Daniel Kehlmann - F

  • Da schreibt ein junger Schriftsteller einen Roman, der sich in wenigen Jahren zu einem der meistverkauften deutschen Bücher Nachkriegszeit entwickelt, in bisher 46 Sprachen übersetzt wurde und eine gefeierte Verfilmung erlebte. Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ war ein wirklich gutes Buch, und die sind wirklich sehr selten. Er hat danach zwei Bücher nachgelegt, die auch gut aufgenommen wurde, aber dann war Pause. Zehren vom Ruhm, die vielen Einladungen, die Medienpräsenz, vielleicht auch finanzielle Aspekte seitens des Verlags solange sich der Bestseller und die Nachfolger gut verkaufen – es sind alles nur Spekulationen. Auch die Gründung einer Familie und die Geburt eines mittlerweile vierjährigen Kindes können kein wirklicher Grund für eine so lange Pause sein.


    Wenn man beim Lesen des neuen, mit viel Vorschusslob hochgejubelten Romans von Daniel Kehlmann etwa in der Mitte angelangt ist, und bis dato jegliche Hoffnung auf eine positive literarische und kompositionelle Wendung des Buches aufgegeben hat, dann beschleicht den Rezensenten ein immer stärker werdendes anderes Gefühl. Da ist ein guter Schriftsteller an einem Buch gescheitert, das er vielleicht nie hätte schreiben sollen. Und sein Lektor hat ihm nicht geraten, es zu lassen und noch einmal ganz neu anzufangen. Denn der Literaturbetrieb ist hart und die bohrenden Fragen, wann denn nun endlich ein neues Buch käme, wollten gar nicht aufhören. Eines ist klar: Daniel Kehlmann hat sich mit diesem Buch keinen Gefallen getan und sein Verlag ihm ebenso wenig.


    Da wird von drei Brüdern erzählt und ihrer Geschichte mit ihrem Schriftstellervater, der zunächst nichts schreibt, dann aber mit einem dubiosen Roman „Mein Name sei Niemand“ einen zweifelhaften Erfolg hat, um danach wieder in eine Schreibhemmung zu fallen. Martin, der älteste Bruder aus einer früheren Beziehung des Vaters ist ein katholischer Priester, der den Glauben verloren hat (wenn er denn je einen besaß) und daraus keine Konsequenzen zieht, sondern einfach so weiter macht. Die beiden Zwillingsbrüder Eric und Iwan lernen Martin kennen, als sie sieben sind. Eric wird ein Investmentberater, der 2008, in dem Jahr, in dem das Buch hauptsächlich spielt (auch das ein Hinweis darauf, wie lange sich Kehlmann mit dem Roman gequält hat?) alles verliert. Iwan ist Maler, homosexuell, der aber wegen seiner eigenen Mittelmäßigkeit kein Erfolg hat, sich an einen alten Maler heranmacht und diesen mit grandiosen Fälschungen und einem genialen Plan, der die Kunstwelt hinters Licht führt, zum Erfolg führt und sich selbst zum reichen Mann macht.


    So weit, so gut. Aus diesem Stoff hätte man vor zwei drei Jahren ein gutes Buch machen können. Aber die Handlungsstränge sind wenig durchdacht, die Zusammenhänge zwischen den jeweiligen Geschichten der drei Brüder, die sich am Ende des Buches auftun, bleiben banal. Auch hier hätte man mehr damit machen können. Niemand entwickelt sich wirklich in diesem Buch. Es herrscht ein immer langweilig werdender Stillstand in einer Umgebung, die doch in permanenter Veränderung ist.


    Für mich ein erneuter Hinweis darauf, dass dieses Manuskript schon vor langer Zeit begonnen wurde, dann liegen gebelieben ist, und nun auf eine auch handwerklich schlechte Weise zu einem unbefriedigenden Abschluss gebracht worden ist.


    Ich wünsche Daniel Kehlmann von Herzen, dass er dieses Buch schnell hinter sich lassen kann und sich an einen neuen Roman setzt. Vielleicht gibt das Leben als Familienvater und der tägliche Kontakt mit einem Kind neuen Stoff.

  • Eric wird ein Investmentberater, der 2008, in dem Jahr, in dem das Buch hauptsächlich spielt (auch das ein Hinweis darauf, wie lange sich Kehlmann mit dem Roman gequält hat?) alles verliert.

    Ist der Kommentar Ihr Ernst? :shock: Ich habe das Buch noch nicht gelesen, aber was hat denn das Jahr, in dem sich eine Handlung abspielt, mit der Zeit zu tun, die ein Schriftsteller zum Verfassen eines Buches nimmt? Das sind doch zwei völlig verschiedene Punkte.

    So weit, so gut. Aus diesem Stoff hätte man vor zwei drei Jahren ein gutes Buch machen können.

    ?( Ich verstehe diesen Kommentar überhaupt nicht, könnten Sie das bitte näher erläutern?

