Julian Barnes - Nichts, was man fürchten müsste / Nothing to be Frightened of

  • Klappentext:
    Was soll eigentlich dieses ganze Tamtam um den Tod?«, fragt nüchtern Julian Barnes’ Mutter. Aber ihr Sohn kann deshalb oft nicht schlafen: »Ich erklärte ihr, mir widerstrebe eben der Gedanke daran.« Die Angst vor dem Tod treibt Julian Barnes seit seiner Jugend um, immer wieder umkreist er das Thema in seiner ganzen Unerbittlichkeit und Hoffnungslosigkeit, denn er glaubt nicht an Gott, vermisst ihn aber. Neugierig und um Erkenntnis bemüht sucht er in der Kunst und in der Literatur, in den Naturwissenschaften und in der Musik nach Antworten. Doch Julian Barnes ist Romancier, deshalb entwickelt er seine Gedanken aus Personen und Handlung. Und so erzählt er auch die anekdotenreiche Geschichte vom Leben und Sterben der sehr britisch zugeknöpften Familie Barnes – von den originellen Großeltern, der herrischen Mutter, dem in sich gekehrten Vater, dem besserwisserischen Philosophen-Bruder und dem belesenen, an den Künsten interessierten Julian. Seine wahren Angehörigen und Vorfahren sind für Julian Barnes allerdings nicht die Mitglieder einer englischen Lehrerfamilie, sondern Schriftsteller und Komponisten wie Stendhal, Flaubert und Strawinsky. Mit ihnen erörtert er scharfsinnig und verängstigt, flapsig und tröstlich, ironisch und ernsthaft die Angst vor dem Treppenlift, den Blick in den Abgrund, das Wie und Wo und Wann. Und hat ein aufregendes Buch geschrieben. (von der Verlagsseite kopiert)


    Zum Autor:
    Julian Barnes, geboren 1946, erhielt zahlreiche europäische und amerikanische Literaturpreise, zuletzt den Man Booker Prize. Er hat ein umfangreiches erzählerisches Werk vorgelegt, u.a. die Romane »Flauberts Papagei«, »Die Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln«, »Darüber reden« und »Arthur & George«. Sein Roman »Vom Ende einer Geschichte« verkaufte sich über 130.000 Mal. (von der Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: Nothing to be Frightened of
    Erstmals erschienen 2008 bei Jonathan Cape, London
    Übersetzt von Gertraude Krueger
    Ich-Erzählung mit Gedanken über den Tod, Anekdoten aus dem Familien- und Freundeskreis, Anfragen bei Philosophen, Historikern und Schriftstellern zum Thema, wobei das erzählende Ich sich als Autor selbst zu erkennen gibt. Das Buch ist ein Genremix von Autobiographie, Philosophie und Erzählung.
    336 Seiten


    Inhalt:
    Seit Kindertagen ist „Tod“ für Barnes ein Thema, mit dem er sich immer wieder beschäftigt. Er hat Angst, er umkreist ihn, er setzt sich mit ihm auseinander, aber die Hoffnung, dadurch die Angst zu vertreiben, erfüllt sich nicht.
    Barnes bezeichnet sich selbst als Agnostiker, der Gott und mit ihm die Sicherheit eines Gläubigen auf ein Weiterleben nach dem Tod vermisst. So sucht er Antworten an anderen Orten und bei Menschen, die er kennt oder von denen er Werke gelesen hat.


    Eigene Meinung / Bewertung:
    Ein trauriges, düsteres Buch? Nein, absolut nicht, denn auch Auge in Auge mit dem Tod bewahrt Barnes seinen Humor. Den Tod geliebter Menschen, z.B. den seiner Eltern, betrachtet er mit einer gelassenen Distanz auf deren Leben. Und auch sich selbst und seinen Angstanfällen begegnet er mit gespieltem Ernst und Ironie, vergleicht sich und seine Ansichten mit denen von Geistesgrößen aus vergangenen Jahrhunderten und Gegenwart. Und stellt resümierend immer wieder fest: Gegen die Angst ist kein intellektuelles Kraut gewachsen.
    Barnes bewegt sich zwischen den beiden Extremen, die der Titel des Buches doppeldeutig ausdrückt: Entweder ist der Tod das „Nichts, was man fürchten müsste“ oder er ist „nichts, was man fürchten müsste“.
    Einen großen Teil der Überlegungen nimmt ein Thema ein, das ihn schon in früheren Romanen beschäftigte: Wie zuverlässig sind Erinnerungen? Denn oft driftet das auseinander, was er und sein oft zitierter Bruder von gemeinsamen Erlebnissen, Bildern und Menschen im Kopf behalten haben.


