Ödön von Horvath: Jugend ohne Gott

  • Und von kreativer Namensgebung hat der Autor wohl auch noch nie etwas gehört, mit seinem "Schüler Z." usw.


    Ich denke es liegt nicht daran, dass Horvath keine Namen einfielen .... liegt vielleicht eher daran, dass jeder beliebige Name für diesen Buchstaben stehen kann .....

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Ich schließe mich einmal mehr der Begeisterung Rosalitas an und kann dieses Buch nur empfehlen!


    Der Ich-Erzähler gehört also zum Lehrkörper eines Gymnasiums und unterrichtet Geschichte und Geographie. Schnell erkennen wir den Rahmen einer Gesellschaft – im Großen und im Kleinen – die zwar nie mit eindeutigen (historischen) Namen beschrieben wird, dennoch ziemlich klar identifiziert werden kann als die militaristische, kriegshinführende und uniformierte Diktatur, in die sich das Deutsche Reich im Laufe der 30iger Jahre verwandelt hat (die „Pflicht zum Kriege“ und andererseits die Undenkbarkeit der Gleichheit der Menschen; ein Buch „Die Würde des menschlichen Lebens“ wird streng verboten etc.). Man könnte das Geschehen – wenn man es denn will auf 1936 oder 1937 einkreisen. Und auch bei den Einzelnen sind wir eben im „Zeitalter der Fische“: die „Unbeweglichkeit der Seele“ und Gleichförmigkeit wird mit dem Antlitz eines Fisches verglichen.


    Was für herrliche Seitenhiebe Horvath hier abgibt! Und man erkennt hinter all dem seinen Entschluss aus der Periode der Abfassung von „Jugend ohne Gott“ (1937):
    „So habe ich mir nun die Aufgabe gestellt, frei von Verwirrung die Komödie des Menschen zu schreiben, ohne Kompromisse, ohne Gedanken ans Geschäft. Es gibt nichts Entsetzlicheres als eine schreibende Hur. Ich geh nicht mehr auf den Strich (...)“
    Man mag erahnen, dass man also in der Ich-erzählenden Lehrergestalt, die von Zurückhaltung hin zu kompromissloser Offenheit und Zivilcourage findet, auch etwas von den eigenen Überlegungen und Kämpfen Horvaths in dieser Zeit findet!


    Mit den gesellschaftlichen, politischen Seitenhieben und Bezügen kann man durchaus solche Ebenen erkennen: die Frage von „Schuld“, Mitwissertum, Vertuschertum, Distanzierung, Zivilcourage.


    Ich erinnere mich an eigene „langweilige“ Schullektüren, die manches Buch vermiesten. Man wünschte sich anderes... Dennoch stimmt es mich heute etwas nachdenklich, ja traurig, falls solch ein wichtiges Buch aus einer Schlüsselzeit Deutschlands (und einer immer wieder aktuellen Infragestellung diktatorialer Gesellschaften) als „langweilig und öd“ oder aber als „moralische Zeigefinger“ empfunden werden.


    Ich sah etwas Faszinierendes gerade auch in einer anderen Thematik des Buches, die ich nicht als „moralisch“ bezeichnen würde (wenn sie es dann wäre, dann: prima! Mehr davon!!!): Der „wissende“ Lehrer hält sich anfänglich aus verschiedenen Gründen bedeckt, will seine Pension nicht verlieren, findet nicht zu einer Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, anderen gegenüber. In diesem Maskenspiel hat er auch keinen Zugang zu Gott, bezeichnet sich als Ungläubiger. In dem Maße, wo er sich von der Last der Rolle und der Ängste freimachen kann, offen seine Schuld und Verstrickung erkennt, legen sich auch die anderen Beziehungen offen! Plötzlich erfährt er Erleichterung, ja sogar Heiterkeit, Sorglosigkeit trotz des Verlustes aller Sicherheiten. Zunächst mag er (vor Gericht) alleine dastehen, doch schnell ergeben sich neue Solidaritäten und Freundschaften. In dem Moment ergibt sich wie eine Aufwärtsbewegung, eine Kehrtwende: und der Ich-Erzähler findet zu sich selbst, zu den anderen, und zu Gott (zurück).


    Viel Materie zum Überlegen – ein tolles Buch! Lesen!!!



