienkollege Bret Easton Ellis brachte sie für die Publikation ihres Erstlingswerkes Die Geheime Geschichte mit einer Agentin zusammen. Dieser 1992 erschienene Roman verkaufte sich über 5 Millionen mal. Nach dem Roman Der Kleine Freund (2002) wurde sie 2014 für Der Distelfink mit dem Pulitzerpreis für Belletristik ausgezeichnet. (Quelle: wikipedia)