Mo Yan - Frösche

  • Klappentext:


    Gugu, die Tante des Erzählers, ist die erste westlich geschulte Hebamme in Gaomi und die parteitreue Tochter eines Arztes, der im zweiten japansich-chinesischen Krieg den Heldentod starb. Seit den fünfziger Jahren bringt sie im Ort alle Kinder zur Welt und ist mit Beginn der Geburtenkontrolle verantwortlich für die Abtreibungen und Zwangssterilisierungen im Dienst der Ein-Kind-Politik. Um beruflich vornazukommen, unterdrückt sie ihr Gewissen und ihre persönlichen Empfindungen und macht sich zum willigen Werkzeug der Partei. Im Alter jedoch wird sie von Albträumen geplagt und bereut ihre Taten, die zahlreiche Menschen das Leben kosteten. Auch ihr Neffe, der Erzähler, ist innerlich zerrissen: Er verlor seine eigene Frau, weil er sie zur Abtreibung zwang.
    In farbenprächtigen, lebensprallen und oft auch komischen Szenen erzählt Mo Yan von den Schicksalen der Frauen und Kinder in Gaomi, von Familiendramen in einer ländlich-patriarchalischen Gesellschaft, in der ein Sohn auch heut enoch mehr als eine Tochter zählt. Am Ende gipfelt dieser bewegende, autobiographisch grundierte Roman in der Frage: Ist man weniger schuldig, wenn man Unrecht im Dienst einer Partei oder Regierung begeht? Und kann man sich von dieser Schuld jemals befreien?


    Eigene Beurteilung:


    Als Mo Yan im Herbst letzten Jahres den Nobelliteraturpreis erhielt, freute ich mich überaus darüber, denn selten war ich mit einer Ehrung so einverstanden. In etlichen Romanen und Kurzgeschichten, die leider noch nicht alle ins Deutsche übertragen worden sind, hat Mo Yan sich mit seiner eigenen Biographie und der Entwicklung der Geschichte der Volksrepublik Chinas in den letzten 150 Jahren auseinandergesetzt. Dabei hat er – zum Teil satirisch verzerrt – fürchterliche Umstände dargestellt, gezeigt, wie die Politik des Landes und ihre Wandlungen auf die Menschen eingewirkt haben und wie diese Einwirkungen durch die Handlungen und Haltungen eben dieser Menschen mal verschlimmert und mal gemildert wurden. Wer Das rote Kornfeld, Die Sandelholzstrafe oder ganz besonders Der Überdruss gelesen hat, der wird Schwierigkeiten haben die Kritiker der Preisverleiher zu verstehen. Denn seine rabaukenhafte Schreibweise – der sich soviele seiner chinesischen Schriftstellergeneration bedienen, seine Freude am allzu Menschlichen in der Darstellung hat nicht nur die Menschen selbst enthüllt, sondern auch die Systeme, in denen sie leben sollten bloßgestellt und in mehr als einer Hinsicht lächerlich gemacht.


    Im Nachwort dieses Buchs, das er gleichfalls 2009 verfasst hat geht er darauf ein, dass ihm immer wieder vorgeworfen wurde, mit seinem Schreiben sich zu sehr angebiedert zu haben – entweder an die chinesischen Machthaber und Medien oder aber an die westlichen Kritiker der chinesischen Politik. Er selbst meint, er habe - unter anderem durch das Instrument des magischen Realismus - versucht, niemanden allzu sehr auf die Füße zu treten, was er im Nachhinein als Fehler betrachtet. Das vorliegende Buch, das mit für die Entscheidung der Literaturbewerter ausschlaggebend gewesen sein dürfte ist sein Versuch, sich selbst gegenüber ehrlicher zu sein.


    Renner –, der Erzähler dieser Geschichte, den Mo Yan bewusst nach sich selbst stilisiert, genau, wie seine wirkliche Tante Gugu das Templat für die Gugu in die Gugu in diesem Roman ist – leidet auf der einen Seite unter der offensichtlichen Grausamkeit seiner Tante, aber auch unter all den Anfeindungen, denen diese ausgesetzt ist – und auch unter den negativen Gefühlen, die er selbst immer wieder gegenüber ihr hegt. Als Soldat zunächst selbst der Parteilinie verpflichtet kann er sich ihren Argumenten nicht wirklich entziehen und als er schließlich ein zweites Mal heiratet, ist der Weg aus Gaomi fort für ihn die beste Möglichkeit, zu diesen Dingen eine Distanz aufzubauen und seine Karriere als Theaterschriftsteller zu beginnen. Als er nach etlichen Jahren als Rentner mit seiner Frau nach Hause zurück kehrt, kommt es in vielerlei Hinsicht zur Abrechnung – und zum Aufzeigen einer ganz neuen Problematik in der chinesischen Fortpflanzungsrealität. Und zur Frage, wie schuldig derjenige ist, der die Politik seines Staates wirklich gewissenhaft ausführt, weil kommunistisches und konfuzianisches Denken – sowie eine gewisse Ächtung auf Grund einer Liebesbeziehung mit einem späteren Republiksflüchtling -, einem die Gewissheit gegeben haben, dass hier eine materialistisch-historische Notwendigkeit vorliegt.


    Kaulquappe schreibt die Lebensgeschichte seiner Tante an einen japanischen Briefpartner – parallel zu Kenzaburō Ōe, mit dem Mo Yan bei der Erstellung dieses Romans im Briefkontakt stand -, dessen Vater dereinst durch den Vater Gugus während der japanischen Besetzung Shandongs von einer schweren Krankheit geheilt wurde. In vier dicken Briefpaketen schickt er diesem Briefpartner diese Lebensgeschichte und schließlich in einem fünften ein Theaterstück, das eine endgültige Abrechnung mit dem Leben seiner Tante und dem neuen Phänomen der Leihmutterschaft versucht im Stile des „Kaukasischen Kreidekreises“, wobei auch in diesem Fall die Lösung des „weisen“ Richters als deutlich zu simplizistisch erscheinen will und im Endeffekt ein außergerichtlicher finanzieller Vergleich alles regelt. Dabei gibt es – als weiteren Level der Komplexität und um die Schuldfrage und das Verhältnis von Literatur und Realität zu verdeutlichen – auch noch ein Stück im Stück.


    Andere sprachliche Feinheiten, wie das „Baby“ und „Frosch“ im Chinesischen Homophone sind und der Frosch für Fruchtbarkeit – und nebenher auch für Glück und Reichtum – steht, werden auch noch erwähnt und wahrscheinlich gibt es im Original noch mehr mehr oder weniger subtile Spiele mit Sprache Bedeutung. Alles in Allem ein Buch, das kein Blatt vor den Mund nimmt – aber das auch gleichzeitig zeigt, wie gefährlich und verletzend schnelle Urteile sind für Menschen, die eine be-stimmte Situation nur von außen betrachten. Nicht umsonst heißt es im Buch und am Ende des Nachworts:


    Wenn andere sich eines Verbrechens schuldig machen,
    bin ich mitschuldig.


    Sehr zu empfehlen. :thumleft::thumleft:

  • Klaus hat eine so treffende Rezension geschrieben, dass ich mich schlicht nur anschließen kann. Mo Yan nimmt kein Blatt vor den Mund, er beschreibt deutlich die Konflikte, die entstehen, wenn man der Politik eines Landes treu folgt auch gegen jahrhundertealte Traditionen und diese sich dann aber dreht und gegen einen selbst wendet. Er zeigt die Konflikte innerhalb der Familien und der gesamten Gesellschaft, teils sehr humorvoll und auch skurril, teils dramatisch.

    Ich hatte nach der Preisverleihung an Mo Yan zunächst "Das rote Kornfeld" gelesen und kam bereits damals zu dem Schluß, dass dieser Preis verdient an diesen chinesischen Schriftsteller ging. Nachdem ich jetzt auch "Frösche" gelesen habe, kann ich das nur wiederholen und bekräftigen.

    wahrscheinlich gibt es im Original noch mehr mehr oder weniger subtile Spiele mit Sprache Bedeutung.

    Das ist der eine Wermutstropfen, dass wir da bestimmt einiges durch die Übersetzung verloren haben. Aber es ist ein kleiner Tropfen.

  • Mo Yan wendet sich in diesem Roman historisch politischen Themen. Der berichtet nicht nur, er kritisiert auch die Zustände der Ein-Kind-Problematik am Beispiel der Arbeit seiner Tante, der Hebamme Gugu. Die biografische Geschichte ist dramatisch, die Situation im Land noch tragischer. Die staatlichen Eingriffe in das Privatleben der Bevölkerung sind schon erschreckend. Ein unbedingt wichtiges Thema, über das man sprechen sollte.

    Was mir nicht gefallen hat, war die Umsetzung. In meinen Augen gelang es dem Autor nicht, die Protagonisten mit Leben zu füllen. Mir hat der Erzählstil nicht zugesagt: teilweise humorvoll, recht locker, so als ob man abends in einer Kneipe sich Geschichten erzählen würde. Und dabei geht es um so ein tragisches Thema. Der Erzählton ändert sich zwar hier und da, aber ich war dennoch nicht zufrieden. Also, mir hat der Roman nicht so gut gefallen, wie ich es gehofft habe.

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