    Ich sah gerade zufällig, dass es bei Wiki sogar einen riesigen Artikel über das Buch gibt (wer immer dazu noch mehr wissen will oder andere Interpretationsansätze.):
    http://de.wikipedia.org/wiki/J…#Das_Zeitalter_der_Fische

  • Ich habe es erst vor Kurzem erstanden, da ich da schon seit Ewigkeiten herum geschlichen bin. Ich bin auch schon sehr gespannt. Aber wie immer bei Neuem: erstmal Regal- uns SUB-Zeit, dann irgendwann wird's gelesen. :lol:



    In der Schule wird tatsächlich arg viel über den 2. Weltkrieg gesprochen, in Geschichte, Deutsch, Literatur, Religion / Philosophie möglicherweise auch noch. Aber ich finde das nur gut so. Es geht ja nicht nur um Fakten (Geschichte) und die Entwicklung, sondern eben auch um die Kunst und Literatur zu der Zeit, das ist so sehr wichtig. Aber das soll jetzt kein Thema werden, ich wollte nur sagen, dass ich mich daran damals nicht gestört habe.... oder vielleicht betrachte ich das auch nur im Nachhinein so.



    Liebe Grüße!

  • Viel zu lange hat auch dieses Buch auf meinem SuB darauf gewartet gelesen zu werden. Für mich war es auf keiner Seite langweilig gewesen, ganz im Gegenteil. Die Geschichte selbst ist mit gerade mal 142 Seiten meiner Ausgabe recht schnell gelesen, aber wirkt bestimmt noch länger bei mir nach. Faszinierend, dass man von immer wieder anderem Blickwinkel her gesehen etwas neues entdecken kann und die Möglichkeit der Interpretation dadurch recht hoch ist. Vielleicht besteht da die Gefahr, dass man so ein Buch im Deutschunterricht buchstäblich totreden kann? Wie auch immer ich fand es spannend. Der Bezug zur Nazizeit ist recht schnell klar, aber man kann es auch im Hinblick auf jede Diktatur lesen und damit finde ich es sehr aktuell.
    Das keiner der Protagonisten einen Namen hat, sondern nur als B, Z, T oder der Lehrer bezeichnet wird, hat nichts mit einem wenig erfinderischen Autor zu tun, sondern ist -wie es hier im Thread schon erwähnt wurde- ein gelungener Griff des Autors, dass man sich quasi in jeder Person der Geschichte wieder erkennen kann bzw. dass jeder beliebige Name für diesen Buchstaben stehen kann.


    Gelesen habe ich diese Ausgabe mit informativen Kommentaren und Wort- und Sacherläuterungen. Die Worterklärungen empfand ich teilweise als lustig, weil dort auch Wörter wie Spital oder Heuschober erklärt werden, bei anderen Wörtern wie sekkiert (schikaniert/gequält) war ich dann doch froh direkt eine Erklärung dabei zu haben ohne groß nachsehen zu müssen.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • Gelesen war es ja schnell, es gibt auch nichts, was nicht zu verstehen gewesen wäre, und dennoch muss ich zu meiner Schande gestehen, dass mich das berühmte Stück Literatur überhaupt nicht angesprochen hat. Hätte ich nicht gewusst, welcher Ruhm ihm vorauseilt, hätte ich keinen weiteren Gedanken daran verschwendet. Dass Mitläufertum, menschenverachtende Äusserungen und Mord keine Tugenden sind, hätte ich vorher auch schon gewusst, aber sicher fehlt mir das literarische Gen, um hier Tiefsinnigeres zu entdecken.
    Im übrigen geht es mir bei berühmten Werken oft so, dass mein persönliches Fazit lautet: Was ist denn daran nun so grossartig?
    Allerdings war die Werkinterpretation schon in der Schule meine Sache nicht; Literatur muss mich unmiitelbar ohne irgendeine Analyse ansprechen, wenn sie mich erreichen will. In diesem Falle tat sie das wieder einmal nicht.

  • Sicher, Sylli, sind diese von Dir genannten Grundaussagen zutreffend. Aber es genügt (für mich) einfach das Erscheinungsjahr zu berücksichtigen und - schwupp! - bekommt dieses Buch eine Wahnsinnsaktualität und eine quasi Beschreibung von damals ablaufenden Mechanismen, die man erst mal durchschauen musste. Das haben die meisten eben nicht. Insofern meine Begeisterung für von Horvath!