Almudena Grandes - Der Feind meines Vaters / El lector de Julio Verne

  • Inhalt (Klappentext):
    Nino ist neun und zu klein für sein Alter. Er lebt mit seiner Familie in einer Kaserne der Guardia Civil in einem Dorf Andalusiens. Den Sommer 1947 wird er nie vergessen: Er lernt Pepe den Portugiesen kennen, einen geheimnisvollen Fremden, der sich in der abgelegenen Mühle einquartiert hat und der sein Freund und Vorbild wird. Während sie die Nachmittage am Fluss verbringen, schwört sich Nino, niemals wie sein Vater Polizist zu werden, und fängt an, im "Hof der Rubias" Maschineschreiben zu lernen. Hier leben alleinstehende Frauen, deren Männer als Rote verfolgt wurden. Mit ihnen und Pepe entdeckt Nino seine Leidenschaft für Abenteuerromane. Eine neue Welt eröffnet sich ihm, über Jules Vernes lernt er die seltsamen Dinge zu hinterfragen, die im Dorf passieren. Was hat sein Freund Pepe mit dem Kampf in den Bergen zu tun, der gegen den legendären Freischärler Cencerro geführt wird? Auf einmal gerät Nino selbst mitten in ein Abenteuer und muß sich entscheiden, auf wessen Seite er sich schlägt.


    Autorin:
    Almudena Grandes, 1960 geboren, gehört zu den wichtigsten spanischen Autorinnen der Gegenwart.Für ihr bisheriges Gesamtwerk erhielt sie u.a. den Premio Julian Besreuro. 2011 wurde ihr Roman "Ines y la alegria mit dem Premio Sor Juana Ines de la Cruz ausgezeichnet.


    Allgemeines:
    398 Seiten
    in vier Teilen:
    I. Teil 1947
    II. Teil 1948
    III. Teil 1949
    IV. Teil Ein Krieg, der nie enden wird
    Ninos Geschichte - Anmerkungen der Autorin


    Meine Meinung u.Bewertung:
    Wenn die Wahrheit der Geschichte uns Leser schon schockiert und gefangen nimmt, wie verwirrend und erschreckend muß sie dann auf einen neunjährigen Jungen wirken, der inmitten dieser lebt?
    Sein Zuhause ist eine Kaserne mit hellhörigen Wänden, die nichts verbergen und wo etwas geschieht über das man nicht spricht. Die Kaserne ist ein Ort für sich. Freundschaften außerhalb diesem schier undenkbar. Auch den Angehörigen der Guardia Civil begegnet man mit Vorsicht, Misstrauen, Hass, Ablehnung und Angst. Sein Elternhaus ist liebevoll, beschützend, aber auch voller Gefahr.
    Das ändert sich ein wenig als Pepe, der Portugiese auftaucht, der sich aus allem raus hält und doch alles weiß. Sie schließen eine innige Freundschaft, gehen zusammen schwimmen, Krebse sammeln. Durch ihn findet er die Freiheit der Literatur, erlebt Abenteuer durch Jules Verne, fasst Vertrauen.
    Almudena Grandes berichtet über die Brutalität der Polizisten unter dem Francoregime, über Morde und Folterungen, die Jagd auf den Nachfolger Cencerros, den "Roten", aber auch den gleichen Männer als Familienväter, deren Alltag, und den Konflikten sowie dem Reifeprozess eines kleinen Jungen. Keine Anschuldigung, sondern eher ein Versuch zur späten Versöhnung von Kommunisten und Anarchisten. Ein Buch über Schuld, Sühne, Rache, Verrat, Freundschaft und Liebe. Packend, mitreißend, manchmal unheimlich schockierend, doch auch liebevoll, einfühlsam, einprägsam, und nie düster. Jüngere spanische Geschichte mit Ninos Hilfe aufbereitet.
    Nach dem gefrorenen Herzen mein zweites Buch von Almudena Grandes, das mich begeistert hat. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb::thumleft:


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Im Vergleich zu anderen Kindern seines Alters ist Nino klein. Auch sonst hat er es nicht leicht. Sein Vater gehört zur Guardia Civil; da die meisten Dorfbewohner mit den Freischärlern in den Bergen sympathisieren – meist beteiligt sich ein Familienmitglied bei ihnen –, hat Nino nicht die besten Karten. Seine Eltern sind liebevoll, aber streng.
    Er entwickelt sich zur Leseratte, findet Trost und Vorbilder vor allem in den Romanen von Jules Verne. --- Man hätte den Originaltitel belassen sollen.
    In Pepe, einem Zugezogenen, findet Nino einen erwachsenen Freund. Obwohl dieser eine zwielichtige Rolle spielt, man nicht genau weiß, wo er politisch steht, dulden die Eltern den Kontakt. Das Buch wird aus einer Mischung zwischen kindlichem Erleben und erwachsener Reflexion darüber erzählt.


