Das ist nach mehreren Romanen mein erster Kurzgeschichtenband dieses amerikanischen Autors, und jetzt stelle ich mir ernsthaft die Frage, ob T.C. Boyle nicht sogar ein besserer Kurzgeschichtenautor als Romanautor ist.
Das Buch beinhaltet im Großdruck eine Auswahl von acht Erzählungen, die bereits früher in seinen Erzählbänden »Greasy Lake und andere Geschichten«, »Wenn der Fluss voll Whisky wär«, »Schluss mit cool« und »Zähne und Klauen« veröffentlicht wurden.
Was haben die Geschichten gemeinsam?
Sie sind randvoll gestopft mit typisch Boyle’schen Skurrilitäten und Sarkasmus, einige kritisieren übertriebene Attitüden der modernen Gesellschaft, einige beschäftigen sich mit der verzweifelten Suche nach menschlicher Zweisamkeit bzw. mit den Werten familiärer Beziehungen.
Die sprachliche Prägnanz des Autors ist für mich auf beinahe jeder Seite ein Genuss gewesen. Darüberhinaus weiß dieser Autor hundertprozentig, wo genau die perfekte Stelle für den Schlusspunkt in jeder Geschichte liegt: er führt den Leser oft genug gemächlich und mit sehr guter Unterhaltung an den Rand eines Abgrundes, und genau da lässt T.C. Boyle den Leser unvermittelt stehen. (Auf dass dieser die Geschehnisse selbst gedanklich verarbeiten möge? – Einen Versuch scheint es zumindest wert … )
Der Band beinhaltet folgende Kurzgeschichten:
Moderne Liebe: der verzweifelte Versuch eines Mannes, eine Beziehung zu einer Frau mit hohen hygienischen Ansprüchen zum Laufen zu bringen
Wenn der Fluss voll Whisky wär: ein Alkoholiker und seine Beziehung zu seinem Sohn während eines Familienurlaubs am See
Windsbraut: die unerwartete Beziehung zwischen einem Einheimischen auf einer Insel auf den schottischen Hebriden und einer amerikanischen Vogelfotografin (gehört zu meinen absoluten Favoriten - geniales Ende )
Torschlusspuder: die Rivalität zweier ungeschlachter Männer aus dem entlegenen Boyne, Alaska, um die Gunst einer gebildeten Städterin aus Kalifornien, die zusammen mit hundert anderen Frauen auf der Suche nach einem „Mann mit traditionellen Werten, Rückgrat und mumm in den Knochen“, für ein Wochenende nach Anchorage gereist ist. (hier trifft man einige Details aus Boyle’s Drop City und World’s End wieder, für mich die zweitbeste Geschichte im Buch )
Als ich heute Morgen aufwachte, war alles weg, was ich mal hatte: ein Mann erfährt in einer Bar die Geschichte eines Alkoholikers, den tragischen Verlusten ihm nahestehender Menschen
Zu allem bereit: ein Mann, der im Bestreben nach maximaler Sicherheit alle erdenklichen und kostspieligen Vorkehrungen für sein Überleben und das seiner Familie im Falle eines weltweiten Zusammenbruchs trifft, erfährt, wie viel seine Sicherheit eigentlich wert ist
Chicxulub: der tragische Verlust des eigenen Kindes durch einen Unfall, die Unabwendbarkeit im persönlichen, individuellen Schicksal versus die Unabwendbarkeit des kosmischen Zufalls, mit einem unglaublichen Ende (die für mich beste Geschichte im Buch, zweifellos )
Zähne und Klauen: eine afrikanische Wildkatze als Köder für eine Romanze zu einer weiblichen Schönheit, eine verliebte Romanze als Heilmittel gegen Langeweile?
Neben T.C. Boyle’s Romanen World’s End und Drop City ist dieser Erzählband jetzt zu meinen Favoriten dieses Autors aufgerückt, jede einzelne der acht Geschichten sind meiner Meinung nach mehr als lesenswert. Keine Frage - von mir gibt es