Tobias Smollett: Humphry Clinkers Reise

  • Der Autor:
    Tobias Smollett (1721-1771) wurde im schottischen Dalquhurn geboren, studierte in Glasgow Medizin und war einige Jahre lang Schiffsarzt in der Karibik. Nach seiner Rückkehr lebte er in London, zunächst als Arzt, dann als Schriftsteller. Er übersetzte Cervantes' «Don Quijote» und gab verschiedene Zeitschriften heraus - aufgrund darin getätigter kritischer Aussagen wurde er wegen Verleumdung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Seine pikaresken Romane zeichnen sich durch exzentrische Gestalten, schlagfertige Dialoge, einen unerschöpflichen Einfallsreichtum und glänzende Situationskomik aus. (Quelle: amazon.de)


    Inhalt:
    Matthew Bramble, ein wohlhabender Waliser, beschließt, sich mit seiner Familie auf eine Reise durch England und Schottland zu begeben. Sein Neffe Jeremy soll intellektuell davon profitieren, er selbst verspricht sich davon eine Besserung seiner unzähligen Zipperlein, seine Schwester Tabitha soll bestenfalls endlich einen Mann finden, der bereit ist, sie zu heiraten, und Nichte Liddy soll von ihrem Liebeskummer geheilt werden, nachdem ihr Anbändeln mit einem jungen Mann unbekannter Herkunft fast zu einem Skandal geführt hätte.
    Die Reise führt die Familie durch die verschiedensten kleinen und großen Orte - und Bramble ist eigentlich nie zufrieden. Bath ist ihm zu überfüllt und der Kurort scheint ihn nur noch kränker zu machen, London ist ohnehin ein Sündenpfuhl - und immer muss er sich Sorgen um Tabitha machen, die sich jedem heiratsfähigen Mann an den Hals wirft. Erholsam ist die Reise jedenfalls nicht zu nennen, zumal auch Speisen und Getränke nur in den seltensten Fällen mit denen aus Wales mithalten können.
    Die abenteuerliche Reise beschert der Familie aber auch einen interessanten Reisegefährten namens Humphry Clinker, der zwar vollkommen verarmt ist und nicht einmal ein Hemd besitzt, aber ein Herz aus Gold hat und sich der Familie gegenüber als so hilfsbereit und dankbar erweist, dass Bramble ihm kurzerhand eine Anstellung gibt, um Clinkers Auskommen zu sichern und auch, weil er sich in der Gesellschaft dieses Mannes sehr wohlfühlt.
    Im Verlauf der langen Reise begibt sich die Familie in so manche lustige Situation, und eigentlich sind alle bis auf Jeremy auf der Suche nach etwas, das sie im Leben glücklich machen kann. Doch auch wenn es scheint, als ob Brambles (eingebildete) Leiden zusehends besser werden, ist es fraglich, ob Tabitha endlich das Herz eines Mannes für sich gewinnen wird - und vor allem, wie Liddy ihren Liebeskummer überstehen soll, zumal ihr Geliebter der Familie heimlich zu folgen scheint...


    Meine Meinung:
    Der Roman hat in meiner Ausgabe eine ellenlange Einleitung und im Anhang hunderte von Erläuterungen. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass mich das ziemlich abgeschreckt hat. Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass kaum ein Roman aus dieser Zeit etwas zum "Nebenherlesen" ist, aber ein Buch, das zig Seiten an Erläuterungen braucht... das war erstmal abschreckend.
    Dann aber habe ich mich daran gesetzt und mit dem Lesen begonnen, Stück für Stück, und ich habe es geschafft, mich auf den Roman einzulassen. Meiner Meinung nach kann das problemlos gelingen, wenn man Englandliebhaber ist und wenn man den Humor der Briten schätzt, denn was Smollett hier ganz großartig macht, ist, dass er die Briten aufs Korn nimmt: manchmal, indem er Bramble oder andere Familienmitglieder kommentieren lässt, wie unmöglich dies oder jenes ist, mal, weil seine Protagonisten selbst sich so urkomisch verhalten, dass man wirklich lachen muss.
    Der Roman ist in Briefform verfasst worden und entsprechend bekommen wir als Leser verschiedene Perspektiven geliefert. Das war am Anfang recht gewöhnungsbedürftig, aber man kommt nach einer Weile gut damit klar. Jeremy fungiert als eine Art Haupterzähler; da er kaum Zentrum der Handlung ist, hat man das Gefühl, ihm am meisten trauen zu können. Er ist ein kluger, sehr witziger Beobachter, und er bringt Szenen gut auf den Punkt. Besonders mochte ich aber Liddys Briefe an ihre Freundin, denn auch wenn diese selten sind, so wird doch hier immer wieder deutlich, wie groß der Liebeskummer der jungen Frau ist, und dass die Reise nicht wirklich dazu beiträgt, dass sie sich beruhigt.
    Lange Zeit habe ich mich gefragt, warum der Roman den Titel "The Expedition of Humphry Clinker" trägt, und es wird auch wirklich erst zum Schluss klar. Zum Ende des Romans ist unbedingt zu erwähnen, dass hier plötzlich alles aufgelöst wird, sich Verzahnungen von Handlungen ergeben und man als Leser beigebracht bekommt, was man eben aus dieser Geschichte zu lernen hat. In einem modernen Roman hätten mich all solche Facetten zu einem wütenden "überkonstruiert!" verleitet, aber für einen Roman aus dem 18. Jahrhundert gehört das eben dazu und hat mir gut gefallen.
    Traut euch, Englandfreunde und -freundinnen! Der Roman verdient es, nicht vergessen zu werden!
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Das ist wohl ein Buch aus der Kiste mit den 31 Beutebüchern aus UK? :wink:

    Dann aber habe ich mich daran gesetzt und mit dem Lesen begonnen

    Hast Du dann die Introduction einfach ausgelassen und direkt mit dem Roman begonnen? Das habe ich manchmal getan, wenn mir die Vorreden zu umfangreich waren. Wenn mir die Romane gefallen haben, habe ich die Einführung anschließend noch gelesen.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Das ist wohl ein Buch aus der Kiste mit den 31 Beutebüchern aus UK?

    Nein, das hatte ich schon seit Jahren... aber an meine Bücherkistenbeute geht es heute Abend wieder. :wink:

    Hast Du dann die Introduction einfach ausgelassen und direkt mit dem Roman begonnen? Das habe ich manchmal getan, wenn mir die Vorreden zu umfangreich waren.

    Ja, ich habe die Introduction weggelassen. Ich habe beschlossen, dass ich den Roman so lesen will wie jeden anderen auch. Das Vorwort habe ich dann später tatsächlich noch quergelesen und festgestellt, dass es wirklich unheimlich viel verrät. Nick Hornby hat mal gesagt, dass es ihn nervt, dass Herausgeber von Klassikern oft Vorwörter schreiben, bei denen klar wird, dass sie denken, dass kein Mensch diese Bücher "for fun" liest. Das trifft auf diese Einleitung auch zu. Ich habe mich überraschen lassen und hatte viel Spaß mit dem Buch. :wink: