Eva Stachniak - Der Winterpalast / The Winter Palace

  • Da ich über Katharina die Große fast nichts wusste, bin ich offen und mit wenigen Erwartungen an den Roman herangegangen. Der Titel suggeriert aus meiner Sicht eine eher leichte Lektüre, die vor allem auf den Zündstoff Hofleben baut. Doch das Werk entpuppt sich nach und nach als eine komplexe und fundierte Darstellung der damaligen Verhältnisse. Mir haben unheimlich viele Aspekte zugesagt, die insgesamt ein echtes Kunstwerk ergeben.


    Zuallererst das Allerwichtigste: Hätte die Autorin nicht gründlich recherchiert, so hätten wir ein ganz anderes Werk vor uns. Niemals würde es an die Komplexität heranreichen, die hier dargeboten wird und ganz natürlich auf Begebenheiten basiert, die sich so oder ähnlich zugetragen haben. Alle Personen sind ausgearbeitet und greifbar. Ich war in der Lage, zu ihnen Beziehungen aufzubauen und mich infolgedessen für einige zu freuen oder mich über andere zu ärgern. Keine einzige Person erscheint platt und alle machen irgendeine Art von Entwicklung durch. Was ihre Umgebung angeht: Das Russland des 18. Jahrhunderts lässt sich auf verschiedenen Ebenen erfassen. Man erfährt, wie Krankheiten behandelt wurden, wie das Verhältnis zum Fremden (insbesondere Katholiken und Polen) war, was die damaligen Bräuche waren und vieles mehr.


    Das Gesamtbild wird durch die Sprache abgerundet. Stachniak baut immer wieder russische Begriffe ein und übersetzt sie zumeist korrekt. Einige kleinere Grammatikfehler sind drin, aber dennoch gibt die Autorin insgesamt einen authentischen Sprachgebrauch wieder. Ich hätte mir zusätzlich gewünscht, dass „Zarin“ anstatt „Kaiserin“ öfter benutzt wird, als passendes Äquivalent zu „Zar“ und „Zarewitsch“. Ansonsten hat Stachniak mit den russischen Einsprengseln die Darstellung des Zeitgeistes passend ergänzt.


    Des Weiteren weist sie eine Vorliebe dafür auf, Figuren andere Figuren zitieren zu lassen, dabei werden Zitate kursiv gedruckt, was das Lesen sehr erleichtert. Dieses Mittel gibt das Gefühl, am Hof belauscht und beobachtet zu werden, besser wieder, als es ellenlange Darstellungen vermocht hätten. Beim Lesen bekam ich schlichtweg eine Gänsehaut. Man möchte nichts zu tun haben mit der Dekadenz und Intriganz hinter der glänzenden Fassade, aber der unaufhörliche, dunkle Sog zieht einen immer weiter in diese Welt hinein. Die Stimmung des Romans ist insgesamt sehr schwergängig, teilweise melancholisch. Der Hof wird all seiner Pracht beraubt und ungeschönt zur Schau gestellt. Dass es damals keineswegs so durchschaubar war, wird mithilfe eines sprachlichen Kunstgriffs vermittelt: Stachniak baut viele Passagen und Aussagen ein, die eindeutig einen doppelten Boden aufweisen. Ganze Absätze können im anderen Licht gelesen werden. An Symbolen und Metaphern fehlt es auch nicht. Ich persönlich musste immer sehr genau lesen, weil der Text eine so hohe Informationsdichte aufweist. Wenn man das Werk in vollen Zügen genießen will, ist Konzentration gefragt. Aus diesem Grund finde ich, dass es auch für eine Leserunde gut geeignet ist. Viele Verhaltensweisen und Andeutungen bieten da reichlich Diskussionsstoff.


    Dieses Register ist für meinen Geschmack etwas zu knapp ausgefallen, bzw. ich hätte gern noch ein ausführliches Nachwort zur russischen Geschichte unter Elisabeth und Katharina gehabt. Auch eine Bibliographie hätte nicht geschadet.


    Da kann ich mich anschließen, das hätte ich mir auch gewünscht.


    Fazit:
    Eine authentische, komplexe und tiefgreifende Darstellung, empfehlenswert für alle, die sich für das Thema interessieren; Vorkenntnisse sind nicht unbedingt notwendig. :thumleft:


    Für Russischsprechende: Ich habe mir die ersten drei Folgen der TV-Serie "Ekaterina" angeschaut und fand sie sehenswert. Vor allem haben sie sich in vielen Punkten mit dem Buch überschnitten. Schade, dass es die Serie nicht auf Deutsch gibt, sie hätte einigen sicherlich zusagen können.

    :jocolor: Verschwundene Reiche: Die Geschichte des vergessenen Europa // Norman Davies (Projekt)



    You cannot open a book without learning something. - Konfuzius

  • Ich hatte mich eigentlich auf dieses Buch gefreut und ich habe es lange versucht, jedoch am Ende aufgegeben.
    Warwara fand ich einfach unfassbar unsympathisch, kalt, emotionslos, langweilig. Die Beschreibungen über das Leben bei Hofe waren sicherlich interessant, aber es kam mir nicht vor, als würde ich einen Roman lesen, sondern ein Sachbuch. Es wurden einfach kalt und plump alle historischen Fakten aneinander gereiht, ohne eine (spannende) Geschichte drum herum zu weben. Leider gab es auch keine andere Person in diesem Roman, die mich dazu bringen konnte, wissen zu wollen, wie es weiter geht.
    Habe daher leider nach über der Hälfte abgebrochen.