    Es ist nicht leicht, sich in das Buch einzulesen; Barnes’ Überlegungen bewegen sich auf hohem geistigen Niveau, und die Anekdoten, die er erzählt, sind gegenüber dem trockenen Philosophieren in der Minderzahl. Doch es rentiert sich, dranzubleiben, denn der Autor breitet eine Fülle des Wissens und kluger Gedanken aus, die es lohnen, mit den eigenen Vorstellungen verglichen zu werden.


    ABER: Auch über ein so komplexes Thema wie den Tod hat man irgendwann alles gesagt. Leider redet Barnes weiter, und man trifft nicht nur auf Gedankenketten, die er bereits früher aufgerollt hat, sondern auch auf Ereignisse, die bereits erzählt, und auf Sätze, die schon früher zitiert wurden.
    Damit macht er vieles kaputt, was man einige Seiten zuvor noch originell oder bedeutsam fand.


    Fazit:
    Kluge, verzwickt philosophische und humorvolle Gedanken zum Thema „Tod“, doch leider ein paar zu viel davon.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Witzig, geistreich, überraschend hat er in seinen erfolgreichen Romanen schon immer geschrieben, der britische Schriftsteller Julian Barnes. Nun hat er sich mit gewohntem Witz an ein gar nicht witziges Thema gemacht: An seine Furcht vor dem Tod.

    Ein Essay über den Tod, das Selbstportrait eines, der Angst vor dem Sterben hat und die Reflexionen eines Gottverlassenen –wie kann man darüber lustig schreiben ? Geht das überhaupt, kann man damit das Thema tief genug ausloten ? Ja, es geht- und es geht hervorragend. Aber nur, wenn der Autor Julian Barnes heißt, der Sätze wie diesen schreiben kann:
    "Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn."


    Was für ein Satz. So einfach. Und so paradox. Genau wie das ganze Buch. Das erzählt Barnes‘ eigene Geschichte, ist aber keine Autobiographie. Auch kein lupenreiner Essay. Dafür von allem ein bisschen:


    Ein Mann beschreibt seine obsessive Angst vor dem Tod, und weil der Mann Julian Barnes heißt, ist das witzig. Denn Julian Barnes beschreibt zum Beispiel schlimme und gute Phantasien möglicher Todesumstände.


    "Meine Fantasievorstellung zum besten Fall handelte früher von einer Krankheit, die mir gerade genug Zeit und geistige Klarheit ließ, um noch ein letztes Buch zu schreiben – das Buch, das alle meine Gedanken über den Tod enthielt. Doch welcher Arzt stellte einem schon eine Diagnose, die genau zu den eigenen literarischen Bedürfnissen passt?
    `Ich hab leider eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie.´ – `Raus mit der Sprache, Doktor, ich muss es wissen. Wie lange?´
    `Wie lange? Etwa 200 Seiten, würde ich sagen, vielleicht auch 250, wenn Sie Glück haben oder schnell arbeiten.`"

    Julian Barnes zitiert Literaten, Philosophen (unter anderem seinen Bruder, der Philosophieprofessor ist) und lässt sich doch von keinem geistigen Trost beschwichtigen. Stattdessen wehrt er sich mit der einzigen Waffe, die ihm zur Verfügung steht: Mit scharfsinnigem Witz und hellsichtiger Ironie.


    Wer so klug und so leicht, so tief und so wagemutig, so radikal und amüsant über die Angst "vor der Grube" schreiben kann, der gibt dem Prädikat "Galgenhumor" eine ganz neue Dimension. Ob es hilft? Natürlich nicht. Aber es macht Spaß. Ich habe als Theologe das Buch mit einem ganz besonderen Interesse gelesen und muss sagen, so lasse ich mir die radikale Absage an die religiöse Transzendenz, die Verweigerung irgendeines Glaubens an ein Leben nach dem Tod gefallen. Es ist ein Atheismus der leichten Art, von dem ich viel gelernt habe .