Christa Wolf "Medea"

  • In Christa Wolfs Medea wird der Medeamythos neu erzählt.
    Die Königstochter und Heilerin Medea lebt in der Stadt Kolchis und ist dort sehr beliebt.Eines Tages kommt der Königssohn Jason in die Stadt,um das goldene Vlies zurück in seine Heimat zu holen,da er sonst dort nicht König werden kann
    .Zur selben Zeit lässt Medeas Vater ihren Bruder ermorden,um an der Macht zu bleiben.
    Entsetzt darüber beschließt Medea die Stadt zu verlassen.Sie hilft Jason das Vlies zustehlen und flieht mit ihm nach Korinth.
    Dort ist sie zuerst sehr beliebt,lebt bei Hofe und wird wegen ihrer Heilkenntnisse hoch geschätzt.
    Doch viele mögen ihre stolze und eigensinnige Art nicht.König Kreon fühlt sich ihr unterlegen und fürchtet sie.
    Eines Tages entdeckt Medea auch noch das dunkle Staatsgeheimnis...
    Ihre Feindin Agameda beobachtet das und sieht hier ihre Chance sich ihrer zu entledigen.Sie sucht sich verbündete und streut das Gerücht in die Welt,Medea habe ihren Bruder damals in Kolchis ermordet.
    Bald schlägt die Stimmung im Volk um und Medea wird mit der ausbrechenden Pest und einer Verstümmelung eines Korinthers in Verbindung gebracht....

    Ein klassisches Buch ist ein Buch, das die Menschen loben, aber nie lesen.
    Ernest Hemingway

  • Möglicherweise gab es einmal im Fernsehen eine "Medea"-Verfilmung. Evtl. eine verfilmte Theateraufführung, aber dabei handelt es sich wohl um eine Bearbeitung des Euripides-Dramas und nicht um Christa Wolfs Buch.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Eine ernüchternde zeitgenössische Reinterpretation eines uralten Mythos.



    "Medea. Stimmen" (1996) von Christa Wolf ist eine Neuauswertung des uralten Mythos um die kolchische Königstochter Medea, die das Märchen aus einer heutigen Perspektive heraus neuinterpretiert.



    In groben Zügen ist der Mythos um Medea durchaus angelehnt an die alten Versionen. Wolf erzählt hier die Geschichte um die Königstochter des Kolcherherrschers Aietes, die sich in ihrer neuen Heimat Korinth zurecht finden muss. Die Geschichte setzt in einer Feier an, in der Medea mit einer bewusst demütigenden Geste gegenüber ihrem Mann Iason auffällt, indem sie einfach geht. In zahlreichen Rückschauen wird erläuert, wie es so weit kam und wohin das alles führte. Iason war ursprünglich von Iolkos nach Kolchis aufgebrochen, um das Goldene Vlies zu holen. Medea nutzte die Chance und half Iason und seinen Gefährten (Argonauten), um von diesen auf ihrem Schiff mitgenommen zu werden. Denn Kolchis ist in einem Zustand der herschaftlichen Degeneration und Autokratie. Aus diesem will Medea mit einer Schar Getreuer fliehen. Doch Iason wird in Iolkos betrogen und wird mitsamt der kolchischen Menschen in Korinth aufgenommen, wo letztere nun als Flüchtlinge leben. Doch unterscheiden sich Korinther und Kolcher dermaßen, dass hier große Probleme entstehen. So verhält sich Medea äußerst selbstbewusst, selbständig und offen, was den meisten Korinthern nicht passt, da dort die Frau stark abgestuft ist. Durch ihre auffallenden Fähigkeiten -Heilkunde beispielsweise- und ihr auffallendes Betragen entstehen unterschwellige Machtkonflikte und Intrigen, durch die allerhand Missstände und schreckliche Ereignisse Medea angehängt werden: der Mord an der Königstochter Iphinoe, eine Sonnenfinsternis, ein Erdbeben, ein Pestausbruch und noch mehr. Am Anfang wird sie erst aus dem Königspalast geschickt, dann gejagt, verbannt und schließlich werden ihre Kinder gesteinigt (was auch noch Medea, obwohl gar nicht mehr da ist, angehängt wird). Der Roman endet mit Medeas Verwahrlosung und ihrem Fluch auf Korinth.





    Wolf springt mit ihrer Darstellung zeitlich und personell öfters stark hin und her, was das Buch sehr interessant macht. Auch alte Handlungsstränge, die sich vor Romanbeginn abgespielt haben, werden nur sehr sporadisch über den gesamten Roman hinweg offenbart. Das ergibt sich aus der Ich-Perspektive, die sich durch das ganze Buch zieht, aber mit jedem Kapitel den Blickwinkel wechselt. Jedes Kapitel wird durch eine andere Person berichtet, sodass ein Ereignis auch öfters mal öfters erzählt wird, nur eben aus verschiedenen Perspektiven.



    Besonders auffällig sind auch die abstrakten zeitgenössischen (aus unserer Zeit) Handlungsebenen und Aspekte des Buches. So sind Frauen durchweg stark dargestellt und Männer durchweg schlecht, was dezent an einen dogmatischen Feminismus erinnert: Medea handelt stets regelwidrig, aber moralisch einwandfrei. Sie reflektiert, kann aber die Regeln nicht einhalten, da sie sonst nicht mit sich im Reinen sein kann. Die Rolle des Sündenbocks nimmt sie freiwillig an und zum Ende hin ist sie die einzige Protagonistin, deren Gewissen schuldlos ist. Selbst Agameda, die schlecht handelt, handelt aus reinen Motiven heraus und verstellt sich nicht heuchlerisch, da ihr Hass auf Medea ehrlich ist. Akamas und Leukon sind beides Funktionäre des korinthischen Königs. Ersterer ist grundlegend falsch, während letzterer zwischenzeitlich eine Grauzone einnimmt, da er sich mit Medea trotz allem anfreundet und gut handelt. Doch letztendlich handelt er gar nicht und somit doch wieder falsch, da er nicht zu Medea stehen kann. Er sieht sich so zwar als Urkorinther an und somit determiniert in seinen Handlungen. Doch Selbstmordgedanken scheinen trotzdem kurz aufzukommen. Iason ist durchweg ein schwacher Mann, der sich nur männlich fühlen kann, wenn er seine Männlichkeit Frauen gegenüber sexuell ausleben kann.
    Selbst die grundlegende Medeacharakterisierung entspricht diesem Bild. Im antiken Mythos stets als eigene Kindsmörderin dargestellt, erscheint diese Szene hier bei Wolf als ausschließlich von Männern (!) nachträglich so propagandistisch inszeniert (die korinthische Prinzessin versucht hier irgendwie gegenzuwirken, scheitert, und begeht Selbstmord).
    Neben diesen feministischen Ansätzen zeigen sich aber noch andere zeitgenössische Reinterpretationen: 1. Medeas strikte Individualisierungstendenz, dier durchweg narzisstisch anormativ ist (sie zieht bei einer korinthischen Sakralfeier ein kolchisches Priestergewand an; sie zeigt keinen Respekt bei einem korinthischen Gebet). 2. Der miserable und "ausländerfeindliche" Umgang der Korinther mit den Kolchern, deren Kulthandlungen in einem abgelegenen Wald stattfinden müssen, die in ghettoähnlichen Teilen am Rand der Stadt leben und die bei einem natürlichen, zufälligen oder selbstgeschaffenen (von Korinthern) Problem sofort als Sündenböcke herhalten müssen.



    Alles in allem ein Wahnsinnsbuch, das durch all diese Aspekte (und noch mehr ! Bspw. bin ich auf die harten Spannungsbögen, die sich aus den Perspektivwechseln ergeben, gar nicht eingegangen) überzeugt und fesselt. Nur der stark feministische Ansatz stört ein wenig, da er etwas konstruiert wirkt (in beiden Städten -Korinth und Kolchis- versucht je die Königin gegen den verfallenden König positiv zu wirken).


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