Henning Mankell - Mord im Herbst/Händelse om hösten

  • Alle Freunde von Henning Mankells Kommissar Kurt Wallander, den er in seinem letzten, die erfolgreiche Reihe abschließenden Roman 2009 in einem Zustand zunehmender Demenz zurückließ, werden sich freuen über dieses kleine Buch, das einen weiteren Fall für Kurt Wallander bereithält. Es spielt im Herbst des Jahres 2002, also etwa ein Jahr nach „Vor dem Frost“, in dem Wallanders Tochter Linda zum ersten Mal als Polizeianwärterin eine Rolle spielt und „Der Feind im Schatten“, als zwischen Januar und Mai 2007 Wallander, schon deutlich von seiner Krankheit behindert, seinen letzten Fall löst.


    Immer wieder war, auch von Mankell selbst, die Spekulation genährt worden, es gäbe bald weitere Romane mit Linda Wallander und ihrem Freund Stefan Lindman, doch nun ist ein relativ kurzer, alter Roman erstmals auf Deutsch erschienen, von dem bisher nur wenige Buchfreaks wussten. Das Buch ist vor vielen Jahren geschrieben worden und in Holland gratis verteilt worden, an jeden, der damals in einem „Monat des spannenden Buches“ einen Kriminalroman kaufte. Mit Kenneth Branagh in der Hauptrolle wurde die Handlung für das BBC erfolgreich verfilmt. Nachdem Mankell diesen Film gesehen und gespürt hatte, „dass die Geschichte immer noch Leben hatte“ stimmte er einer neuen Veröffentlichung zu.


    Die Handlung des spannenden Buches, das mit vielen kurzen Sätzen und Dialogen arbeitet, und in dem in kurzen, oft versteckten Anmerkungen auf die sich anbahnende Krankheit, die dann etliche Jahre später nicht mehr zu übersehen ist, angespielt wird, sei kurz angerissen.


    Es ist Herbst 2002. Wallander lebt noch immer in Ystad. Auch seine Tochter wohnt noch im Haus, und es gibt immer wieder Anlass zu Reibereien zwischen einem zunehmend vereinsamenden Vater und einer selbstbewussten Tochter, die ihm unverblümt sagt, er brauche eine Frau und solle mal wieder vögeln. Kurt Wallander träumt schon davon, nicht mehr allein zu sein und er träumt auch von einem Haus auf dem Land, lange schon. Als sein langjähriger Kollege Martinsson ihm das Haus eines verstorbenen Verwandten von ihm anbietet, rafft sich Wallander auf und besichtigt es. Es sagt ihm durchaus zu, doch als er im Garten um das Haus herumgeht, ragt etwas aus der Erde, das ihm auffällt. Es stellt sich heraus, dass es eine skelettierte menschliche Hand ist.


    Ein neuer Fall beginnt. Obwohl bald klar ist, das das ganze Skelett, das zu der Hand gehört, schon mehr als 60 Jahre dort gelegen hat, wird der Fall nicht gleich zu den Akten gelegt, sondern Wallander und Martinsson ermitteln. Das ist schwierig, weil viele Zeitzeugen nicht mehr leben. Doch durch das Wühlen in Archiven, bei dem Stefan Lindman eine große Hilfe ist und durch den Kommissar Zufall, aber auch durch Wallanders bekannte Kombinationsgabe und Geduld finden sie immer mehr heraus, bis zu einer ganz überraschenden Lösung…


    Das Buch selbst hat man sehr schnell ausgelesen und am Ende hält Mankell eine weitere Überraschung bereit. Meines Wissens so zum ersten Mal erzählt er in einem längeren Nachwort seine Geschichte mit seiner Figur Kurt Wallander: „Wie es anfing, wie es endete und was dazwischen geschah“.


