Elizabeth George - Nur eine böse Tat /Just One Evil Act

  • Kurzbeschreibung (Quelle: amazon)
    Barbara Havers und Inspector Lynley vor ihrer größten menschlichen Herausforderung.
    Barbara Havers macht sich große Sorgen um ihren Freund Taymullah Azhar. Denn nachdem ihn seine Freundin Angelina aus heiterem Himmel verlassen und auch die gemeinsame Tochter mitgenommen hat, ist er völlig verzweifelt. Erst nach Wochen bangen Wartens steht Angelina plötzlich wieder vor Azhars Tür, allerdings ohne die kleine Hadiyyah, denn die ist in Italien, wohin sich Angelina abgesetzt hatte, spurlos verschwunden. Als der Fall des vermissten Mädchens auch in der britischen Presse Schlagzeilen auslöst, muss die Polizei reagieren – und Inspector Lynley reist in die Toskana, um die Ermittlungen in dem kleinen Ort Lucca zu begleiten. Doch alsbald gerät Azhar selbst in den Verdacht, in die Entführung des Kindes verwickelt zu sein. Barbara ist fassungslos und kämpft mit allen Mitteln darum, die Unschuld ihres Freundes zu beweisen. Bis sie einen Schritt zu weit geht…


    Autorin (Quelle: amazon)
    Eine Amerikanerin in London - zumindest zeitweise lebt Elizabeth George in der britischen Hauptstadt. Dort recherchiert die preisgekrönte Krimiautorin detailversessen an den Orten des Geschehens. Ihre größtenteils verfilmten Geschichten sind eher Gesellschaftsromane als "nur" spannende Storys - von denen George allerdings eine Menge versteht. Denn Handwerk und Kunst des Schreibens hat sie lange Jahre als Lehrerin für Englische Sprache und Literatur sowie später in Unikursen für Kreatives Schreiben unterrichtet. Bekannt wurde sie vor allem mit ihrem Ermittlerduo Inspector Lynley und Sergeant Havers. Geboren wurde Elizabeth George 1949 in Warren im US-Bundesstaat Ohio. Nach vielen Jahren in Kalifornien lebt sie heute im Nordwesten der Vereinigten Staaten bei Seattle.


    Allgemeines
    Titel der Originalausgabe: Just one evil act
    Erscheinungstermin der deutschen Ausgabe: 11.November 2013 als Hardcover von 864 Seiten im Goldmann Verlag
    Übersetzt von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann
    Nicht nummerierte Kapitel, Kennzeichnung nach Handlungsort und Datum
    Erzählung in der dritten Person aus wechselnden Perspektiven


    Zum Inhalt
    Die Handlung des 18.Bandes der Reihe um Inspector Thomas Lynley und Detective Sergeant Barbara Havers spielt in London und in Lucca (Toskana, Italien). Im Mittelpunkt stehen hier Barbara Havers und ihr Freund und Nachbar, der pakistanische Mikrobiologe Taymullah Azhar und seine neunjährige Tochter Haddiyyah. Angelina Upman, die flatterhafte Mutter des Mädchens, mit der Azhar nicht verheiratet ist, hat ihn unangekündigt verlassen und das Kind mitgenommen. Mit Barbaras Unterstützung beauftragt der geschockte Vater einen zwielichtigen Privatdetektiv, den Aufenthaltsort der beiden Vermissten herauszufinden. Angeblich verliert sich die Spur auf dem Flughafen von Pisa. Einige Monate später erscheint Angelina mit ihrem neuen Lebensgefährten, dem Italiener Lorenzo Mura, bei Azhar in London und berichtet aufgebracht, Hadiyyah sei auf dem Wochenmarkt ihres derzeitigen Wohnortes Lucca entführt worden. Sie beschuldigt ihren Ex-Partner, der Drahtzieher der Entführung gewesen zu sein. Azhar, der diese Anschuldigung empört zurückweist, reist sofort nach Italien, um selbst Nachforschungen anzustellen. Barbara Havers erhält jedoch von Superintendant Isabelle Ardery keine Erlaubnis, ihn zu begleiten, da eine Entführung in Italien die englische Polizei nichts angehe. Stattdessen wird sie dem misogynen Kollegen John Stewart, der nur darauf wartet, sie beruflich "auszuschalten", als Mitarbeiterin zugeteilt. DS Havers, die schon immer ein Sturkopf war und wenig Respekt vor Autoritäten hat, verliert - getrieben von ihren Gefühlen für Taymullah Azhar - jede Objektivität und gibt sich alle Mühe, sich selbst karrieremäßig das Wasser abzugraben. Lynley, der sich inzwischen vom Tod seiner Frau Helen weitgehend erholt hat und sehr behutsam wieder auf Freiersfüßen wandelt, gerät wieder einmal zwischen die Fronten zwischen seiner Ex-Geliebten Ardery und seiner loyalen, aber unbequemen Kollegin Havers...


    Persönliche Beurteilung
    Der über 800 Seiten umfassende Roman ist sehr komplex, er thematisiert Ausländerfeindlichkeit und sensationsgierigen Boulevard-Journalismus mitsamt den tragischen Auswirkungen dieser beiden Phänomene. Hadiyyahs Großeltern mütterlicherseits wollen von ihr und ihrem Vater nichts wissen, sie haben mit ihrer Tochter Angelina gebrochen, nachdem diese sich "von einem Paki" schwängern ließ. Taymullah Azhar hat seine Ehefrau Nafeeza und seine beiden Kinder verlassen, ist aber nicht geschieden. Dass er Angelina nicht heiraten konnte, macht ihn seinen verhinderten Schwiegereltern noch verhasster, obwohl Angelina selbst auf eine bürgerliche Existenz keinen Wert legt und gewöhnlich mehrere Liebhaber gleichzeitig hält. Dennoch wird der Pakistani als der "Böse" gesehen. Auch die Medien bestärken diesen Eindruck: Barbara lässt sich auf eine von gegenseitigem Misstrauen geprägte Zusammenarbeit mit dem Sensationsreporter Mitch Corsico ein. Dieser skrupellose Mann kann ihr Zugang zu Informationen verschaffen, erwartet im Gegenzug aber von ihr Auskünfte, die sie nicht geben dürfte und die er rücksichtlos für seine reißerischen Artikel ausschlachtet.
    Der stetige Ortswechsel zwischen London und Lucca verleiht dem Roman zusätzlichen Reiz, zumal die unterschiedlichen Ermittlungsansätze in England und Italien interessant zu beobachten sind. Die Charaktere der Romanfiguren sind gut ausgearbeitet, selbst wenn sie im Fall des italienischen Staatsanwalts Fanucci in dessen Darstellung als ebenso hässliche wie dumme und selbstgefällige "Kröte" humorvoll überzeichnet ist. Das Verhalten von Barbara Havers scheint mir ebenfalls eher unglaubwürdig, sie verliert stellenweise jeden Bezug zur Realität. Ihr eigenmächtiges Vorgehen bringt jedoch die Handlung, die insgesamt etwas geraffter hätte präsentiert werden können, in Schwung.
    Als sehr angenehm habe ich es empfunden, dass dem Privatleben Lynleys und seiner langsam aufblühenden neuen Liebesbeziehung nur wenig Raum gegeben wird.
    Der Sprachstil ist sehr angenehm zu lesen, das Buch enthält allerhand italienische Ausdrücke, deren Bedeutung aber aus dem Kontext ersichtlich wird.


    Fazit
    Ein unterhaltsamer Roman, der aktuelle gesellschaftliche Phänomene wie Ausländerhass und Boulevard-Journalismus der untersten Schublade thematisiert.
    Für Fans der Reihe um Lynley und Havers gebe ich eine Leseempfehlung.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Und hier ist der Link zur englischen Originalausgabe. Meine Rezension bezieht sich auf die deutsche Ausgabe.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Liebe Enigma,


    vielen Dank für diese Rezension, die mich sehr neugierig auf das Buch gemacht hat. Natürlich ist es sofort auf meine WuLi gewandert... :-,
    Ich finde, dass Elisabeth George zu den wenigen Autoren gehört, die es schaffen, ihre Bücher einer Reihe in mehr oder weniger gleichbleibender Quallität zu schreiben.

    Isenhart musste grinsen, ihre Blicke begegneten sich. "Du hast nur tausend Mal", wisperte er.
    Konrads müdes Schmunzeln wuchs sich zu einem breiten Grinsen aus. "Ich verrat dir was", flüsterte er zurück, "das ist Mumpitz."


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  • Ich finde, dass Elisabeth George zu den wenigen Autoren gehört, die es schaffen, ihre Bücher einer Reihe in mehr oder weniger gleichbleibender Quallität zu schreiben.


    Im Prinzip stimme ich Dir zu. Sie hatte zwischendurch eine sich über drei Bücher erstreckende Flop-Phase, beginnend mit "Wo kein Zeuge ist", dann hat sie wieder zu ihrer Form zurückgefunden. Früher habe ich alle ihre Bücher gekauft (englische Version), seit dem Tiefpunkt bin ich vorsichtig geworden und lese die Bücher auf Deutsch (Bücherei). :wink:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Huch, ich dachte eigentlich, ich hätte meine Rezension schon längst hier eingestellt.


