Harald Welzer, Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand

  • Jeder einigermaßen gebildete und bewusste Zeitgenosse fühlt sich angesichts der medialen Übermacht derer, die sich anmaßen für ihn zu denken und ihm zu sagen, was er denken soll, angewidert. Und doch scheint die Übermacht dieser Medien so groß, bzw. die Bequemlichkeit und das angebliche Glück, das sie versprechen, so verlockend, dass selbst die kritischsten Menschen glauben, etwa ohne facebook et al. nicht auskommen zu können.


    Es sind vor allem diese noch nicht gänzlich abgestumpften Menschen, denen der Sozialpsychologe Harald Welzer mit seinem neuen Buch Mut zum eigenen Denken machen möchte. Trotz seinem auch sprachlich hohen Niveau lohnt es sich, sich das Buch anzueignen. Denn schon bald wird sein Anliegen deutlich, mit dem er in die Fußstapfen Kants tritt, der den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit auf sein philosophisches Programm schrieb.


    Welzers Denkansatz ist ein Denken im Futur 2. So heißt auch die Stiftung Zukunftsfähigkeit, der er vorsteht.
    "Vieles von dem, was im einfachen Futur als unbequem und lästig erscheint, wird im Futur 2 plötzlich interessant und attraktiv“, sagt Welzer und weist darauf hin, dass die etwa Vorstellung, wie mein Leben gewesen sein wird, ganz andere Werte und Wertigkeiten generiert als ein bloßes Denken, wie es sein wird. Da regieren eher Angst oder aber auch Streben nach Materiellem.


    Es gebe, so Welzer, auch in unserer hochkomplexen Gesellschaft, die alles bis in die Seele des Einzelnen hinein beherrschen will, noch genügend Nischen und Freiräume, die man nutzen und mit denen man sein Selbst denken beginnen kann. Und wer damit erst einmal Erfahrungen gemacht hat, der wird damit nicht mehr aufhören wollen, vor allen Dingen, wenn er die von Welzer vorgeschlagenen „12 Regeln für erfolgreichen Widerstand“ Schritt für Schritt verinnerlicht und sie ggf. nach seinen eigenen Verhältnissen gestaltet:


    1. Alles könnte anders sein.
    2. Es hängt ausschließlich von Ihnen ab, ob sich etwas verändert
    3. Nehmen Sie sich deshalb ernst
    4. Hören Sie auf, einverstanden zu sein
    5. Leisten Sie Widerstand, sobald Sie nicht einverstanden sind
    6. Sie haben jede Menge Handlungsspielräume
    7. Erweitern sie Ihre Handlungsspielräume dort, wo Sie sind und Einfluss haben
    8. Schließen Sie Bündnisse
    9. Rechnen Sie mit Rückschlägen, vor allem solchen, die von Ihnen ausgehen
    10.Sie haben keine Verantwortung für die Welt
    11. Wie Ihr Widerstand aussieht, hängt von Ihren Möglichkeiten ab
    12. Und von dem, was Ihnen Spaß macht



    Welzer wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass es nicht abstrakte Werte sind, die die Praxis verändern (mit dieser Maxime bin ich etwa aufgewachsen und habe auch lange so gelebt) , sondern dass es eine veränderte Praxis ist, die die jeweiligen Werte verändert.


    Ein Buch, das jedem, der es liest, zunächst einmal eine radikale und auch unangenehme Selbstkritik auferlegt. Wie möchte ich gelebt haben? Was wird mir wichtig gewesen sein im Leben? Schon die ersten Antworten auf diese Futur 2 Fragen, werden die ersten widerständigen Veränderungen unabänderlich machen – im ganz persönlichen Umfeld und Alltag. Das nenne ich radikal.

  • Hört sich sehr interessant, und zugegebenermaßen auch etwas schwierig zu lesen an.
    Das Thema trifft aber voll meinen Geschmack. Endlich mal ein Autor der gegen den Strom schwimmt und die derzeitigen Entwicklungen (Beinflussung durch die Medien, Meinungsbildung von außen, Volksverdummung durch Fernsehsendungen ohne jeglichen Sinn und Verstand, Social Media) anprangert.


    Ich bin aktuell über das neue Buch von Harald Welzer "Die smarte Diktatur - Der Angriff auf unsere Freiheit" gestolpert. Dieses werde ich mir bald besorgen. Ich berichte weiter :wink: .

    "Die Stille stellt keine Fragen, aber sie kann uns auf alles eine Antwort geben." (Ernst Ferstl)