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    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • winfried Stanzieck


    "Vielleicht gibt das Leben als Familienvater und der tägliche Kontakt mit einem Kind neuen Stoff."


    Ich stelle mir gerade vor, dass das Kind (Bub oder Mädel ?) von Daniel Kehlmann und seiner Frau erkrankt, Vater Kehlmann wacht an dessen Krankenbett und startet dann voll durch ...


    ... als männliche Version von Astrid Lindgren. :dwarf::queen::king:


    Sogar wenn Kehlmann nach "Der Vermessung der Welt" ein grottenschlechtes Buch nach dem anderen schreiben würde, ändert das nichts daran, dass er seine "Jugendjahre" gut genützt hat. Danach kann man ja eigentlich nur "schlechter" schreiben, das erzeugt selbstverständlich Schreibhemmungen, die aber am Text selbst ja nicht nachweisbar sind. Kehlmann hat ja nicht seine handschriftlichen Notizen - mit einem Datum der Erstversion versehen - als Roman "F" veröffentlicht. Diesbezüglich schließe ich mich der Verwunderung von Hypocritia an.

  • Ich habe gezögert, mir den frisch auf den Buchmarkt gekommenen Roman "F" zu kaufen. Stattdessen fuhr ich dann mit Markus Gassers "Das Königreich im Meer. Daniel Kehlmanns Geheimnis" nach Hause. Der Kehlmann-Experte Gasser hat mir meine Kehlmann-Euphorie gründlich ausgetrieben. In seinem TB "Königreich im Meer" hat er auch bereits "F" in seine Darstellung des (bisherigen) Gesamtwerkes Kehlmanns mit hineingenommen.


    Eine Kostprobe: "Niemals zuvor war Kehlmann einfühlsamer, ermunternd heiterer, unbeschwerter und dann wieder gefahrvoll bedrohlicher als in F." (S. 150) Dieses Lob im Superlativ erzeugt Misstrauen. Dahinter verbirgt sich die naive Theorie, dass ein Bestsellerautor nach einer Schaffenspause (War sie wirklich sooo lang ?) wiederum sich selbst übertroffen hat. ---> Kehlmann auf dem Weg zum Olymp der Schriftstellergötter. Der Thron des Zeus ist ihm sicher ? :pray::pray::pray:


    winfried Stanzieck
    Ich persönlich habe nach etlichen Kehlmann-Romanen die Prädominanz männlicher Protagonisten schon sowas von satt. Ja, insofern würde ich mir auch wünschen, dass endlich einmal eine TOCHTER oder eine EHEFRAU im Roman vorkommt, aber nicht als blondlockiges, sabberndes, über den kostbaren Perserteppich krabbelndes Kleinkind (vgl. "Beerholms Vorstellung"), sondern als zentrale Figur der Handlung.


    P.S.: Es wird schon einen Bauchgefühl-Grund gehabt haben, warum ich "F" nach dem "Beschnuppern des Inhalts" nicht gekauft habe. Das Cover ist auf jeden Fall irgendwie Stephen-King-artig. Hat mir absolut nicht gefallen. Vielleicht deshalb wieder weggelegt ?

  • Herzlichen Dank für die Einschätzungen dieses Buches.
    Ich habe doch schon einige Artikel darüber gelesen, besonders dieser
    Quelle: http://www.nzz.ch/aktuell/feui…ter-der-manege-1.18145933 hat mich sehr inspiriert und mir den Roman schmackhaft gemacht.
    Ganz interessant klingt das Interview mit dem Autor,
    Quelle: http://www.faz.net/aktuell/feu…rfolg-angst-12553007.html


    Bin gepannt auf weitere differenzierte Meinungen.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter


  • Martin, der älteste Bruder aus einer früheren Beziehung des Vaters ist ein katholischer Priester, der den Glauben verloren hat (wenn er denn je einen besaß) und daraus keine Konsequenzen zieht, sondern einfach so weiter macht.


    Ich habe heute "F" neuerlich direkt in der Buchhandlung überflogen. Hocherfreulich, dass Daniel Kehlmann seine extrem lange währende Vorliebe für exklusive Verwendung der indirekten Rede endlich überwunden hat. (Sein Debütroman "Beerholms Vorstellung" und "Ruhm" bildeten dabei m.M. nach die berühmte Ausnahme von der Regel.)


    Ausgesporchen wohltuend fand ich wiederum Kehlmanns Entscheidung, wiederum Priester - in der Figur des Pfarrers Martin u. Angehöriger des Jesuitenordens (wie sollte es auch anders sein) die Karikatur hoch x :colors: - in sein zentrales Figurenensemble aufzunehmen. Ich fand die Episode im Kath. Jugendzentrum ausgesprochen treffend. (Kehlmann scheint zumindest keine allzu traumatisierenden Erlebnisse aus seiner Schulzeit in der Jesuiten-Eliteschule Kalksburg davongetragen zu haben. 8) )


    Dass im Kapitel "Familie" jeder erste Satz der einzelnen Absätze mit dem monotonen Subjekt "der Vater" beginnt, hat mir nicht gefallen.


    Es wundert mich, dass es "F" mittlerweile auf Platz 3 der Bellektristik-Bestseller bei THALIA geschafft hat. ?(

  • Daniel Kehlmann - F


    Inhalt (Quelle: Verlagsseite):
    Es ist der Sommer vor der Wirtschaftskrise. Martin Friedland, katholischer Priester ohne Glauben, übergewichtig, weil immer hungrig, trifft sich mit seinem Halbbruder Eric zum Essen. Der hochverschuldete, mit einem Bein im Gefängnis stehende Finanzberater hat unheimliche Visionen, teilt davon jedoch keinem etwas mit. Schattenhafte Männer, sogar zwei Kinder warnen ihn vor etwas, nur: Gelten diese Warnungen wirklich ihm, oder ist etwa sein Zwillingsbruder Iwan gemeint, der Kunstkenner und Ästhet, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht? Schon nimmt das Unheil seinen Lauf.


    Daniel Kehlmann erzählt von drei Brüdern, die – jeder auf seine Weise – Betrüger, Heuchler, Fälscher sind. Sie haben sich eingerichtet in ihrem Leben, doch plötzlich klafft ein Abgrund auf. Ein Augenblick der Unaufmerksamkeit, ein Zufall, ein falscher Schritt, und was gespenstischer Albtraum schien, wird wahr.




    Über den Autor (Quelle: Verlagsseite):
    Daniel Kehlmann, 1975 in München geboren, lebt in Berlin und Wien. Sein Werk wurde unter anderem mit dem Candide-Preis, dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung, dem WELT-Literaturpreis, dem Per-Olov-Enquist-Preis, dem Kleist-Preis und dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet. Der Roman «Die Vermessung der Welt», in bisher 46 Sprachen übersetzt und von Detlev Buck verfilmt, wurde zu einem der erfolgreichsten deutschen Romane der Nachkriegszeit. Daniel Kehlmann ist Mitglied der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur sowie der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.




    Meine Meinung:
    Es geht um die Friedlands: Vater Arthur, der sich als Familienvater unfrei fühlt und deshalb zweimal vor der Verantwortung flieht und jeweils eine Ehefrau und Söhne im Stich lässt, um künftig seine Existenz dem Schreiben von merkwürdig nihilistisch gefärbten Erzählungen zu widmen.
    Der älteste und etwas dickliche Sohn Martin, der sich unfrei fühlt, weil seine Mutter von ihm erwartet, dass er Mädchen umwerben und eine Freundin haben soll, eine möglichst hübsche noch dazu. Er flüchtet in den Beruf des Pfarrers, obwohl er nicht an Gott glaubt, weil der Katholizismus ihm, der sich immer unsicher im allgemeinen Wettkampfdruck des Lebens fühlt, eine Position, eine Haltung und ein Argument in allem bietet.
    Die Zwillinge Eric und Iwan: Eric muss vor seinen Klienten flüchten, denn er fürchtet sich vor der drohenden Aufdeckung seiner Fehlspekulationen, mit denen er als Investitionsberater das Geld seiner Klienten verzockt hat. Iwan lüchtet sich in die Identität eines anderen Malers, weil seine eigene handwerkliche Mittelmäßigkeit nicht ausreicht, damit er sich als er selbst auf dem Kunstmarkt behaupten könnte.


    Der Buchstabe „F“ – ein seltsamer Titel für ein Buch, der mich sofort neugierig gemacht hat – kein Wunder, dass ich mich bei der Lektüre geradezu auf jedes Wort gestürzt habe, das mit dem sechsten Buchstaben aus dem Alphabet beginnt (der Buchstabe „F“ hat mich im Laufe des Buches regelrecht fasziniert :lechz: ). Gefunden habe ich dabei unter anderem „Flucht, Fiktion, Furcht, Fehler, Fatum, Frustration, Fälschung, Familie, fabulieren, Feigheit, Fragen, Freiheit“ und „Fügung“, auf S. 94 sogar eine Erwähnung von „facebook“, und ich denke, alle diese Begriffe haben mehr oder minder mit den Dreh- und Angelpunkten des Inhaltes zu tun, auf die der Autor in seinem Buch „F“ anspielt:

    • worin besteht eigentlich das wirkliche Leben, wenn man das Gefühl, hat, man lebe ein falsches Leben, nicht das Leben, das man eigentlich möchte
    • Inwieweit wird das Leben jedes einzelnen beeinflusst durch die Erwartungen der Anderen bzw. der Allgemeinheit, inwieweit durch eigene Entscheidungen und inwieweit durch den Zufall
    • Die mit den ersten beiden Punkten eng zusammenhängende Frage nach Schein und Sein, also nach vorgespielter und tatsächlicher Identität


    Kehlmann verdeutlicht einige zentrale Aspekte im Buch anhand zahlreicher Details, wie z.B. Schein und Wirklichkeit, und zwar nicht nur darin, dass jeder der drei Brüder etwas vortäuschen muss, was er im Grunde genommen gar nicht ist (weil der Pfarrer tief drinnen nicht an Gott glaubt, weil der Investmentberater den erfolgreichen Geschäftsmann mimen muss, weil Iwan den ganzen Kunstmarkt mit einer fingierten Maleridentität manipuliert), sondern auch in Kleinigkeiten wie z.B. auf S.20 das gemalte, falsche Gewölbe im Theater und die Frage Iwans, wie man denn in der Malerei so etwas vorgaukeln kann, oder wenn sich alle während der Hypnose-Vorstellung gezwungen fühlen, so zu tun, als wäre es ihr Wille, mitzumachen. Dann der Hypnotiseur selbst, der am Anfang auf alle wie der „große Meister“ wirkt, aber am Schluss als kleiner Wahrsager auf einem Jahrmarkt sich über sein enttäuschendes Dasein als Hypnotiseur in der Vergangenheit beschwert. Als Wahrsager bringt er gar nichts mehr zuwege, jetzt kann er niemanden mehr täuschen. Auch wie manipulative Kritiker den Wert gesamter Lebenswerke einzelner Maler absichtlich beeinflussen, die den richtigen Zeitpunkt abpassen und dann mit positiven und negativen Kritiken Bewegung in den Kunstmarkt hineinbringen, wird von Kehlmann als Farce entlarvt (Farce – schon wieder ein F-Wort). „F“ ist vollgepackt von solcher Detailarbeit bis an die Seitenränder, wenn man aufmerksam liest. Wer Spaß hat an der Entdeckung solcher Details, der wird mit dem Buch auf seine Kosten kommen. Wer dagegen nur eine vordergründig erzählte Geschichte sucht, der wird mit „F“ weniger anfangen können.


    Aber dass sich in diesem Buch auf jeden Fall die große Frage nach Selbstverwirklichung (mit der damit einhergehenden Flucht vor Verantwortung) versus dem Sich-Einfügen in die öffentliche Erwartung stellt (mit all dem Lug und Trug und der Täuschung, die mit der Anpassung an allgemein anerkannte Maßstäbe, wie Geld, Status etc. einhergeht), das steht ganz klar und deutlich in den Seiten. Solche Fragen erscheinen mir als Kern dieser Lektüre nicht nur beachtenswert, sondern auch sehr gut und leicht lesbar umgesetzt mit all den humorigen Details und den ins Komische überzogenen Charakteren.


    Fairerweise muss man dazu sagen, dass der Autor diese Punkte anscheinend nur als Fragen (F wie Fragen?) aufwirft, Antworten liefert er nicht, soweit ich erkennen kann – umso besser, denn das sind Fragen im Leben, die ich mir nicht allzu gern von einem besserwisserischen Lebenshilfeberater beantworten lasse – sie sind mir wichtig genug, um gerne mal mein eigenes Hirn dazu in Gang zu setzen. Umso besser auch, dass ein Autor wie Kehlmann Leser wie uns dahingehend anstößt, noch dazu mit seinem überall im Buch gegenwärtigen lakonischen Humor (ich habe nie laut gelacht, aber ich habe mich durch das gesamte Buch hindurch geschmunzelt, so viel Humorvolles fand ich an oft ganz unerwarteten Stellen). Außerdem, und das ist für mich beinahe das Wichtigste am Buch überhaupt, empfand ich das Buch in seiner Abrundung als freundlich, warm und tröstlich. Durch den schönen Schluss schafft der Autor es meiner Meinung nach, den Leser in eine positive Denkrichtung zu schieben, ohne jedoch einer Antwort Vorschub zu leisten. Einzig und allein der rotund nihilistischen Attitüde des Vaters Arthur wird in den Gesprächen mit seinen Söhnen Einhalt geboten, aber auch dies empfand ich im Buch als wohltuend.


    Ich zumindest habe die Lektüre so sehr genossen, dass ich „F“ an einem einzigen Tag durchgelesen habe. Von den sechs für den Deutschen Buchpreis 2013 nominierten Büchern, die ich mittlerweile gelesen habe, hat mir Kehlmanns „F“ ganz klar am besten gefallen, sowohl vom Unterhaltungswert her als auch in Bezug auf den gedanklichen Nutzen. Schade, dass das Buch nicht für die engere Auswahl berücksichtigt wurde. Von mir: :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

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    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

    Einmal editiert, zuletzt von Hypocritia ()

  • Klappentext:


    Es ist der Sommer vor der Wirtschaftskrise. Martin Friedland, katholischer Priester ohne Glauben, übergewichtig, weil immer hungrig, trifft sich mit seinem Halbbruder Eric zum Essen. Der hochverschuldete, mit einem Bein im Gefängnis stehende Finanzberater hat unheimliche Visionen, teilt davon jedoch keinem etwas mit. Schattenhafte Männer, sogar zwei Kinder warnen ihn vor etwas, nur: Gelten diese Warnungen wirklich ihm, oder ist etwa sein Zwillingsbruder Iwan gemeint, der Kunstkenner und Ästhet, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht? Schon nimmt das Unheil seinen Lauf.


    Daniel Kehlmann erzählt von drei Brüdern, die - jeder auf seine Weise - Betrüger, Heuchler, Fälscher sind. Sie haben sich eingerichtet in ihrem Leben, doch plötzlich klafft ein Abgrund auf. Ein Augenblick der Unaufmerksamkeit, ein Zufall, ein falscher Schritt, und was gespenstischer Albtraum schien, wird wahr.


    Der Autor:


    Daniel Kehlmann, 1975 in München geboren, lebt in Berlin und Wien. Sein Werk wurde unter anderem mit dem Candide-Preis, dem Heimito-von-Doderer-Preis, dem WELT-Literaturpreis, dem Per-Olov-Enquist-Preis, dem Kleist-Preis und dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet.


    Roman, 380 Seiten


    Meine Meinung:


    Mir hat hier vor allem die sehr lakonische und größtenteils ironische Sprache des Autors gefallen. Zunächst wollte ich aber einmal wissen, was es mit dem Titel auf sich hat. Nun, dabei handelt es sich um eine Romanfigur eines Buches, mit dem der Vater, der im Klappentext erwähnten Brüder später erfolgreich wird. Der Titel ist "Mein Name sei niemand".

    Zitat

    S. 85: Den Anfang bildet eine altmodische Novelle über einen ins Leben aufbrechenden jungen Mann, von dessen Namen wir nur den ersten Buchstaben erfahren: F.

    Aber vorher muss der Vater erst einmal seine Familie und sein bisheriges Leben hinter sich lassen. Wahrscheinlich hat dieses Verschwinden dann auch den "Knacks" zur Folge, den alle drei seiner Söhne auf irgendeine Art davontragen. Denn deren Lebenswege entwickeln sich dann auch mehr oder weniger tragisch.


    Da ist zunächst einmal der älteste Sohn Martin, der ebenso wie seine beiden Halbbrüder als Ich-Erzähler von einem einzigen Tag, dem 08.August 2008, berichtet, jeweils aus einer unterschiedlichen Perspektive. Der Roman unterteilt sich verschiedene Abschnitte mit entsprechender Überschrift. Es wird aber nicht nur von diesem einen Tag erzählt, sondern die Handlung macht zum Schluss noch einen Sprung über mehrere Jahre und Marie, die Tochter von Eric, dann im Mittelpunkt.


    In dem Abschnitt "Das Leben der Heiligen" gibt es einige witzige Selbstreflektionen des mit seinem Glauben hadernden Martin. Er zelebriet hier gerade gerade eine Messe und macht sich so seine Gedanken.


    Zitat


    S. 57: Fast könnte man denken, diese Menschen glauben tatsächlich, eine Oblatenscheibe werde zum Körper eines gekreuzigten Mannes, aber natürlich glauben sie es nicht. Man kann das nicht glauben, man müsste geistesgestört sein.


    S. 58: Ich breche die Hostie, schiebe sie mir in den Mund und genieße für einen Moment den trockenen Geschmack. Gottes Körper ist das eher nicht, aber es schmeckt.


    Während Martin nun also mit seinem Glauben und seinem nie nachlassenden Hunger zu kämpfen hat, verliert sich sein Halbbruder Eric in Wahnvorstellungen und gleitet immer mehr aus der Realität. Vergesslichkeit und Blackouts sind dabei wohl die Folge eines übermäßigen Medikamentenkonsums. Außerdem hat er als Finanzberater einige ziemlich üble Dinge gedreht. Und auch sein Zwillingsbruder Iwan betätigt sich derweil erfolgreich als Kunstfälscher.


    Mein Fazit: Irgendwie entwickelt sich zwar keine richtige chronolisch gleichmäßige Handlung, aber der Text ist sehr vergnüglich und gut zu lesen. Es gibt keine "Knalleffekte" und wirkliche Überraschungsmomente, aber ich hatte trotzdem Spass beim Lesen und deshalb ist meine Bewertung: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Jeder Tag, an dem ich nicht lesen kann, ist für mich ein verlorener Tag!

    2 Mal editiert, zuletzt von birgitk ()

  • Das Thema Hegelsche Philosophie in „F“:


    Ich wollte das nicht in die Rezension mit hineinsetzen, aber in „F“ tauchte bei mir immer wieder so ein Ahnungsblitz in Bezug auf Hegel auf. Dass Kehlmann Hegel beim Schreiben ständig im Hinterkopf gehabt haben könnte, wäre nicht verwunderlich, denn der Autor hat Philosophie studiert, auch seine Vermessung der Welt hat er deutlich „verhegelt“.


    Mittlerweile bin ich ziemlich fest davon überzeugt, dass Kehlmann auch in „F“ den Hegelschen Idealismus umgesetzt hat, u.a. mit den Konzepten Vernunft und Verstand. Auch das Thema in sich zurückkehrender, sich aufhebender Begriffe taucht meines Erachtens auf, das kam mir z.B. an den Stellen in den Sinn, an denen die einzelnen Söhne mit ihrem Vater dessen Bücher diskutieren. Witzig ist ja auch, wie Kehlmann darstellt, wie Wertmaßstäbe in der Welt der überhaupt geschaffen werden (welchen Effekt Kunstkritik hat oder wie Prognosen auf dem Finanzmarkt wirken). Da kehrt der Begriff auch wieder in die Idee des Begriffs zurück und hebt sich auf, wenn ich das richtig verstehe?


    Es ist schwierig für mich, diese Position einzunehmen, da ich Philosophie im Allgemeinen als verwirrend empfinde und mich nicht damit auskenne, aber ich trau‘ mich an dieser Stelle einfach mal (Risikooooo! :lechz: ) - vielleicht kann jemand, der sich mit diesem großen Philosophen der Aufklärung halbwegs auskennt , Kehlmanns neues Buch diesbezüglich ein bisschen genauer unter die Lupe nehmen und meine Thesen bestätigen oder entwerten (mit Begründung, bitte – Danke im Voraus). 8-[


    Ich möchte ein Beispiel bringen, an dem ich glaube, dass die Umsetzung von Hegel im Buch besonders deutlich wird, und zwar ist das die von Herrn Stanzick als banal abgetane Beziehung unter den Brüdern. Nehmen wir die Beziehung der Zwillinge Eric und Iwan zueinander. Ich glaube, dass darin der Begriff „Bewusstsein“ nach Hegel schriftstellerisch umgesetzt wurde. Allerdings spoilere ich hier besser, da sonst möglicherweise zu viel aus dem Inhalt verraten wird.


    Wenn man sich das recht skurrile Ende des Buches durchliest und den Gedanken vom Bewusstsein, das sich zur Vernunft entwickelt hat, weiterspinnt, könnte man mit einigem Sinn für Humor möglicherweise sogar eine Art von versuchter Aussöhnung zwischen Philosophie und Theologie sehen. Ich weiß nicht, wo ich es gelesen habe, aber ich meine, irgendwo etwas von Hegels Bemühung zur Aussöhnung dieser beiden Bereiche überflogen zu haben.


    Wie gesagt, ich weiß überhaupt nicht in der Philosophie Bescheid, aber ich möchte immerhin an dieser Stelle die Überlegung einbringen, wie viel an gedanklicher Arbeit hinter diesem Buch stecken könnte – wenn dem so sein sollte, dann wäre „F“ weder langweilig noch schlecht ausgearbeitet – allenfalls würde uns Lesern die nötige Kenntnis fehlen, um das Buch entsprechend würdigen zu können. Damit möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich nicht glaube, dass der Autor an seinem Werk gescheitert ist, wie Herr Stanzick im Eröffnungspost ohne jedwede Begründung behauptet - wenn Kehlmann denn überhaupt mit seinem Buch „F“ an irgendetwas gescheitert wäre, was ich hiermit rundum ablehne, dann allerhöchstens an dem einen oder anderen Leser, aber an sonst nichts.




    Was Herr Kehlmann z.B. über Literaturkritik denkt, (diese Meinung spiegelt sich auch im Kapitel über Iwan und die Kunst in „F“ meines Erachtens deutlich wider) das kann man sich im Video „Durch die Nacht mit Josef Hader und Daniel Kehlmann“ aus dem Jahr 2010 mit den beiden in Wien ansehen (etwa bei Minute 17). Das Video scheint mir in seiner gesamten Länge lohnenswert, den Besuch in der Buchhandlung (von etwa Minute 15 bis 20) sollte man sich jedoch auf keinen Fall entgehen lassen. :thumleft: Auch zum Thema Bestseller und wie ein Bestseller einen Schriftsteller dazu bringen kann, etwas ganz Anderes machen zu wollen, nehmen die beiden Stellung (etwa Minute 24 bis 26). Bei Minute 37:50 bis 42.00 tauschen sich Hader und Kehlmann noch einmal zum Thema Theater- und Literaturkritiken aus – sehr unterhaltsam und empfehlenswert :dance:

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    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

    Einmal editiert, zuletzt von Hypocritia ()

  • Herzlichen Dank euch beiden Birgitk und Hypocritia für die interessanten und ausführlichen Rezensionen nun kann ich mich mit großer Freude auf dieses Buch einlassen. War ich doch schon fast überzeugt von diesem Buch durch die.Artikel in den Medien, jetzt stimmt es. :)

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Endlich bin ich soweit, meine Gedanken zu diesem faszinierenden Buch aufzuschreiben. Zum Autor und Inhalt muss ich nicht mehr viel erzählen, das haben meine Vorredner ja bereits getan.
    Das Buch umfasst 380 Seiten und ist in 6 treffend titulierte Kapitel unterteilt.



    Meine Meinung:
    Natürlich hatte ich mir dieses neue Buch von Kehlmann schon auf die Wunschliste gesetzt – ich mag Kehlmann und seinen Stil, ich habe bereits die „Vermessung der Welt“ und „Ruhm“ mit Genuss gelesen. So richtig neugierig wurde ich dann durch die oben stehende erste Rezension des Buches – ich konnte mir diesen Verriss überhaupt nicht erklären, aber grade dadurch gewann das Buch eine sehr große Faszination im Vorfeld.


    Ich hatte noch nicht richtig angefangen und war schon in der Geschichte entschwunden – auf Anhieb hat Kehlmann es geschafft, mich einzufangen mit seinem Stil, aber auch mit seiner Geschichte – die mit einer Art Familienausflug beginnt. Es ist die einzige Episode, in der die vier männlichen Protagonisten zusammen auftreten – nur dieses eine Mal erleben wir den Vater zusammen mit all seinen Söhnen. Und erleben auch auch gleich die Skizzierung aller Charaktere – eigentlich sind alle vier bereits in diesem ersten Kapitel klar erkennbar, finde ich. Hypocritias Darstellung der Männer kann ich mich nur anschließen. Die weiteren Kapitel sind zum einen den Söhnen gewidmet, geschrieben aus jeweils deren persönlicher Sicht – deren Erinnerung an Kindheit und Jugend sowie deren Erleben dieses einen Tages im August 2008, kurz vor der großen Krise. Eingeschoben ist ein „Familienkapitel“ und das Ende bildet die Sicht der Enkelin auf diese Männer ihrer Familie – ein interessanter Kontrast. Dass es erneut wieder nur männliche Protagonisten sind, stört mich dabei überhaupt nicht – warum soll ein Autor denn partout auf einmal weibliche Protagonisten einsetzen? Vielleicht ist Kehlmann ja auch einfach klug genug zu wissen, welche Protagonisten er überzeugend zeichnen kann und welche nicht.


    Zitat

    „Zitat Hypocritia:
    Kehlmann verdeutlicht einige zentrale Aspekte im Buch anhand zahlreicher Details, wie z.B. Schein und Wirklichkeit“


    Die Bereiche des Scheins und Wirklichkeit hat Hypocritia bereits sehr klar belegt. Überhaupt kann ich mich ihrer hervorragenden Rezension eigentlich nur anschließen. Deshalb schreibe ich hier auch nur noch so meine eigenen Gedanken auf, die mir v.a. in den zwei Wochen nach Beendigung des Buches kamen. So denke ich mittlerweile, dass eigentlich nur der Vater schlussendlich das Leben lebt, das er leben möchte. Indem er ausbricht und alle im Stich lässt, um nichts zu tun außer ein paar Romane zu schreiben und sein Leben ansonsten mit Nichtstun zu verbringen, verlässt er jeden Schein und bildet sich seine Wirklichkeit, sein Leben wie er es sich erträumt. Er bricht mit dem für ihn „falschen“ Leben – als einziger in dieser Geschichte. Aber erkennt er dabei die Zusammenhänge zwischen Schein und Wirklichkeit oder ist er einfach nur egoistisch? Immerhin setzt sich dieser Vater in seinem eigenen Roman wohl durchaus auch mit Schein und Wirklichkeit auseinander, denn das „Familienkapitel“ kommt mir vor, als sei es dem Roman im Roman entnommen und in die Geschichte platziert worden. Hier trifft ja auch die noch nachvollziehbare Wirklichkeit der Vater-Generation auf die immer mehr erdichteten Vaterfiguren der Jahrhunderte zuvor..... Diese Frage wie auch alle anderen beantwortet uns Kehlmann nicht. Wie Hypocritia finde auch ich es nur positiv, wenn ein Autor einem nicht alle Fragen beantwortet sondern darauf vertraut, dass wir unseren eigenen Geist benutzen können, um uns mit den von ihm in den Raum gestellten Fragen auseinander zu setzen.
    Ganz stark erinnert mich der Aufbau des Buches mit seinen Einzelgeschichten an den Vorgänger „Ruhm“ - einzeln erzählte Geschichten verbinden sich am Ende zu einem großen Ganzen, erst am Ende werden die Knoten der Handlungsstränge gelöst und miteinander verbunden. So wie in „Ruhm“ auch erst ab der Mitte des Buches die Zusammenhänge der Geschichten erkennbar werden. Diese Art des Aufbaus hat mich damals schon fasziniert und auch hier wieder komplett überzeugt. Während man sich beim Lesen noch manchmal die Frage stellen mag „was soll das jetzt?“, so werden die Bezüge und Zusammenhänge später ganz klar und einfach. Kehlmanns Humor und die Überzeichnung der Charaktere haben mich gefesselt und vielfach beim Lesen Grinsen lassen – besonders am Ende in der Beziehung der beiden Brüder.


    Zur Hegelschen Philosophie in diesem Buch kann ich leider gar nichts sagen, da kenn ich mich überhaupt nicht aus. Aber ich habe Hypocritias Ideen dazu gerne gelesen.


    Mein Fazit:
    Ein absolut lesenswertes Buch – wenn man seinen Kopf mit benutzen möchte und eine gewisse Art des Humors liebt. Ich habe jede Seite genossen weshalb ich auch 4,5 Sterne vergeben habe.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Ich habe soeben das Buch zu Ende gelesen und bin ganz selig, dass meine Erwartungen nicht enttäuscht worden sind. Als ich oben die Beiträge gelesen habe, zog ich zuerst scharf die Luft ein, weil die ersten Meinungen sich so gar nicht mit mit meinem Eindruck deckten, aber dann konnte ich ja doch wieder entspannt ausatmen ;).
    Herrn Stanzicks Verdacht, dass die Idee zum Roman schon seit ein paar Jahren in den Schubladen schlummerte und vielleicht auch schon als fragmentarische Teile zu unterschiedlichen Zeiten zu Papier gebracht worden und jetzt in den Roman gewoben worden sind, ist vielleicht gar nicht von der Hand zu weisen. Ich würde dies aber nicht als Mangel verbuchen sondern als Entwicklungsprozess. Kehlmann schwadroniert in seinem Roman an verschiedenster Stelle über den Kunstbetrieb, der Vermarktung, der Abhängigkeit des Wertes von der Erwartung des Käufers, der Frage der Aussenwirkung, ob man ein Werk unabhängig vom Schöpfer bewerten kann, wann man wirklich von Kunst sprechen kann- Fragen, die sich Kehlmann als noch junger, ziemlich bejubelter Schriftsteller sicherlich häufig in den letzten Jahren gestellt hat, und jetzt sehr geschickt, fast schon selbstironisch, dem Leser stellt. Ist dieses Buch Blendung oder tatsächlich Kunst? Ich würde sagen letzteres.
    Das einzige Bedauern, das mir zur Stunde bleibt, ist das Gefühl, das Buch nicht aufmerksam genug gelesen zu haben- so viele Querverbindungen und Selbstbezüge konnte ich am Ende entdecken. Wie in einer kleinen Schatzkiste musste ich immer wieder in den Seiten kruschteln und kramen, um das ein oder andere wieder zu finden (dabei hatte Arthur ja bereits darauf hingewiesen, dass sein neuester Roman viele versteckte Hinweise enthalten wird ;)).


    Ein Thema, das Thema des Buches ist die Frage: Was ist Wirklichkeit, insofern kann ich Hypocritias Idee, dass Kehlmann Bezug auf Hegel nimmt, gut nachvollziehen, nur habe ich gar keine Ahnung von Philosophie, kann diese Hypothese also auch nicht belegen. Allerdings entstand bei mir ebenfalls der Eindruck, dass das Buch etwas Versöhnliches hat, insbesondere, als Martin endlich seinen Frieden findet, indem er sich eingesteht, dass er einfach nicht glauben kann, sondern seiner Vernunft folgen muss - und damit wahrscheinlich ein hervorrangender Pfarrer wird (Hypocritias Idee von der Versöhnung zwischen Theologie und Philosophie).
    Spannend fand ich, wie Kehlmann, eng verbunden mit der Frage nach der Wirklichkeit, die Frage nach dem Glauben aufwarf. Hierbei nahm er nicht nur konventionell Bezug auf Religion, sondern auch auf das Phänomen der (Auto-)Suggestion im Allgemeinen. In wie weit suggeriert uns die Gesellschaft, unser Gegenüber (die Hypnoseshow;)), was wir sein und denken sollen? Sind unsere Anschauungen unsere eigenen oder fremdbestimmt? Gibt es einen freien Willen? Wie Squirrel oben andeutet, bricht Arthur als einziger mit dem "Schein", hadert aber sein Leben lang mit der Frage, ob dieser Schritt fremdbestimmt war oder wirklich frei. Und ob er wirklich glücklich damit ist, bleibt offen (irgendwo liest sich sinngemäß der Satz "Manchmal helfen weder die Lüge noch die Wahrheit")
    Ich finde übrigens nicht, dass man Kehlmann vorwerfen kann, nur männliche Hauptfiguren verwendet zu haben. Marie nimmt auf stille Art und Weise eine Schlüsselposition ein, und liest man den Exkurs in die Ahnenreihe aufmerksam, taucht sie dort schon ziemlich früh auf.


    Also auch mein Fazit:
    Absolut lesenswert.

    :study: Junge mit schwarzem Hahn- Stefanie vor Schulte


    No two persons ever read the same book (Edmund Wilson)