    Aufschlussreich auch für die, die vor vielen Jahren alle Bücher der Wallander- Reihe so wie der Rezensent verschlungen haben. Alle diese Bücher sind mit einer kurzen Inhaltsangabe in chronologischer Reihenfolge ganz am Ende des Buches noch einmal aufgeführt. Vielleicht eine Ermutigung zu einer relecture einer erfolgreichen Reihe aus einem historischen Blickwinkel?

  • Es wird sich kein schwedisches Original finden lassen, denn das Buch schien bisher nur in Holland in niederländischer Sprache vorzuliegen: Hier gelesen. Es heißt "Het graf" und sieht so aus.

    1. Verlag: Stichting Collectieve Propaganda van het Nederlandse Boek (CPNB)


    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • denn das Buch schien bisher nur in Holland in niederländischer Sprache vorzuliegen: Hier gelesen. Es heißt "Het graf"


    Ja, und ich habe mir bereits ein fast neues Exemplar für 2,50 € sichern können. :D
    Den deutschen Preis von 15,90€ für nur 144 Seiten sind selbst mir als "alten" Mankell-Fan zu teuer, ehrlich gesagt finde ich den Preis (für eine schon ältere Geschichte, das Buch erschien bei uns bereits 2004) echt überzogen... [-(

  • Aus dem "Mund" des Autors die Lösung des Rätsels, warum das Buch zuerst in Holland erschien. Für diejenigen, die das Buch (noch) nicht besitzen, schreibe ich Mankells Nachbemerkung ab (S. 122): Diese Geschichte wurde vor vielen Jahren geschrieben. In Holland hatte man die Idee, dass jeder, der in einem bestimmten Monat, dem Monat des spannenden Buches, einen Kriminalroman kauft, ein Buch gratis bekommen sollte. Ich wurde gefragt, ob ich es schreiben wollte. Die Idee war gut, mehr Menschen fürs Lesen zu gewinnen.
    Das Buch erschien. Viele Jahre später beschloss die BBC, den Text als Grundlage für das Drehbuch zu einem Film zu verwenden, in dem Kenneth Branagh den Kommissar Wallander spielt. Ich sah den Film und fand, dass die Geschichte immer noch Leben hatte. ...

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  • Zum Autor:
    Henning Mankell, geboren 1948 in Härjedalen, Schweden, lebt als Theaterregisseur und Autor in Schweden und in Maputo (Mosambik). Seine Romane um Kommissar Wallander sind internationale Bestseller, u.a. Die fünfte Frau (1998 ) und Mittsommermord (2000). Zuletzt erschienen bei Zsolnay die Romane Daisy Sisters (2009) und Erinnerung an einen schmutzigen Engel (2012) sowie die Krimis Der Chinese (2008 ), Der Feind im Schatten (2010) und Mord im Herbst (2013).
    2013 erscheint im Zsolnay Verlag auch das Porträt Mankell über Mankell der dänischen Journalistin Kirsten Jacobsen. (von der Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: Händelse om hösten (niederländische Übersetzung)
    Erstmals erschienen 2004 bei De Greus, Breda.
    Titel der schwedischen Ausgabe: Handen
    Erstmals erschienen 2013 bei Leopard Förlag, Stockholm
    Aus dem Schwedischen übersetzt von Wolfgang Butt
    Aus der personalen Perspektive Kurt Wallanders erzählt.
    Mit einem Nachwort des Autors unter dem Titel „Wie es anfing, wie es endete und was dazwischen geschah.“
    Das Buch wird abgeschlossen mit der Auflistung der Wallander-Romane samt Erscheinungsdatum, Handlungszeitrahmen und kurzer Inhaltsangabe.
    141 Seiten


    Inhalt:
    Endlich endlich hat Wallander sich durchgerungen, den Kauf eines Hauses auf dem Land in Angriff zu nehmen. Die Gegend gefällt ihm, das Haus, im Besitz seines Kollegen Martinsson, passt in den finanziellen Rahmen und Wallander – beinah gutgelaunt - betrachtet Gebäude und Garten, als er stolpert. Über eine skelettierte Hand, die aus der Erde ragt. Grabungen befördern einen Leichnam ans Tageslicht, vergraben vor mehreren Jahrzehnte. Wer ist die Frau? Und wer hat sie vergraben. Eine mühselige Spurensuche beginnt, denn die meisten der ehemaligen Besitzer des Hauses und Nachbarn sind tot.


    Eigene Meinung / Bewertung:
    Er ist wieder da! Glücklicherweise nicht nach seinem endgültigen Abgang, denn eine Auferstehung macht eine fiktive literarische oder cineastische Figur immer unglaubwürdig. Sondern so, als wäre ein in der Chronologie vergessener Fall jetzt ans Tageslicht gekommen.


    Man liest wenige Seiten und befindet wieder zuhause in Ystad. Man kennt das Personal wieder ebenso wie Wallanders Weltschmerz und seine depressiven Stimmungen. Seine ständigen Entscheidungsschwankungen. Seine ständigen Sorgen um Tochter Linda, obwohl sie bei ihm im Haus wohnt und als seine Kollegin arbeitet.
    Auch die Ermittlungen laufen ab, wie man sie kennt, wenn auch hier komprimierter und zügiger: Die Zeit, in der man auf der Stelle tritt, das Warten auf den Geistesblitz oder die entscheidende Information von außerhalb, die Teambesprechungen und Aufgabenverteilungen. All diese Motive, die typisch für einen skandinavischen Krimi sind, entdeckt man in verkürzter, aber dennoch spannender und folgerichtiger Manier wieder.


    Aber Mankell wäre nicht Mankell, wenn er es nicht auch in einem so schmalen Band schaffen würde, ein gesellschaftliches Thema zu berühren, das Thema Ausgrenzung bestimmter Volksgruppen, das ihn schon immer beschäftigte, hier eher als Intermezzo eingebaut und Nichtsesshafte (früher: Zigeuner) betreffend.
    Dass es unmöglich ist, auf 120 Seiten die Komplexität und Breite zu entwickeln, die Meisterwerke wie „Mittsommermord“ oder „Die falsche Fährte“ auszeichnen, leuchtet ein, dennoch fügt sich dieses kleine Buch nahtlos in die Wallander-Serie ein, und man bedauert ein weiteres Mal, dass der Autor sich von seinem Protagonisten verabschiedet hat (und hofft insgeheim, dass sich in irgendeiner staubigen Schublade noch ein vergessenes Manuskript findet).
    Vor allem die Idee des Verlags, im Anhang sämtliche Krimis der Reihe mit den dazugehörigen Informationen aufzulisten, verdient Beifall. Man hofft, dass andere Verlage diese Idee aufgreifen und für ihre Reihen umsetzen.


    Fazit:
    Ein kurzer, dennoch typischer Wallander-Krimi, der den endgültigen Abschied noch einmal heraufbeschwört und schwerer macht.

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  • Es wird sich kein schwedisches Original finden lassen, denn das Buch schien bisher nur in Holland in niederländischer Sprache vorzuliegen: Hier gelesen. Es heißt "Het graf" und sieht so aus.

    Da bin ich noch einer Meinung mit dir

    Originaltitel: Händelse om hösten (niederländische Übersetzung)
    Erstmals erschienen 2004 bei De Greus, Breda.
    Titel der schwedischen Ausgabe: Handen

    Händelse om hösten ist aber schwedisch heisst sowas wie der Fall im Herbst
    Was ist jetzt richtig???

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Hallo Mara,
    guck mal weiter oben. Dort habe ich abgeschrieben, was Mankell selbst sagt, wie es zu der schwedisch-niederländischen Verwirrung gekommen ist.


    edit:
    Zitat vom Vorblatt der deutschen Übersetzung: Das schwedische Original Händelse om hösten erschien zuerst 2004 ... in niederländischer Übersetzung. Die schwedische Erstausgabe erschien 2013 unter dem Titel Handen ...


    Heißt: Das Buch war in Schweden noch nicht erschienen, aber es wurde ins Niederländische übersetzt (unter "Het graf"). Erst 9 Jahre später kam es auch in Schweden auf den Markt. Warum es dann aber zwei schwedische Originaltitel hat, erschließt sich mir nicht. Es findet sich (s. Link) das Cover zu "Handen", aber zu "Händelse om hösten" gibts anscheinend keins.


    Falls jemand die tatsächliche Lösung des Rätsels kennt, bitte informieren. Ich spekuliere hier eigentlich nur rum.

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    3 Mal editiert, zuletzt von Marie ()

  • Sondern so, als wäre ein in der Chronologie vergessener Fall jetzt ans Tageslicht gekommen.

    Das heißt, Mankell hat dieses Buch als letztes geschrieben, nach dem Abschied von Wallander?
    Manchmal werden die Bände ja auch nur in einer völlig irren Reihenfolge in Deutschland veröffentlicht, wie z.B. bei Arnaldur Indriðason oder Simon Scarrow.
    Ich habe dieses Buch jedenfalls in der Bücherei vorbestellt.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • @ €nigma,


    das Buch wurde 2004 geschrieben, also vor dem Abschied von Wallander. Aber es erschien wohl zunächst nur in niederländischer Übersetzung und dann, etwa zeitgleich, in Schweden und Deutschland. Frag mich bitte keiner, warum.
    Es gehört chronologisch (auf Wallanders Leben bezogen, nicht auf das Erscheinen der Bücher) vor "Der Feind im Schatten".

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  • Ich hab das Buch unter'm Christbaum gefunden (war sehr postiv vom Christkind überrascht :wink: ) und binnen weniger Tage ausgelesen. Na gut, sonderlich dick ist das Buch ja nicht. Und wenn man es genau nimmt, passiert auch nicht wirklich viel. Und trotzdem, ich könnte nicht erkären warum, aber es war wirklich fesselnd und spannend. Vielleicht liegt es daran, dass ich schon schon einige Jahre Wallander-los gelebt habe und mich die Figur nun wieder besonders interessiert hat. Auch die Erzählung hatte irgendwas an sich, wenngleich der große Spannungsbogen ausblieb.

  • Ich habe "Mord im Herbst" inzwischen auch gelesen und es hat mir gefallen. Es ist solide Krimikost, nicht ganz so schwermütig, was mir zugesagt hat, und gut konstruiert, auch wenn die Handlung nicht spektakulär ist. Die Ermittlung in einem 60 Jahre alten Fall mit lauter erkalteten Spuren habe ich als sehr interessant empfunden.
    Die Kürze des Romans (Romänchens) erlaubte mir, es zwischendrin einzuschieben, während man bei den anderen Wallander-Romanen immer etwas mehr Zeit einplanen musste.
    Ich finde es bedauerlich, dass nun kein Wallander-Roman mehr zu erwarten ist und hoffe, dass Mankell sich vielleicht doch dazu entschließt, einen (oder mehrere) Roman(e) nachzulegen, in denen Wallanders Tochter Linda die im Mittelpunkt stehende Ermittlerin ist.

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  • Kurt Wallanders Fall „Mord im Herbst“ ist recht unspektakulär und im Vergleich zu anderen Fällen nicht besonders umfangreich, aber für alle Fans ein absolutes MUSS!


    Besonders erwähnenswert, finde ich, das Nachwort. Mankell beschreibt, wie seine Figur Wallander entstanden ist und wie es mit Kurt und Linda Wallander endet. Mir hat auch gut gefallen, dass am Ende noch einmal alle Fälle chronologisch aufgeführt und kurz wiedergegeben werden. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: :bewertung1von5: