Timur Vermes - Er ist wieder da

  • Hitler ist in gewisser Weise heute immer noch lebendig. Seine Ideen leben fort und er hat immer noch eine gewaltige Macht- nicht nur in Deutschland, obwohl es bei uns am deutlichsten wird. Hitler ist ein Schreckgespenst geworden, in den USA ist "worse than Hitler" eine Redewendung- teilweise auch bei Leuten, die gar nicht wissen, wer Hitler war.


    Hitler hat selbst heute noch einen so großen Einfluss, dass man sich fast schuldig fühlt, wenn man Bücher wie das vorliegende liest. Ich glaube nicht an eine Weiterexistenz nach dem Tode, aber ehrlich: sollte es so etwas geben, wäre Hitler (wo auch immer er gerade steckt) vermutlich sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Er hat sich seinen Platz in der Geschichte gesichert. Er ist zu so etwas wie unserem Voldemort geworden und ich denke, das wäre ganz in seinem Sinne gewesen.


    Jeden Tag läuft mindestens eine Dokumentation über Hitler im Fernsehen, meistens mehrere: Hitlers Eroberungen, Hitlers Frauen, Hitlers Schäferhundtrainingsprogramm (kein Witz...). Wir haben über ein halbes Jahrhundert versucht Vergangenheitsbewältigung durch Schuldgefühle zu betreiben- es hat nicht funktioniert. Hitlers Ideen werden immer reizvoller, je mehr der soziale und finanzielle Druck wächst. Um es ganz simplifiziert und überspitzt auszudrücken: der Staat verurteilt Hitler, der Staat "baut nur Mist", der einfache Bürger ist wütend auf den Staat und "würgt ihm eins rein" indem er die NPD wählt. Solche Tendenzen gibt es leider. Die braunen Gruppierungen nutzen dies ganz gezielt aus, indem sie "volksnahe Politik" betreiben, was die NSDAP auch getan hat. Hitler war ein Monster, aber er war effizient und für eine kurze Zeit (bevor der ganze Wahnsinn wirklich losging) hat er die Lebenssituation verbessert, wenn auch durch sehr fragwürdige Methoden. Aufrüstung schafft Arbeitsplätze.


    Meiner Meinung nach ist die "aus vergangenen Fehlern lernen"-Haltung keine 100% erfolgreiche Methode seine Macht zu brechen. Geschichtliche Aufklärung ist wichtig, es darf nicht vergessen werden. Es darf aber auch nicht zu große Macht über uns haben. Wie Nietzsche so schön gesagt hat: Lasst uns unsere Feinde mit Lachen töten! (Also sprach Zarathustra) Jemand, der verspottet wird, wird im Allgemeinen nicht politisch ernstgenommen (obwohl gewisse Tendenzen in Italien anscheinend etwas anderes nahelegen...).


    Dabei muss man allerdings ganz klar den Mann von den Taten trennen.


    Wenn man es sich genau überlegt, hat er eine Menge "Witziges" gesagt: er war klein, dunkelhaarig und nicht sehr ansehnlich und predigt von der Kanzel aus den deutschen Mann: groß, blond und gutaussehend! (Hier mal ein Bild von Tussaud: http://static.cosmiq.de/data/d…61f7b41edf8aa0_1_orig.jpg )


    Seine Taten sind ein ganz anderes Kaliber und bevor mir jemand Holocaustverleugnung unterstellt: mein Großonkel war Jude und im KZ.
    Natürlich ist es schwierig eine sachliche Diskussion über ein so emotionales Thema zu führen, vor allem da es immer noch Menschen gibt, die im KZ oder den Nachwehen Angehörige verloren hatten. Es sind auch genug Befreite in den darauffolgenden Jahren langsam und qualvoll an den Folgeerkrankungen gestorben, was die Familien hautnah miterlebt haben, oder haben an schweren psychischen Krankheiten gelitten, was für die Opfer und Angehörigen unter Umständen noch viel schlimmer sein kann.
    Trotzdem muss man sich irgendwann davon lösen. Der Nationalsozialismus ist keine Erbsünde, deren Schuld automatisch an die nächsten Generationen übergeht. Mein Großvater war im 2. WK ein Jugendlicher, war als kleiner Matrose an Bord und ist für kurze Zeit in US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Er ist vor ein paar Jahren an Altersschwäche gestorben.
    Ich persönlich empfinde weder (Mit-)Schuld noch (Mit-)Verantwortung gegenüber der NS-Zeit. Es war schrecklich und ich habe großes Mitleid mit den Opfern- Deutschland selbst hat aber auch sehr unter Hitler gelitten. Mal ganz davon abgesehen, dass die meisten ermordeten Juden in meinen Augen auch "normale" Deutsche gewesen sind und sich im Allgemeinen auch selbst so gesehen haben. Viele Märtyrer sind gestorben, viele Unschuldige in Arbeitslagern und KZs grausam ermordet worden und viele viele Soldaten wurden für den Größenwahnsinn weniger Menschen geopfert- auf allen Seiten.


    Gedenkt der Taten und der Opfer, aber nicht des Mannes.
    Das hat er nicht verdient.

  • Trotzdem muss man sich irgendwann davon lösen. Der Nationalsozialismus ist keine Erbsünde, deren Schuld automatisch an die nächsten Generationen übergeht. Mein Großvater war im 2. WK ein Jugendlicher, war als kleiner Matrose an Bord und ist für kurze Zeit in US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Er ist vor ein paar Jahren an Altersschwäche gestorben.


