Volker Strübing - Das Paradies am Rande der Stadt

  • Mein Kurzresumee: Das Paradies am Rande der Stadt - eine etwas andere, unterhaltsame, kabarettistische Dystopie. Ein Buch nicht nur für Science-Fiction-Leser, sondern auch für Leser von Romanen/Erzählungen.


    Allgemeine Infos:
    Paperback/Broschiert: 203 Seiten, 14,99 €
    Ebook: 7,99 €
    Erschienen bei Voland & Quist im März 2013, zuerst erschienen bei yedermann, 2005.


    Inhaltsangabe vom Buchdeckel (yedermann-Ausgabe):
    In naher Zukunft am Rande von Berlin: der Weltkonzern Eden bietet seinen Kunden nur ein Produkt an: das vollkommene Glück. Und das sogar kostenlos. Man muss nur seine Menschlichkeit aufgeben. Ein Preis, den Millionen von Verzweifelten gerne zahlen in einer Welt, in der Ich-Religionen boomen und die Menschen sich Arbeitsplätze mieten, um ihrem Dasein wenigstens den Anschein einer Berechtigung zu geben.
    Dies ist die Geschichte von Eva, die das Paradies verlässt, um ihren Geliebten Adam zu suchen, von Theo, der sich mit der Rettung der Welt und anderen Teenagerproblemen herumplagt, sowie von Dante und seinem Hass auf Eden. Gejagt von Seelenfängern, Konzernpolizisten und der neu-preußischen Kirche müssen sie erst die Geheimnisse von Himmel, Erde und Unterwelt lösen und sich schließlich der Apokalypse stellen.


    Über den Autor (via Amazon):
    Volker Strübing, 1971 in Sondershausen geboren, ist in Sachsen-Anhalt und Berlin-Marzahn aufgewachsen. Er ist ausgebildeter Facharbeiter für Datenverarbeitung. Über viele Jahre war er Mitglied der Lesebühnen LSD – Liebe statt Drogen sowie der Chaussee der Enthusiasten. Er gewann 2005 bei den deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften den Einzelwettbewerb und 2006 gemeinsam mit Micha Ebeling den Team-Wettbewerb. Sein Roman »Das Paradies am Rande der Stadt« ist im yedermann Verlag erschienen. Mit »Ein Ziegelstein für Dörte« erschien bei Voland & Quist eine Auswahl seiner Kurzgeschichten. Zusammen mit Kirsten Fuchs schrieb er das Buch zur 3sat-Doku »Nicht der Süden«. Im Jahr 2010 erschien mit »Mr. & Missis.Sippi« ein weiterer Reisebericht, der ebenfalls im Fernsehen zu sehen war. Im selben Jahr erschienen Volker Strübings Trickfilme rund um »Kloß & Spinne« erstmals auf DVD. 2013 veröffentlichte er die Kurzgeschichtensammlung »Das Mädchen mit dem Rohr im Ohr und der Junge mit dem Löffel im Hals«.
    (Die Videos von "Kloß & Spinne" können alle bei youtube angeschaut werden.)


    Meine Meinung (ich gehe nicht sehr stark auf den Inhalt ein - da soll sich jeder überraschen lassen):
    Dieses Buch war ein Zufallstreffer in der Bibliothek: interessanter Cover, interessanter Titel, ansprechender Klappentext. Ohne große Erwartungen bin ich an dieses Buch herangetreten. Ich habe das Buch aufgeschlagen und die Geschichte sprach mich sofort an: Die Handlung spielt im Jahr 2040. Los geht es mit der Beschreibung des perfekten Glücks, das Eva im Paradies erlebt. Und zwar jeden Tag. Eva liebt Adam, Adam liebt Eva, und mit Gott spielen sie zu Dritt Mensch freue dich. Bis Adam plötzlich aus dem Paradies verschwindet, weil er vom Baum der Erkenntnis gegessen hat. Eva folgt ihm, um ihn zurück ins Paradies zu holen.


    Im weiteren Verlauf lernt man dann die Charaktere außerhalb des Paradieses kennen: Dabei sind Kloß, Spinne, Dante, Theo und Kevin. Kevin ist der Großvater von Theo (14) - das passt zeitlich nicht ganz zur Kevin-Generation der 2000er :wink: , aber Kevin verhält sich so, wie sich der vorurteilsbeladene Leser einen Kevin vorstellen könnte :wink: . Ein cooler alter Sack. Neben Kevin und Kloß (der Zyniker des Buchs) bleiben die anderen Charaktere allerdings recht farblos, was mich aber keineswegs störte, denn das Interessante an diesem Buch sind der Plot und die tiefsinnigen Passagen, die sich in diesem immer wieder verbergen.


    Den Plot würde ich einerseits als irgendwie "flach" bezeichnen, aber andererseits als wohl durchdacht und faszinierend (ja, das passt irgendwie nicht). Nachdem eine Wendung passierte, dachte ich: "Achja, war ja eigentlich klar", aber ahnen konnte ich es vorher nicht. Allerdings habe ich mich auch komplett in die Fänge dieses Buchs begeben und über den Weitergang des Plots nicht weiter nachgedacht. Zur Gesamptkomposition passt, dass viele kleine Handlungsstränge und Charakter überzeichnet wirken.


    Viel mehr habe ich immer wieder über die vielen klugen Momente in diesem Buch nachgedacht. In diesem Buch finden sich sehr viele zum Nachdenken anregende Passagen, die auch durchaus witzig verpackt sein können (ein bisschen wie in "The Hitchhiker's Guide to The Galaxy"). Dabei wirft der Autor einen Blick auf eine Zukunft, die nicht unbedingt genau so denkbar ist, aber irgendwie in dieser Art. (Die "Dämonen" in diesem Buch sind z. B. gut vergleichbar mit den Smartphones). Manchmal dachte ich, der Autor behandelt zu viele (politische, gesellschaftliche) Themen, z. B.:



    Hervorzuheben ist außerdem das Ende des Buchs - auf jeden Fall lässt es den Leser nachdenklich zurück. Es ist kein "typisches" Ende, würde ich sagen. Aber es passt zum Buch.


    Beim Lesen dachte ich mehrmals daran, dass mich dieses Buch ans Kabarett erinnert - dabei war mir der Autor vorher vollkommen unbekannt. Aber Herr Strübing hat mich mit seiner Komposition aus abstrus komischen Dialogen, einem stimmigen und nachdenklich stimmendem Plot, tiefsinnigen Passagen und sprachlichem Einfallsreichtum total überzeugt. :thumleft: Definitv ein Buch, das ich einmal wiederlesen werde. Von mir gibt es die vollen :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5::bewertung1von5: :bewertung1von5:


    Fazit: Es wird sicherlich nicht jedermanns Geschmack sein. Trotzdem: lest es. ^^

  • Falls du mal irgendwie die Gelegenheit dazu haben solltest: Volker Strübing muss man am besten hören, gelesen sind seine Texte noch ein bisschen witziger. Bei Ein Ziegelstein für Dörte gibt es einige seiner Geschichten auf CD dazu, das scheint hier leider nicht der Fall zu sein - aber das Buch ist für einen Poetry-Slam natürlich auch zu lang.

  • Eden liefert Ihnen nicht nur die Welt, in der Sie endlich glücklich werden, es liefert Ihnen das Glück selbst. Durch Stimulation der entsprechenden Hirnzentren, kombiniert mit einer sorgfältigen Regulierung Ihres biochemischen Haushaltes, garantiert Ihnen Eden 100% Glückseligkeit für den Rest Ihres Lebens.
    Kommen Sie zum Regenbogen! Kostenlos und unverbindlich, denn Sie können Eden jederzeit wieder verlassen... doch wer will das schon?

    E.R. Lösser, Schöpfer von EDEN


    Meine Meinung
    Volker Strübing gelingt das Kunststück, mit Das Paradies am Rande der Stadt eine ungemein lustige und gleichermaßen kluge und tiefgründige Dystopie vorzulegen. Sein Personal lässt er durch eine nahe Zukunft stolpern, die in all ihrer Absurdität gar nicht mal so abwegig erscheint: Der Große Schlamassel hat die alten Grenzen aufgelöst, die Nachrichten werden von McDonalds gesponsort, Megakonzerne haben autonome Städte gebaut, auf neupreußischem Gebiet herrscht Religionspflicht – und das große, individuelle Glück ist für alle erreichbar. Ganz kostenlos. Man muss nur alles aufgeben und sich ganz und gar Eden verschreiben. Natürlich gibt es da noch ein paar Widerständler, die das künstliche Glück von Eden für gar nicht so glücklich halten. Von denen erzählt Das Paradies am Rande der Stadt. Die Charaktere sind allesamt liebenswert, die Bösen nicht besonders helle, die Guten vollkommen planlos – und unglaublich sympathisch. Allen voran Kloß, der mich mit seiner pessimistisch-depressiven Art ein wenig an Marvin erinnerte, Douglas Adams' paranoid android. Kloß hat tatsächlich einen ähnlichen Unterhaltungswert (an dieser Stelle sei nochmals auf die Kloß und Spinne Filme verwiesen :wink: ).


    Ich habe mich selten bei einem Buch so gut amüsiert. Strübings Roman glänzt durch einen Einfallsreichtum, der wirklich keinen Vergleich mit Stanislaw Lem oder Douglas Adams scheuen muss – und ist doch etwas sehr eigenes, das zu keiner Zeit abgekupfert erscheint. Wenn man ein paar Cyberpunk-Romane gelesen hat, kann man zwar ahnen, worauf das Ganze hinausläuft; auf alle Wendungen und auf das Ende war ich dennoch nicht vorbereitet. Der Humor ist abgedreht, manchmal ein bisschen platt, aber nie zu platt; hin und wieder wird es etwas eklig, manchmal einfach nur richtig schön schräg. Hinter all der Komik verbergen sich allerdings viele tiefergehende Gedanken. Das ist das Perfide an diesem Roman: Alles ist so absolut vorstellbar; wenn auch nicht genau so, dann doch irgendwie ähnlich. Und die Prämisse „Wenn alle Individuen glücklich sind, dann ist jeder glücklich“, die Vorstellung vom größtmöglichen individuellen Glück als Segen für die Menschheit, hat ja eine gewisse Logik – und durchaus Anziehungskraft. Das macht Das Paradies am Rande der Stadt gleichzeitig zum witzigsten wie auch zum erschreckendsten Buch, das ich in der letzten Zeit gelesen habe.
    Einziger Wermutstropfen: Es gibt (noch) kein Hörbuch. Strübing ist, wie oben schon bemerkt, ein begnadeter Vorleser und als eines von ganz, ganz wenigen Ausnahmen würde ich mir dieses Buch tatsächlich gerne vorlesen lassen.


    Fazit:
    Das Paradies am Rande der Stadt ist das Komischste, Klügste und Einfallsreichste, was ich seit langem an Science Fiction in der Hand gehabt habe. Hier stimmt einfach alles, vom Titel über das Cover bis hin zum Inhalt. Und erst recht das Ende.
    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:



    PS: Ja, ich weiß, 14,90 Euro sind für knapp 200 Seiten viel Geld. Aber das E-Book kostet nur halb so viel und die Investition lohnt sich. Umsonst ist nur das Glück. :wink: