Erich Fried - Misstrauen lernen

  • Das Buch "Misstrauen lernen" von Erich Fried erschien 1989 im Volk und Welt Verlag und ist eine Auswahl seiner Reden, Gedichte und Erinnerungen. Durch die Vielseitigkeit des Materials bietet das Buch Gelegenheit, Fried aus anderem Blickwinkel kennen zu lernen und vielleicht auch seine Stärken und Schwächen schärfer zu sehen.
    Das Buch beginnt mit Kindheitserinnerungen aus dem Wien der Vorkriegsjahre und führt ihn bis ins hohe Alter. Erich Fried gelingt es wunderbar, die damalige Zeit und seine Erlebnisse in ihr so zu verquicken, dass Zeitgeschehen lebendig wird und im Gedächtnis bleibt. Da er sehr pointiert schreibt, ist das Lesen ein reines Vergnügen und versucht gar nicht erst den Anspruch auf objektive Gültigkeit oder historischen Wert zu erheben. Dafür kommt man dem Autor sehr nahe. Durch die angeschlossenen Gedichte bekommt man dann einen ganz anderen Zugang zu Fried vorgelegt und die zum Schluss folgenden Reden und Aufsätze runden das Bild nocheinmal ab.
    Dramaturgisch fängt das Buch mit dem stärksten Teil an, um den Leser dann immer weiter in die Friedschen Überlegungswelten zu ziehen. Wem der Übergang von Prosa zu Lyrik gelingt (welche ein unterschiedliches Lesetempo verlangen), der ist in der eigenen Reflektion angekommen und damit sicherlich dort, wo ihn Fried (m.E.) hinhaben möchte: weg vom Konsumenten zum produktiv Nachdenkenden.
    Misstrauen habe ich mit diesem Buch nicht gelernt, sondern vielmehr, auf den eigenen Mut zu vertrauen. Dass solch ein Buch, und v. a. mit solch einem Titel in der DDR möglich war ist für mich dafür das beste Beispiel.