    Egal, dann eben jetzt:


    Barbara Havers ist fassungslos. Ihre kleine Freundin aus der Nachbarschaft, Hadiyyah Azhar, ist verschwunden, ebenso ihre Mutter Angelina, die nach längerer Trennung urplötzlich wieder bei Hadiyyah und ihrem Vater Taymullah aufgetaucht war. Es stellt sich heraus, dass sich Angelina mit ihrer Tochter nach Lucca abgesetzt hat, wo ihr neuer Liebhaber lebt.

    Und dann der nächste Schock: Hadiyyah wird am hellichten Tag auf dem Marktplatz gekidnappt. Der Fall schlägt Wellen bis in die britische Presse, für die nicht nur die Entführung, sondern auch die verwickelte Familiengeschichte dahinter ein gefundenes Fressen ist. Barbara, die bisher vergeblich versucht hatte, Hadiyyahs Vater bei der Suche nach seiner Tochter zu unterstützen, ist darüber nicht ganz unglücklich, bedeutet doch die öffentliche Aufmerksamkeit, dass sich auch die britische Polizei einschaltet und sie womöglich persönlich einen Beitrag leisten kann.


    Doch es ist Lynley, der in die Toskana geschickt wird, nicht nur, weil er Italienisch spricht, sondern auch, weil Barbara bei ihrer disziplinarischen Vorgesetzten, Superintendent Isabelle Ardery, gar nicht gut angeschrieben ist ...


    Barbara muss in diesem Band einiges einstecken - nicht genug, dass das Nachbarsmädchen, das ihr so ans Herz gewachsen ist, gleich zweimal verschwindet und Azhar, der ihr ein guter Freund geworden ist, unter Tatverdacht gerät, sondern sie setzt mit ihren Alleingängen und unorthodoxen Versuchen, den Azhars zu helfen, auch noch ihren Job aufs Spiel. Manchmal hätte ich sie einfach nur schütteln mögen, weil sie so blind dafür ist, wie ihr Handeln nach außen hin wirken muss, aber andererseits tut man aus Freundschaft oder Liebe durchaus mal sehr dumme Dinge.


    Lynley spielt diesmal eine eher untergeordnete Rolle, was nicht heißt, dass wir nicht ein paar Entwicklungen aus seinem Privatleben erfahren oder er nicht wichtig wäre, aber es ist natürlich in erster Linie ein Fall für Barbara.


    Hadiyyahs zweifache Entführung bietet viel Potential, schlängelt sich aber erst mal gut und gerne 200-300 Seiten lang eher gemächlich dahin. Vor allem bei der Schilderung der Geschehnisse in Italien versucht sich George als Reiseschriftstellerin und übertreibt es dabei leider ziemlich. Für das Toskana-Feeling hätten ihre liebevollen Beschreibungen von Land und Leuten dicke ausgereicht. Die ständigen Einsprengsel auf italienisch, die auch noch unübersetzt bleiben, nerven nach einer Weile gewaltig. (Ja, wir hätten auch so verstanden, dass das Buch in Italien spielt.)


    In der zweiten Buchhälfte nimmt die Handlung dann doch ordentlich Fahrt auf und hat mich mit einigen undurchschaubaren Fährten noch ziemlich spannend unterhalten, so dass sich meine Befürchtung, den absoluten Tiefpunkt der Serie gelesen zu haben, gottlob nicht bestätigten. Schade nur, dass es so lang gedauert hat, bis George zu alter Form aufläuft. Aber dennoch bin ich gespannt auf den nächsten Band, in der Hoffnung, dass der dann wieder durchweg Freude macht.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

  • Die ständigen Einsprengsel auf italienisch, die auch noch unübersetzt bleiben,

    Da hat sich das Latinum doch mal richtig gelohnt, weil man auch ohne Italienischkenntnisse alles versteht. :mrgreen:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Mir geht es mich Elizabeth George auch so, dass ich nach den eher mageren Teilen vorsichtig geworden bin; dieser klingt aber wieder interessant und es bleibt zu hoffen, dass sie zu ihrer alten Qualität zurückfindet. Vielleicht lege ich mir das Buch doch zu... :-k


    Vielen Dank jedenfalls für eure Rezensionen!

  • Da hat sich das Latinum doch mal richtig gelohnt, weil man auch ohne Italienischkenntnisse alles versteht. :mrgreen:


    Verstanden habe ich auch das meiste, aber für Leser ohne entsprechende Sprachkenntnisse ist es schon ärgerlich (weil völlig unnötig). George schreibt doch wahrlich gut genug, um auch ohne dieses Mittel Italien-Flair zu erzeugen!