Inhalt (amazon.de):
"Der Zweck heiligt die Mittel, oder? Den einen Menschen loszuwerden, der die Verantwortung für dieses ganze verfluchte System trägt, scheint mir ein ziemlich kleiner Preis dafür zu sein, eine Revolution in Gang zu setzen."
Auf der Flucht vor der Republik schließen sich June und Day den Patrioten an, um Days Bruder zu retten und in die Kolonien zu entkommen. Doch die Patrioten fordern eine Gegenleistung: June und Day sollen Anden, den neuen Elektor, töten. Eine Tat, die all dem Unrecht und der brutalen Unterdrückung ein Ende bereiten könnte. Als June jedoch begreift, dass der neue Elektor ganz anders ist als sein Vorgänger, beginnt sie zu zweifeln: Was, wenn Anden einen neuen Anfang darstellt? Was, wenn politische Veränderung nicht unbedingt Tod, Vergeltung und Gewalt bedeuten muss? Was, wenn die Patrioten falsch liegen?
Über die Autorin (Cover von Legend 1: Fallender Himmel):
Marie Lu wurde 1984 in Shanghai geboren und lebte für einige Zeit in Texas, bevor sie an der University of Southern California studierte. Das kalifornische Wetter hat sie überzeugt dortzubleiben und nun wohnt Marie Lu mit ihrem Freund und drei Hunden in Pasadena, einem Vorort von Los Angeles. Vor ihrem Erfolg als Autorin arbeitete sie als künstlerische Leiterin bei einem Unternehmen, das Videospiele produziert. Marie Lu mag Cupcakes, fröhliche Menschen, Kampfjets, Regen und natürlich Bücher. Legend – Fallender Himmel ist ihr Debüt.
Allgemeines zum Buch:
Es ist abwechselnd aus der Sicht von June und Day verfasst (jeweils ein Kapitel lang).
Die gebundene deutsche Ausgabe hat laut amazon.de 448 Seiten, während die englische Taschenbuchausgabe 371 Seiten aufweist.
Die Handlung knüpft nahtlos an den ersten Band an, es gibt kaum Rückblicke.
Meine Meinung:
Was für ein Buch… Eine Stunde ist es her, dass ich es beendet habe und beruhigt habe ich mich immer noch nicht. Es hat mich in vielerlei Hinsicht tief bewegt und aufgewühlt, sodass ich unbedingt etwas dazu sagen muss.
Vor dem Lesen hatte ich mich eigentlich auf gar nichts eingestellt. Ich war einfach nur gespannt, wie es nach dem ersten Band weitergeht, den ich für ganz gut befunden habe. Unbewusst aber scheine ich davon ausgegangen zu sein, dass bei dieser Trilogie dasselbe zu beobachten gewesen wäre, wie bei vielen anderen dieses Genres – das sogenannte „Sterben“ des zweiten Bandes. Die, die mehrere dystopische oder postapokalyptische Reihen gelesen haben, wissen, wovon ich rede, sprich: Der erste Band ist toll, der zweite ist unfassbar schlecht und der dritte ist gegebenenfalls ganz OK oder sogar besser/schlechter als der zweite Band. Da war ich natürlich umso erstaunter, dass es dieser zweite Band doch tatsächlich geschafft hat, den ersten Band zu überholen. Kaum zu glauben, aber wahr – diesen Band finde ich sogar noch besser als den ersten Band der Trilogie. Wie kommt das?
Zunächst einmal das, was auf der Hand liegt. Die Handlung ist so angelegt, dass es zwischendurch fast keine Durchhänger gibt. Im Vergleich zum ersten Band wird das besonders deutlich. Während dort einige Ruhepausen zu finden sind, wird hier konsequent weitergemacht, sodass man förmlich an den Seiten klebt. Stellenweise war ich sogar so vertieft, dass ich den Wechsel des Ich-Erzählers zwischen den Kapiteln ausgeblendet habe und mich wunderte, wieso der jeweilige Protagonist plötzlich anders denkt.
Die Protagonisten sind eins der sympathischsten Duos, die mir in Büchern je begegnet sind. Sie haben eigene ausgeprägte Persönlichkeiten, sie sind bewundernswerte junge Menschen, die schwierige Entscheidungen zu treffen haben und sie bringen die Leser dazu, sie ins Herz zu schließen. June hat ihre eigene Art, die Dinge zu sehen, sie wurde darauf trainiert, nichts für bare Münze zu nehmen, ihr Umfeld genau zu beobachten und zu ihrem Vorteil auszunutzen. Beeindruckend gut ergreift sie alle Chancen, die sie hat, behält einen klaren Kopf und gibt nicht auf. Das Beste an ihr ist, dass sie nicht unüberlegt handelt, was ihren Schritten eine größere Erfolgschance zusichert. Um sie selbst zu zitieren, „es ist unwichtig, wie hart man den Gegner trifft, es kommt darauf an, wie genau man es tut.“
Day ist viel Leid widerfahren, genau wie Junes wurde auch seine Familie fast vollständig ausgelöscht, er wurde körperlich und moralisch verletzt, beinahe von einem Erschießungskommando hingerichtet und musste sein Leben auf der Straße verbringen, ständig gegen Hunger und Kälte ankämpfen. Dennoch ist er stark geblieben und schafft es trotz allem, anderen Menschen Halt zu geben, obwohl dieser ihm selbst viel zu oft unter den Füßen entrissen wird. Day trifft eigene Entscheidungen, wenn er es für nötig hält, doch ist er insgesamt sehr verlässlich. Seine Wut auf die Regierung steht ihm manchmal im Weg, doch er kann auch, wenn es auch nicht einfach ist, seine Überzeugungen durch andere Menschen verändern oder beeinflussen lassen, er hat ein offenes Ohr für sie. Obwohl er aus einfachen Verhältnissen stammt, obwohl er kein Staatsmann ist und im Gegensatz zu June nicht viel mit Politik anfangen kann, obwohl er so jung ist – für seine Ideale kämpft er. Er stellt nicht in Frage, ob es ihm gelingen wird. Wenn er eine Chance sieht, ergreift er sie. Zwar führt das teilweise zu impulsiven Entscheidungen, doch der Vorsatz, immer nach seinem Herzen zu handeln, ist untrennbar mit ihm verbunden. Das Beste an ihm, seine stärkste Eigenschaft ist es also: Sein Herz.