    Die Familie lebt im Polizeigebäude, und Nino bekommt mit, was eigentlich die Ohren eines Kindes niemals hören sollten: Die nächtlichen Schreie der Gefolterten.
    Er kann sich kein Bild machen. Auf der einen Seite sein Vater, den er innig liebt, und die Kollegen des Vaters, meist gute Freunde – auf der anderen Seite Befehle, Schüsse, Drohungen.


    Grandes schafft es, auch harten Polizisten ein menschliches Gesicht, ein persönliches Schicksal zu geben; auch zeigt sie sehr deutlich, dass nicht jeder so ist wie er scheint. Zu Ninos Entsetzen auch sein Vater. Er muss er lernen, dass es Zwänge gibt, denen zu widersetzen lebensbedrohlich sein kann.


    Die Autorin setzt Kenntnisse der spanischen Historie der 1940er Jahre voraus. Das ist sicher nicht zu bemängeln, im Gegenteil: Es kann verlocken, sich weitere Informationen zu beschaffen.
    Problematisch sind nur das Personengefüge und die Vielzahl der Figuren, die miteinander freundschaft- oder verwandtschaftlich verbunden sind. Einem deutschen, nicht spanisch sprechenden Leser fällt es vor allem schwer, sich die Spitznamen zu merken, die oft Anspielungen auf Beruf, Herkunft, Charakterbesonderheiten der Person sind.
    Laut Nachwort, in dem die Autorin erklärt, sich auf einen biographischen Bericht zu berufen, wollte sie möglichst vielen Beteiligten Gesicht und Stimme geben. Einen Teil der Figuren hat sie der Realität entnommen und ihnen einen anderen Namen gegeben, einen Teil hat sie dazu erfunden.


    Eine unbedingte Leseempfehlung.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Nino ist neun Jahre alt im Jahre 1947, lebt in Fuensanta de Martos, einer kleinen Stadt in der Provinz Jaén in Andalusien. Sein Vater Antonino ist ein Guardia Civil und die Familie wohnt in einer kleinen Wohnung der Kaserne.
    Seine Tage verbringt er zwischen der Schule, sowie mit spielen mit seinen Freunden wobei es hauptsächlich Kinder sind, deren Väter ebenfalls bei der Guardia Civil sind.
    Dieser Sommer jedoch, verändert das Leben von Nino komplett da Pepe, genannt „der Portugiese“ in die Stadt kommt, ein Einzelgänger welcher sich weder um Klatsch und Gerüchte kümmert und nichts kritisiert.
    Pepe wird der beste Freund von Nino und hilft ihm, wie auch Dona Elena welche ihm, der ein begeisterter und wissbegieriger Leser ist, Bücher zum Lesen gibt, die vielen drängenden Fragen denen er sich ausgesetzt fühlt , in den Zeiten der Razzien, Verhaftungen, Folter, Morde, er der aufmerksam hört und vieles sieht, allmählich, auch wenn manches sehr schmerzhaft ist, zu verstehen.
    Denn der Bürgerkrieg in Fuensanta de Martos, Jaén, Andalusien und an vielen Orten Spaniens ist noch nicht beendet und wird nicht beendet sein so lange, wie es Guerillas gibt wie der legendäre Cencerro, und eine Guardia Civil welche bereit ist, alles zu tun, um sie alle, einen nach dem anderen zu töten.


    Eine Lektüre in welcher man miterlebt wie Nino langsam erwachsen wird, er seine, für ihn gültige Wahrheit findet. Man erlebt sein lachen, sein weinen, seinen Kummer, man leidet mit ihm in den Nächten voller Angst in der er, selbst noch ein Kind seine jüngere Schwester schützend in den Arm nimmt, erlebt wie er die Liebe entdeckt.
    Ein packender Roman der mich sehr beschäftigt hat, den man jedoch sehr aufmerksam lesen muss denn die vielen Personen in dieser Geschichte sind ein echte Herausforderung für den Leser.
    Der Roman gehört zum Zyklus »Episoden aus einem endlosen Krieg«

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Inhalt

    Nino rückte als Neunjähriger in die Gruppe der "Großen" auf, als ihm seine Mutter aus einer Glas-Pfandflasche und einer dicken Stoffpolsterung eine Wärmflasche fertigte. Den "Kleinen" vertraute man in Ninos andalusischem Dorf noch keine kostbare Glasflasche an, sie brachten im Winter jeden Morgen einen aufgeheizten Stein mit in die Schule, damit er ihnen im eisigen Klassenzimmer die Füße wärmte. Nino ist das mittlere Kind eines Guardia Civil Polizisten zur Zeit der Franco-Diktatur im Spanien der Nachkriegszeit. Die Familie lebt in der Polizei-Kaserne, Wand an Wand mit den Räumen, in denen Gefangene gefoltert und Frauen vergewaltigt werden. Die Eltern erklären ihren Kindern die unheimlichen Geräusche damit, dass die Kollegen des Vaters nachts Filme sehen würden. Später einmal wird Nino die schwierige Situation seiner Mutter verstehen, die täglich den verwitweten Nachbarinnen in die Augen sehen muss, deren Männer als Unterstützer der "Roten" von ihrem Mann und dessen Kollegen "auf der Flucht erschossen" oder zu Tode gequält worden sind. Ninos Vater hätte seinen Sohn gern ebenfalls einmal im Polizeidienst versorgt gewusst. Doch Nino wächst so langsam, dass die paramilitärische Guardia Civil ihn vermutlich nicht einstellen wird. Der Vater lässt Nino privaten Schreibmaschinenunterricht geben, damit er zukünftig wenigstens damit seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Zwei Erwachsene geben in der beschriebenen Zeitspanne von zwei Jahren Ninos Leben wichtige Impulse: seine Schreibmaschinen-Lehrerin, die mehrere Obstkisten voller Bücher besitzt und freigiebig an Nino verleiht, und Pepe, "der Portugiese", ein Fremder im Dorf, mit dem Nino sich anfreundet. Der Junge selbst erlebt die Ereignisse wie eine Reihe von Abenteuern. Wie Nino hinter den Notlügen seiner Eltern zum Schutz der Kinder allmählich erkennt, wo quer durch das Dorf und mitten durch die Familien die Linie zwischen Freiheitskämpfern und Polizei verläuft, beschreibt die spanische Autorin sehr berührend. Für den erwachsenen Leser sind ähnlich Kassibern für die Aufständischen in den Bergen in der Abenteuergeschichte zusätzliche Botschaften enthalten u. a. zur Rolle des Vaters, der um seine Familie zu ernähren nur die Möglichkeit hat, Befehle eines Unrechtssystems auszuführen.


    Fazit

    Für einen in der Ichform erzählten Roman aus der Sicht eines Neunjährigen überlädt Almudena Grandes ihre Handlung mit zu vielen Details, für die sich ein Grundschüler in Ninos Lebensumständen vermutlich kaum interessiert hätte. Ein extremes Beispiel dafür findet sich auf Seite 311, wo Nino als Elfjähriger (!) über Liebe, Ehe, Schuld, Ehre und Vaterland monologisiert. Die unglaubwürdige Erzählperspektive ist umso verwunderlicher, weil Almudena Grandes sonst exakt beachtet, welche Informationen Nino zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannt sein können und wie er sie aus seiner kindlichen Perspektive interpretiert. Der erwachsenen Leser dagegen kann aufgrund von Ninos Beobachtungen entscheidende Schlüsse viel früher ziehen als der jugendliche Erzähler selbst. Trotz der misslungenen Perspektive bietet der Roman, zu dem die Autorin durch die Kindheitserlebnisse eines Freundes angeregt wurde, neben stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen einen lebendigen historischen Hintergrund, liebenswerte Figuren und eine glaubwürdige Schilderung der Lebensumstände in einem spanischen Bergdorf der 40er Jahre.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Weber - Bannmeilen (Paris)

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Almudena Grandes, Der Feind meines Vaters“ zu „Almudena Grandes - Der Feind meines Vaters / El lector de Julio Verne“ geändert.
  • Ich vergebe dem Buch 3.5 :bewertung1von5: .

    Die Geschichte war an und für sich interessant, wären da nicht einige Minuspunkte:

    - es war ziemlich schnell klar, was das Geheimnisvolle um Pepe ist, der Rest war dann nur seitenfüllende Formalität.

    - zu viele spanische Namen, die sich auch noch ähneln und wobei die Menschen auch noch Spitznamen haben, die wild durcheinander benutzt werden.

    - zu viele unbedeutende Details über diese Menschen.

    - ellenlange Sätze ohne Punkt und Komma, die sich manchmal über eine halbe Seite ziehen können.

    - den Kampf zwischen den Autoritäten und den Rebellen aus den Bergen habe ich dann irgendwann verstanden, das Thema hätte sich nicht so zu ziehen brauchen, da war wenig Abwechslung.


    Positiv fand ich: habe wieder was Neues gelernt, diesmal über die Geschichte Spaniens nach dem Zweiten Weltkrieg.

    Anyone who stops learning is old, whether at twenty or eighty. Anyone who keeps learning stays young. The greatest thing in life is to keep your mind young.

    - Henry Ford-