Floortje Zwigtman - Ich, Adrian Mayfield / Schijnbewegingen

  • Inhalt:


    Der 16-jährige Adrian Mayfield lebt im viktorianischen London ein einfaches, aber beständiges Leben. All das ändert sich, als er seinen Job bei einem Herrenausstatter verliert und ihm der gutmütige und egozentrische Maler Augustus Trops die Möglichkeit anbietet, für ihn Modell zu sitzen, gleich wenn der Künstler auch an unmoralischen Dingen interessiert ist. Schon bald kommen sich die beiden näher und der Junge muss feststellen, dass er einem Mann nicht ganz so abgeneigt ist, wie gedacht. Zudem wird er von Trops in die Künstlergruppe um Oscar Wilde und Aubrey Beardsleys eingeführt und lernt dort den stillen und introvertierten Maler Vincent Farley kennen, der nach einem neuen Modell für ein großes Gemälde sucht. Adrian wird engagiert und lernt die Besuche bei dem Maler und seiner Nichte Imogen zu schätzen. Als jedoch der Sommer anbricht und die Adeligen England verlassen, steht der Junge plötzlich ohne Geld und Bleibe da und muss eine folgenschwere Entscheidung treffen …


    Meinung:
    Der Roman "Ich, Adrian Mayfield" von der niederländischen Schriftstellerin Floortje Zwigtman ist der erste Band (im Original genannten) "Groene Bloem" - Trilogie, was übersetzt "Grüne Blume" bedeutet, das damalige Zeichen für Homosexualität, deren bekanntester Träger wohl Oscar Wilde war. Der Auftakte der Trilogie erschien 2005 in den Niederlanden, 2008 veröffentlichte der Gerstenberg Verlag das Jugendbuch. Das der erste Band ein offenes Ende hatte, erschienen 2009 und 2011 die Fortsetzungen "Adrian Mayfield - Versuch einer Liebe" und "Adrian Mayfield - Auf Liebe und Tod". Zudem existiert eine Kurznovelle über Vincents Jugendzeit, die jedoch nur in den Niederlanden erschienen ist. Die Autorin, die im eigentlichen Leben Andrea Oostdijk heißt, konnte mit diesem Werk mehrere niederländische Buchpreise gewinnen und wird nicht zu Unrecht als weiblicher Charles Dickens angepriesen. Zudem wurde "Ich, Adrian Mayfield" für den deutschen Jugendliteraturpreis 2009 nominiert.


    "Ich, Adrian Mayfield" ist ein wundervoll geschriebenes, sehr dichtes und atmosphärisches Werk. Schon nach wenigen Seiten hat man das Gefühl im viktorianischen England zu sein und nahezu jeder Charakter wirkt so lebendig und real, dass man wirklich das Gefühl hat neben Oscar Wilde zu sitzen oder mit Alfred "Bosie" Douglas zu speisen. Floortje Zwigtman gelingt es problemlos ihre fiktiven Figuren mit den realen Persönlichkeiten zu verweben, ohne dass es künstlich oder aufgesetzt wirkt. An Adrians Seite, der durchweg der Ich-Erzähler der Geschichte ist, erlebt man sowohl seinen Aufstieg in die feine und erlesene Gesellschaft, als auch seine Tiefpunkte hautnah, als sich der Adel in den Sommermonaten aus London zurückzieht und er gezwungen ist mit seinem Körper Geld zu verdienen. Dabei ist er eine gut durchdachte, sympathische Figur, in die sich der Leser gut hineinversetzen kann. Im Anschluss des Buches hat man das Gefühl ein Stück Geschichte direkt erlebt zu haben, denn egal wie fiktiv die Handlungsträger sein mögen, der Blick auf die realen Persönlichkeiten bleibt erhalten. Floortje Zwigtman hat viel Zeit in die Recherche gesteckt und das zahlt sich aus. Das viktorianische London wurde bis ins kleinste Detail ausgearbeitet, hier und da streut die Autorin Hinweise auf reale Geschehnisse der Zeit ein, unter anderem natürlich die Vorboten des Prozesses gegen Oscar Wilde.


    Neben den lebendigen, authentischen Charakteren weiß auch die Handlung zu überzeugen. Da es sich um einen Gesellschaftsroman handelt, wird man natürlich Action und große Handlungssprünge vergeblich suchen. Doch das ändert nichts daran, dass das Buch seinen Leser von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. Da Adrian im Laufe der Handlung erkennt, dass er nur an Männern interessiert ist, gibt es durchaus auch einige leicht explizitere Szenen, die in den Niederlanden für Kritik sorgten. Dennoch beschäftigt sich Floortje Zwigtman sehr einfühlsam und stilsicher mit dem Thema Homosexualität, ohne zu sehr über die Stränge zu schlagen, oder die eigentliche Handlung aus den Augen zu verlieren - Adrians Entwicklung in einer dekadenten und oberflächlichen Zeit. Dass im Laufe der Zeit seine Gefühlswelt einen immer größeren Raum einnimmt, ist nur allzu verständlich, doch der Autorin gelingt es in erster Linie einen historischen Jugendroman zu erschaffen, anstelle eines homoerotischen Buches. Dies zeugt von Erzähltalent und macht aus "Ich, Adrian Mayfield" ein gelungenes Jugendbuch, das angenehm aus der breiten Masse heraussticht.


    Fazit:
    "Ich, Adrian Mayfield" ist ein gut recherchiertes, lesenswertes Buch, das man nicht so schnell aus der Hand legen kann. Die Gefühle und Beweggründe des Protagonisten Adrian sind nur ein Teil, der Faszination, den das Werk ausmacht. Einen fest größeren Teil nehmen die anderen, teils historischen Persönlichkeiten ein, denen Floortje Zwigtman Leben einhaucht. Wer historische Geschichten in der viktorianischen Zeit mag und ein Fan von Oscar Wilde ist, sollte dieses Buch lesen. Sehr zu empfehlen.




    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Was für ein wunderschönes Buch. :drunken:


    Ich bin ganz verliebt: In die erfundenen Figuren, den herrlich pathetischen Augustus Trops, die garstige kleine Imogen (die mich etwas an mich selbst erinnerte), die hübsche Mary Ann, sogar in den blutleeren und farblosen Maler Vincent; in die liebevolle, lebhafte Gestaltung der historischen Figuren; in den wunderbaren Stil, sowohl in die blumig-schwungvollen Wortkaskaden, die Augustus über Kunst und Schönheit zu sagen weiß, als auch in Adrians leicht schnoddriges Sinnieren über seine Familie, seinen Vergangenheit, über falsche und echte Freunde; in die Sorgfalt, mit der Zwigtman das viktorianische London zum Leben erweckt.
    Mag sein, dass Zwigtman nicht immer ganz den viktorianischen Stil trifft; sie findet jedoch einen Tonfall, der zur historischen Umgebung passt und der gleichsam den modernen Leser anspricht. Mag sein, dass Adrian etwas sehr eloquent ist für einen 16/17jährigen Jungen aus Ost-London, der die Schule nicht lange besucht hat. Allerdings erzählt die Geschichte auch nicht der junge Adrian, sondern ein Adrian aus einer unbestimmten Zukunft, wahrscheinlich etwas klüger und belesener als sein jüngeres Selbst. Mag auch sein, dass die Geschichte etwas sehr unwahrscheinlich und unrealistisch ist, dass jede noch so große Verzweiflung mit etwas viel Zuckerguss daherkommt. Aber das finde ich in diesem Fall gar nicht schlimm, denn der Roman bleibt, was er ist: Ein wunderschön geschriebenes, liebevolles, gut recherchiertes Buch, das letzten Endes zeitlos ist (im guten wie im schlechten Sinne).


    Das zweite Buch in diesem Jahr, bei dem ich traurig bin, dass ich es ausgelesen habe. Aber es kommen ja noch zwei Fortsetzungen.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Adrian Mayfield ist noch keine zwanzig, als er seine Anstellung bei einem Maßschneider verliert und kurz darauf auch noch seine Bleibe los ist. Der aus einfachen Verhältnissen stammende junge Mann hat schon mehr Krisen in seinem Leben gemeistert und bereits als Jugendlicher erstaunlich lange die Kneipe des versoffenen Vaters vor dem Untergang gerettet - doch diesmal scheint guter Rat wirklich teuer zu sein.


    Schließlich nimmt er doch das Angebot des Lebemannes Augustus Trops an, ihm für seine Malerei Modell zu stehen, und gelangt so in eine ihm völlig neue Welt, die von schillernden Figuren aus der Welt der Künste bevölkert ist und Adrian immer deutlicher vor Augen führt, was er nie wahrhaben wollte: dass er Männer liebt, die Art von Liebe, die Ende des 19. Jahrhunderts in London nicht öffentlich gezeigt oder auch nur angesprochen werden darf, weil sie vor dem Gesetz strafbar ist. Doch gegen seine Gefühle kommt Adrian letztendlich nicht an und erlebt zwischen tiefem Elend und eleganten Ballsälen eine rasante Achterbahnfahrt der Gefühle.


    Ein wundervolles Gesellschaftsporträt und eine großartige Coming-of-Age-Geschichte mit besonderem Fokus auf die Homosexualität der Hauptfigur, in der zahlreiche historisch belegte Persönlichkeiten (Oscar Wilde ist nur einer davon) ihre Auftritte haben.


    Die kongeniale Übersetzung von Rolf Erdorf darf hier nicht unerwähnt bleiben, denn in vielen Fällen so herrlich altmodischen wie treffenden deutschen Formulierungen tragen sehr viel zum Lesevergnügen bei. Nur "Herr" und "Frau" hätte er gerne im Sinne der Authentizität durch "Mr." und "Mrs." ersetzen dürfen.


    Aber davon abgesehen war es mir eine Freude, Adrian Mayfield auf seinem wechselvollen Weg zu begleiten.

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Floortje Zwigtman - Ich, Adrian Mayfield“ zu „Floortje Zwigtman - Ich, Adrian Mayfield / Schijnbewegingen“ geändert.