Das sind Day und June: Herz und Verstand. Sie wirken echt, weil sie im Gegensatz zu vielen anderen Protagonisten nicht unbesiegbar sind. Sie haben ihre Schwächen, ihre Fehler, sie sind auch mal egoistisch, aber dadurch bekommen sie unbeschreiblich viel Tiefe. Man möchte sie am liebsten vor allen Übeln beschützen, die ihnen widerfahren und man selbst leidet daher richtig mit ihnen mit. Lu hat in diesem Band sehr viel Feinarbeit geleistet, sowohl im Hinblick auf die Ausführung der Geschichte des Landes, wie es also zu der Republik kam, als auch im Hinblick auf die Beziehungen zwischen den Charakteren. Es gibt keinen Randcharakter, der blass bleibt, jeder ist sorgfältig ausgearbeitet und hat seine Gründe dafür, dass er so ist, wie er ist. Die Verhaltensmuster wirken überhaupt nicht aufgesetzt oder gezwungen, alle fügen sich sehr natürlich ins Bild. Kaede erhält in diesem Band übrigens eine große Rolle zugeteilt und auch sie habe ich richtig ins Herz geschlossen. Ihr sarkastischer Humor ist einfach klasse und ihre Persönlichkeit sticht ungemein heraus. Ebenfalls war mir Anden, der neue Elektor, sehr sympathisch. Man glaubt es kaum, aber dadurch, was er sagt und wie er es sagt, will man als Leser immer weniger, dass dieser ruhige, freundliche, aber auch autoritäre, junge Mann, der lediglich seinem Volk helfen möchte, umgebracht wird. Generell ist das ganze Buch im Hinblick auf die Gefühle eine richtige Achterbahnfahrt. Von den ersten Seiten an ist man gefangen und wird in die jeweilige Stimmung mühelos versetzt. Sei es Freude, Triumph, Komik oder Trauer, Enttäuschung, Wut – die ganze Palette überträgt sich auf den Leser. Zweimal habe ich sogar Tränen vergießen müssen, was bei mir so gut wie gar nicht vorkommt. Beim ersten Mal war es nur eine, aber bei zweiten Mal habe ich richtiggehend geschluchzt. Ich vermute, das lag einfach am Schock im Bezug auf die Situation und im Hinblick auf alles, was bis dahin passiert ist. Meinen Respekt dafür, dass Lu es geschafft hat, die Figuren einem derart ans Herz zu legen und solche Reaktionen hervorzurufen. Doch auch zum Lachen hat das Buch mich bringen können oder auch zum Schnauben. Mehrmals habe ich die Luft anhalten müssen. Ich wundere mich schon, dass ich das Buch emotional überhaupt überlebt habe .
Der Schreibstil von Lu ist hervorragend. Ich habe das Buch im Original gelesen und kann es nur weiterempfehlen, ob die deutsche Übersetzung da gerecht wird, kann ich natürlich nicht beurteilen. Der erste Band, den ich auf Deutsch gelesen habe, kam da schon nah dran, trotzdem ist es natürlich nicht dasselbe. Zwischen Days und Junes Gedankenwelt kann man sprachlich definitiv Unterschiede feststellen und die Darstellung der Welt an sich ist einfach atemberaubend, wobei es bei kurzen, prägnanten Beschreibungen bleibt. Die ganze Zeit hatte ich das Geschehen so klar vor Augen, als ob ich kein Buch lesen, sondern einen Film sehen würde. Lus Liebe zu Kampfjets, die in den Informationen über die Autorin erwähnt wurde, kommt hier natürlich richtig zur Geltung, d.h. man erlebt einen Flug wirklich ausgesprochen hautnah mit. Dieses Abtauchen ins Buch hat es mir sicherlich auch schwer gemacht, Pausen beim Lesen einzulegen. Permanent war ich in den Gedanken „da drin“. Selbst jetzt noch habe ich das Gefühl, ich bin in einem fremden Land gewesen, das ich ungern verlassen habe.
Im Buch werden ganz nebenbei auch wichtige Themen wie z.B. Unterschied zwischen Arm und Reich, die Regierung und ihre Verantwortung gegenüber den Bürgern, Schuld und die Fähigkeit zur Vergebung und natürlich Vertrauen angesprochen, was mir super gefallen hat. Das Letztere ist sowieso die Basis in der Beziehung und Zusammenarbeit zwischen Day und June. Würden sie einander nicht so sehr vertrauen und sich auf das Urteil des anderen verlassen, wie viel hätte da schiefgehen können! Das gegenseitige Vertrauen hat ihnen Möglichkeiten zum selbstständigen Handeln eröffnet, die ansonsten nicht dagewesen wären.
Fazit:
Starke Charaktere, tolle Geschichte, viel Tiefgang – ein Buch, das den Leser packt und nicht mehr loslässt, bis er selbst nicht mehr loslassen will. Wem der erste Band gefallen hat, wird diesen zweiten mit großer Sicherheit lieben. Von mir gibt’s .