„Töchter des Nordlichts“ von Christine Kabus erzählt in zwei Handlungssträngen die Geschichte von Nora in der Gegenwart und von Ailu in der Vergangenheit.
Im Jahre 2011 arbeitet Nora in einer Kita in Oslo. Sie hat ihren Vater Anouk nie kennengelernt. Bei einem Gespräch mit ihrer Mutter Bente erfährt sie, dass ihr Vater samische Wurzeln hat. Gemeinsam machen sich die zwei auf den Weg ins Herkunftsland ihres Vaters, Norwegen, um es kennenzulernen und Noras Vater zu finden. Leider kommen sie zu spät, denn Anok ist vor kurzem gestorben. Bente trifft nach über 30 Jahren ihren Bruder wieder. Erst nach und nach erfährt Bente, dass ihr eigener Vater durch eine Intrige ihr Glück verhindert hat und sie im Glauben ließ, Anok hätte sie verlassen. Während ihres Aufenthalts lernt Nora Mielat kennen und lieben.
Ailu ist als kleines Mädchen 1915 mit ihren Eltern auf einer Wanderung, als norwegische Beamte sie ihrer Familie entreißen und sie in ein Internat verbringen. Die Zustände sind dort für Ailu unerträglich, denn die Kinder werden durch Folter und Schläge erzogen. Deshalb versucht Ailu zu fliehen, doch leider wird sie erwischt und in einem anderen Internat untergebracht, wo sie regelrecht eingesperrt ist. Als sie von einem netten Ehepaar adoptiert wird, sieht es fast so aus, als würde sich Ailus Leben endlich auf der Sonnenseite bewegen. Doch dafür muss sie ihre wahre Identität verschweigen. Sie bekommt einen neuen Namen, ist eine gute Schülerin und möchte Medizin studieren. Als Ailu sich verliebt und schwanger wird, fällt ihr Glück wie ein Kartenhaus zusammen, da ihre Vergangenheit sie einholt und sie von ihrem Freund und dessen Familie abgelehnt wird. Ailu beschließt nach all diesen Schicksalsschlägen, in ihre ursprüngliche Heimat zurückzukehren zu ihrer Geburtsfamilie, aber auch dort erwarten sie böse Neuigkeiten.
Christine Kabus nimmt den Leser in ihrem Roman „Töchter des Nordlichts“ auf eine Reise nach Norwegen. Der Schreibstil ist wunderbar flüssig und eingängig, so dass der Leser regelrecht eingefangen wird und das Buch kaum aus der Hand legen kann. Auch die akribische Recherche der Autorin wird durch die Landschaftsbeschreibungen deutlich. Sie vermitteln einem das Gefühl, alles vor Augen zu haben und direkt vor Ort zu sein. Die immer wieder in die Handlung verknüpften Legenden der Sami machen die Geschichte noch lebendiger und greifbarer. Die beiden Handlungsstränge über Gegenwart und Vergangenheit werden im Wechsel erzählt und verbinden den Leser sowohl mit Ailus als auch mit Noras Leben. Besonders Ailus Geschichte lässt einen das gesamte Gefühlsbarometer ausleben, von Mitleid über Wut, von Liebe bis Hass. Man schließt Ailu sofort ins Herz und fühlt mit ihr, kann man doch gar nicht glauben, dass ein Mensch so viel ertragen muss.
Christine Kabus ist die geborene Geschichtenerzählerin. Einmal mehr ist ihr ein wunderschöner Roman gelungen, der den Leser durch seine Sprache, seine Geschichte und die Charaktere verzaubert. Sie scheut sich auch nicht, unangenehme Themen wie Verfolgung und Verdrängung von Minderheiten, Auseinanderreißen von Familien, Ablehnung, Unterdrückung und die Suche nach den Wurzeln und der eigenen Identität zu schildern. Ein wirklich schöner, aber auch nachdenklich stimmender Roman, der noch einige Zeit nachklingt, nachdem man die letzte Seite gelesen hat.
Absolute Leseempfehlung, Chapeau, Frau Kabus!
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