Michael Ende: Der Spiegel im Spiegel

  • Dieses Buch ist eine Sammlung von 30 Traumvisionen Michael Endes. Aber es sind keine schönen, angenehmen Träume, sondern dunkle, surreale Visionen, die fast alle etwas Beklemmendes und Verstörendes haben. Dabei sind die Erzählungen (oder sind es überhaupt Erzählungen?) auch thematisch miteinander verknüpft. Kommt in der einen Geschichte eine Hochzeit vor, wankt in der nächsten Geschichte ein Bräutigam durch eine unendliche Wüste. Löst in der einen Geschichte jemand eine komplizierte mathematische Gleichung, werden Teile dieser Gleichung in der nächsten Geschichte als Lautsprecherdurchsage in einem gigantischen Bahnhof durchgegeben. Auf diese Weise sind die Geschichten labyrinthartig miteinander verbunden und verzahnt.


    Dieses Buch ist von allen Büchern Michael Endes, die ich kenne, sicherlich das dunkelste. Und dennoch kann man, wenn man sich auf diese Düsternis einlässt, stundenlang damit verbringen, über die mögliche Bedeutung dieser Traum-Erzählungen nachzugrübeln. Nur sollte man aufpassen, dass man sich darin nicht verliert, sonst ergeht es einem wie dem Bräutigam in der Wüste, der erst als alter Mann sein Ziel erreicht und dann nichts mehr damit anfangen kann.


    Ich gebe diesem Buch :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: Sterne.


    Biographie (von Amazon):
    Michael Ende wurde am 12. November 1929 in Garmisch als Sohn des
    surrealistischen Malers Edgar Ende geboren. Bereits in den 40er Jahren
    schrieb er erste Gedichte und kleinere Erzählungen. Nach dem Krieg
    besuchte er die Schauspielschule in München, arbeitete anschließend u.
    a. für den Bayerischen Rundfunk und verfaßte Sketche und Lieder für
    Kabaretts. Von 1971 bis 1985 wohnte Michael Ende in den Albaner Bergen
    südlich von Rom, dann als freier Schriftsteller in München. Er starb am
    18. August 1995 in Stuttgart.

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    "Wenn wir einen Menschen hassen, so hassen wir in seinem Bilde etwas, was in uns selber sitzt.
    Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf."
    (Hermann Hesse: Demian)

  • Vielleicht sollte man hier noch mal deutlich anmerken, daß das kein Kinderbuch ist.
    Ich habe es nämlich mit ich glaube 12 oder 13 Jahren geschenkt bekommen, weil ich "Die unendliche Geschichte" so toll fand - und war hiermit komplett überfordert.

  • Ein junger Mann, dem Flügel aus dem Rücken wachsen. Ein Feuerwehrmann, der an einem Ort, der irgendwas zwischen Bahnhof und Kathedrale darstellt, als einziger eine Gefahr entdeckt. Ein Bräutigam, der sich entkräftet durch eine endlose Wüste schleppt, um endlich zu seiner Braut zu gelangen. Einbeinige Bettler, eine Hurenstadt, ein rätselhaftes Museum, unbestimmte Bedrohungen, Willkür, besondere Fähigkeiten.


    Scheinbar ohne irgendeine Logik reihen sich kurze Episoden aneinander, gleichzeitig merkwürdig und von eindrücklicher Kraft. Im Mittelpunkt stehen immer wieder andere Menschen, meist namenlos, die willkürlich ausgesucht scheinen. Hat man sich aber eine Weile auf dieses mit "Ein Labyrinth" untertitelte Buch eingelassen, stellt man fest, dass die einzelnen Kapitel gar nicht so zusammenhanglos sind, wie es zunächst aussieht.


    "Der Spiegel im Spiegel" ist kein fortlaufender Roman, keine lineare Geschichte. Der Untertitel bringt es gut auf den Punkt, dieses verschlungene Geflecht von Vignetten ähnelt einem verschnörkelten Labyrinth, das auf den ersten Blick völlig unüberschaubar erscheint und doch ein in sich geschlossenes Ganzes darstellt. Motive (häufig der christlichen Symbolsprache entlehnt) werden immer wieder aufgegriffen, Personen kreuzen in anderer Rolle wieder auf, Orte spielen erneut eine Rolle. Ende-Kenner werden auch den einen oder anderen Anklang an "Momo" und "Die unendliche Geschichte" erkennen.


    Das Ganze liest sich verstörend, sonderbar, absurd, surreal, manchmal gar eklig, unappetitlich, grotesk. Vieles wirkt märchenhaft, manches auch sehr
    realistisch.


    Ende widmet sich existentiellen Fragen, ohne sie explizit auszusprechen. Seine Figuren sind auf der Suche - nach dem Sinn des Daseins, nach einem Ausweg, nach einer Lösung, vielleicht sogar nach Erlösung. Orientierungslosigkeit und Verlorenheit ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch, die Charaktere stecken oft in ausweglos scheinenden Situationen fest. Die Vergänglichkeit und (gefühlte) Vergeblichkeit des Lebens ist häufig spürbar, eine gewisse Melancholie liegt wie ein Schleier über der Welt irgendwo zwischen Realität und Traum, die Ende hier darbietet. Dazu passen auch die mysteriös anmutenden Illustrationen aus der Feder von Endes Vater Edgar.


    Ganz bestimmt kein 08/15-Buch und auch nicht zu vergleichen mit den tiefsinnigen, aber perfekt wegschmökerbaren anderen Büchern Endes. Es ist ein Experiment, ein Labyrinth eben, auf das man sich einlassen muss und das immer wieder mit kleinen Aha-Erlebnissen, eindrucksvollen Bildern im Kopf, dem einen oder anderen Denkanstoß und einer fast 35 Jahre nach Erscheinen ein wenig altmodisch gewordenen, aber wunderschönen Sprache belohnt.