Raik Thorstad: Leben im Käfig

  • Kurzbeschreibung (Amazon)
    "Von seinen neunzehn Lebensjahren hat Andreas von Winterfeld die Hälfte im Haus seiner Eltern verbracht. Die Fesseln, die ihn halten, sind psychischer Natur. Er leidet unter einer schweren Form von Agoraphobie, die in Ermangelung einer Behandlung zunehmend an Tiefe gewinnt. Die lange Isolation und die unglücklichen Familienumstände haben ihn zu einem Aussenseiter gemacht - und zu jemandem, der sich kaum mit Menschen auskennt. Dass er schwul ist, ist fast sein kleinstes Problem, auch wenn er sich seinen von der Arbeit zerfressenen Eltern nicht anvertraut hat. In diese Anti-Idylle aus Privatunterricht, Einsamkeit und Langeweile platzt Sascha, der gerade erst nach Hamburg gezogen ist. Grund dafür sind gewisse Auseinandersetzungen mit seinen Eltern - und die Tatsache, dass er sich mit einem Schulfreund in flagranti auf Papas Couch hat erwischen lassen. Zwei junge Männer, die das Leben noch nicht recht am Schopf gepackt haben, aber eines mit Sicherheit wissen: Sie sind schwul und sie sind allein - jeder auf seine eigene Weise."



    Meine Meinung
    Andreas von Winterfeld ist exzentrisch. Das ist zumindest die offizielle Version. In Wahrheit leidet Andreas an einer schweren Form der Agoraphobie, die immer schlimmer wird. Fast sein halbes Leben hat der Sohn reicher Eltern innerhalb des Hauses verbracht und inzwischen kann er viele Zimmer nur noch mit Mühe betreten. Das er auch noch schwul ist, spielt bei den ganzen anderen Problemen kaum eine Rolle.
    Sascha kommt aus Hessen. Aber nachdem er von seinen Eltern erwischt wurde, wie er mit einem anderem Jungen rummachte, hatte er keine ruhige Minute mehr und so ist er seiner Tante sehr dankbar, die ihn in Hamburg aufnimmt. Trotzdem fühlt auch er sich einsam.
    Da seine Tante direkt neben den von Winterfelds wohnt, reicht schon ein falsch geschossener Ball aus und Andreas und Sascha kommen zaghaft in Kontakt.


    Die Geschichte entwickelt sich sehr langsam. Langsam und zaghaft bauen Sascha und Andreas eine Freundschaft auf, die für beide sehr kostbar ist. Für Sascha, der in Hamburg noch niemanden kennt, vor allem aber für Andreas, der noch nie einen Freund hatte. Bestärkt durch Sascha macht Andreas winzige Fortschritte. Aber auch immer wieder große Rückschritte und Sascha merkt immer mehr, das er Andreas überhaupt nicht helfen kann.
    Sascha dagegen findet in seiner neuen Schule schließlich doch Freunde. Und obwohl er Andreas liebt, will er auch mit seinen Freunden Zeit verbringen. Dazu kommt noch der Abiturstreß. Und außerdem hat auch Sascha Probleme mit seinen Eltern. Denn auch wenn er bei seiner Tante ein neues Zuhause gefunden hat, er leidet trotzdem unter der Ablehnung seiner Eltern. Anstatt das sie sich mit der Zeit wieder annähern, wird seine Mutter noch religiöser. In ihren Augen ist Sascha ein Sünder.


    Die Auswirkungen der Agoraphobie werden wirklich grandios beschrieben. Besonders der Besuch beim Zahnarzt macht das ganz deutlich. Denn für Andreas ist nicht nur der Zahnarzt als solches eine Qual, alleine schon die Tatsache, das er das Haus verlassen muss ist für ihn unvorstellbar.


    Mich hat das Buch völlig vom Sockel gerissen. Ich habe sowohl mit Andreas mit gelitten als auch mit Sascha, der seinem Freund irgendwie helfen möchte, aber mit der Situation völlig überfordert ist.


    Fazit: Grandios. :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Meine Meinung
    Die Kurzbeschreibung fasst die doch sehr umfassende Handlung des 680 Seiten starken Romans von Raik Thorstad sehr gut zusammen. Natürlich passiert noch viel mehr, aber das zusammen zu fassen, ohne zu viel zu verraten, ist verdammt schwer. Klar ist auf jeden Fall, dass es sich bei diesem Buch nicht um einen klassischen Gay-Love Roman handelt, sondern um sehr viel mehr. Neben großen Gefühlen, die der Autor wunderbar beschrieben hat, gibt es auch immer wieder verschiedene Auseinandersetzungen und zum Teil großen Herzschmerz, der aber dennoch absolut passend und nur sehr geringfügig übertrieben wird.
    Neben der großartigen Handlung, die mich nebenbei gesagt, so manche Träne gekostet hat, aber auch mal schmunzeln ließ und im Grunde die ganze Zeit mehr oder weniger die Probleme zweier Teenager beleuchtet, sind eben diese Teenager ebenfalls sehr gut in Szene gesetzt.


    Bei den beiden Jungs handelt es sich einmal um Sascha, einen lebenslustigen Jungen, der nach Hamburg zu seiner Tante gezogen ist, um Abstand von den nervenden Eltern zu bekommen. So sieht es grob betrachtet erstmal aus. Doch nach und nach dringt man tiefer in seinen sehr realistisch gehaltenen und vor allem erstaunlich altersentsprechenden Charakter vor und merkt, warum er eigentlich von seinen Eltern weg ist. Er ist schwul und steht dazu. Seine offenbar recht konservativen Eltern kommen damit nicht klar und so war die Situation vom Outing bis zu seinem Auszug und auch darüber hinaus noch, sehr angespannt und drohte immer wieder zu explodieren, da vor allem seine Mutter ihn scheinbar plötzlich als anderen Menschen sieht und Sascha sich deswegen unverstanden und von seinen Eltern verstoßen fühlt.
    Abgesehen davon ist er ein typischer Teenager, der gern feiert, eigentlich keinen Bock auf Schule hat, und momentan mit seinen 18 Jahren noch irgendwo zwischen Kind- und Erwachsensein steckt.
    Außerdem ist da noch Saschas Gegenpart, wenn man so will, Andreas. Er leidet seit Jahren an einer extrem ausgeprägten Agoraphobie (=meist unbegründete Angst vor öffentlichen Plätzen und/oder großen Menschenmengen; die Betroffenen fürchten sich davor, dass ihnen in der Öffentlichkeit etwas schlimmes passieren könnte und können sich trotz besseren Wissens nicht von dieser Angst befreien; meist versuchen sie die Orte, die ihnen Angst machen zu meiden und nehmen auch schonmal einen größeren Umweg in Kauf, nur um dem gefürchteten Ort aus dem Weg zu gehen), die von seinen Eltern – einflussreichen Unternehmern – im Grunde totgeschwiegen wird. Bei ihm ist diese Krankheit soweit ausgeprägt, dass ihm selbst das Betreten des heimischen Gartens Todesangst bereitet. Deswegen lebt er zurückgezogen in seinem Zimmer und vegetiert vor sich hin, ungehört und unverstanden von seinen Eltern, die beide mit der Arbeit verheiratet zu sein scheinen. Durch die ständige Abweisung und Nichtbeachtung ist Andreas sehr verschlossen und introvertiert.


    Die beiden Jungen lernen sich kennen und empfinden nach und nach erst eine gewisse Sympathie füreinander, die über die Zeit mehr und mehr zu Zuneigung und der scheinbar großen Liebe weiterentwickelt, da sie merken, dass sie sich gegenseitig irgendwie Schutz geben können und das Leid, von den Eltern unverstanden zu sein, teilen.
    Gut fand ich hierbei, dass sich diese Beziehung allmählich entwickelt und die beiden sich zunächst anfreunden, die wichtigen Sachen aber noch nicht miteinander teilen. Und es hat mir auch sehr gut gefallen, dass sich diese Beziehung nicht geradlinig entwickelt, sondern dass es auch immer wieder mal einen Streit, eine Unstimmigkeit gibt und die Zweifel, wenn man sich als Teenager noch nicht so mit den ganz großen Gefühlen auskennt.


    Generell hat es mir sehr gut gefallen, dass der Autor während der ganzen Geschichte nie den Bezug zur Realität verloren hat, so muss Sascha sich nebenher natürlich auch noch mit seinem Abitur, das demnächst ansteht beschäftigen, sowie mit der Zukunft, was nach dem Abi passieren soll. Und auch andere Kleinigkeiten lassen die Handlung sehr realistisch wirken.
    Dadurch wurden sowohl die Geschichte, als auch die Charaktere (sowohl Neben- als auch Hauptcharaktere) sehr gut für mich nachvollziehbar. Nahezu jeder einzelne Charakter in diesem Buch macht in irgendeiner Hinsicht eine Entwicklung durch, sei es nun eine positive oder eine negative. Ich habe so manches Mal mit Sascha und Andreas gelitten.


    Weiterhin habe ich es als positiv empfunden, dass auch die Nebencharaktere, wie Saschas und Andreas Familie nicht zu kurz gekommen sind, obwohl der Fokus eindeutig auf den beiden Protagonisten lag. Die Nebenfiguren wirken in keinem Moment blass, jeder hat seine Probleme und man erfährt gewisse Hintergrundinformationen und kann sich daher wirklich gut in die Charaktere hineinversetzen.
    Der einzige Punkt, der mir einerseits zwar schon gefallen hat, andererseits aber auch ein wenig dramatisiert vorkam, war die Familie von Winterfeld, also Andreas und seine Eltern. Natürlich gibt es auf der Welt auch weniger gute oder aufmerksame Eltern, vor allem wenn es einen großen Konzern zu leiten gilt, aber ich fand es doch ein bisschen übertrieben, dass sie ihren Sohn so ziemlich vergessen haben, wenn man so will.
    Und Andreas, fand ich, wirkte an einigen Stellen auch mal ein wenig melodramatisch, wie er in seinem Selbstmitleid versunken ist. Andererseits haben mich seine Gedankengänge, er wäre ein Egoist, wenn er von seinen Eltern Liebe verlange, auch sehr erschüttert. Wie wenig Aufmerksamkeit und Zurückweisung muss ein Kind erlebt haben, um solche Gedanken zu haben?


    Fazit
    Insgesamt hat mich dieses Buch wirklich in mehrfacher Hinsicht umgehauen und in meinen Grundfesten erschüttert und das ist absolut positiv zu werten. All die Freude, das Leid, die Liebe, der Kummer und all der Ärger und Hindernisse, die sich den beiden Jungen entgegengestellt wurden, und dazu ihre dazugehörigen Empfindungen waren in meinen Augen absolut überzeugend beschrieben und gingen mir so manches Mal unter die Haut. Ich bewerte dieses Buch definitiv mit :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: Sternen und habe mir bei amazon .de schon den zweiten Teil bestellt.

    Unter dem Fell einer Katze

    lebt eine der freiesten Seelen der Welt.

    (Claudine Delville)