    Ich finde, sich davon "zu lösen" oder das Ganze zu bagatellisieren, geht nicht - auch nicht für die nachfolgenden Generationen, die dafür Sorge tragen sollten, dass so etwas nie wieder passiert (und ja, ich gehöre auch dazu - allerdings habe ich wohl ein etwas persönlicheres Verhältnis zu den Greuel als die meisten anderen, die über Hitler lachen können). Das hieße, alles zu verleugnen - das beispiellose Verbrechen eines Massenmörders, den Rechtsradikalismus in unserem Land (und nicht nur hier), und wegzuschauen, so wie die Menschen damals, die sich gewundert haben, wo denn plötzlich ihre jüdischen Nachbarn hingekommen sind...

    Gedenkt der Taten und der Opfer, aber nicht des Mannes.
    Das hat er nicht verdient.


    Merkwürdig, warum er dann als Medienstar gefeiert wird und in dem Buch die Opfer scheinbar totgeschwiegen werden.

    Einmal editiert, zuletzt von Yael () aus folgendem Grund: typo...

  • Kurzer Nachtrag bezüglich der "Schuldfrage": wie ich vorher schon schrieb, muss sich heute keiner mehr für die Nazivergangenheit schuldig fühlen. Ich denke, keiner wacht morgens mit dem Gedanken auf "Oh, wie furchtbar, was mein Land damals verbrochen hat!" und das wäre auch völlig verkehrt. Die Mehrheit weiß auch, wie schrecklich das war - mit dem Finger auf Deutsche zeigen, nur aufgrund ihrer Herkunft, finde ich dumm und gedankenlos. Aber ehrlich - wer wedelt denn vor eurer Nase herum, außer vielleicht in Ländern, wo ihr Touristen seid und auf Ewiggestrige stoßt, die entweder tadeln, sogar handgreiflich werden (habe ich schon erlebt) oder einen blöden Spruch reißen, wenn man sich als Deutsche(r) zu erkennen gibt? Und an der Stelle - auch wenn es nicht ganz hierher passt - sollte man bedenken, was wir den Amerikanern zu verdanken haben, auf die wir heute so gern mit dem Finger zeigen (in dieser Hinsicht verstehe ich deine Bemerkung mit der Kriegsgefangenschaft nicht, Nazena, auch wenn mir dein Beitrag gefallen hat).


    Das waren meine fifty cents zum Thema.

  • Merkwürdig, warum er dann als Medienstar gefeiert wird und in dem Buch die Opfer scheinbar totgeschwiegen werden.

    So einfach ist das finde ich nicht. Das Buch "feiert" Hitler nicht als Medienstar. Das würde ja bedeuten, dass es die Intention des Autors gewesen wäre, Hitler ein Denkmal zu setzen, und das ist nicht der Fall. Vermes nutzt die Figur Hitler als Beispiel dafür, wie schnell Menschen wegschauen, den Ernst der Lage nicht erkennen, Lustiges und "Comedy" vermuten, wo jemand ganz ernsthaft gefährliche Gedanken unters Volk bringt, denn das ist, was in dem Buch passiert. Ich kann verstehen, dass man sich dagegen entscheidet, das Buch zu lesen, und verstehe auch die Gründe, die man dafür haben kann. Andererseits wird Hitler in diesem Roman meiner Meinung nach nicht glorifiziert oder bagatellisiert; und ich denke, dass es richtig ist, dass es in dem Roman nicht zu einer Auseinandersetzung zwischen Hitler und einer Zeitzeugin kommt. Wie hätte der Autor genau das machen sollen, ohne zu bagatellisieren? Wie hätte er ein solches Thema angemessen in einem Roman unterbringen können? Ich glaube nicht, dass das möglich gewesen wäre.

  • Kurzer Nachtrag bezüglich der "Schuldfrage": wie ich vorher schon schrieb, muss sich heute keiner mehr für die Nazivergangenheit schuldig fühlen. Ich denke, keiner wacht morgens mit dem Gedanken auf "Oh, wie furchtbar, was mein Land damals verbrochen hat!" und das wäre auch völlig verkehrt. Die Mehrheit weiß auch, wie schrecklich das war - mit dem Finger auf Deutsche zeigen, nur aufgrund ihrer Herkunft, finde ich dumm und gedankenlos. Aber ehrlich - wer wedelt denn vor eurer Nase herum, außer vielleicht in Ländern, wo ihr Touristen seid und auf Ewiggestrige stoßt, die entweder tadeln, sogar handgreiflich werden (habe ich schon erlebt) oder einen blöden Spruch reißen, wenn man sich als Deutsche(r) zu erkennen gibt? Und an der Stelle - auch wenn es nicht ganz hierher passt - sollte man bedenken, was wir den Amerikanern zu verdanken haben, auf die wir heute so gern mit dem Finger zeigen (in dieser Hinsicht verstehe ich deine Bemerkung mit der Kriegsgefangenschaft nicht, Nazena, auch wenn mir dein Beitrag gefallen hat).


    Das waren meine fifty cents zum Thema.


    Das sollte nur zeigen, dass das alles so lange her ist, dass mein Großvater es als Junge erlebt hat und mittlerweile im hohen Alter verstorben ist- wohingegen ich noch recht jung bin und somit nicht mehr direkt in die Angelegenheit verwickelt.
    Mein Großvater hat den Amis übrigens nie was nachgetragen, im Gegenteil- er war froh, dass es nicht die Russen waren.

  • Ich bin ehrlich gesagt etwas ratlos, was ich von dem Roman halten soll. Die Threaderöffnerin hat es eigentlich schön formuliert, man fühlt einerseits mit dem ICH-Erzähler, was in diesem Fall ja Hitler ist, und gleichzeitig sträubt man sich dagegen, eben weil es Hitler ist. Ich muss sagen, dass ich teilweise sogar so etwas wie Symphatie empfunden habe und dann war ich auf der anderen Seite wieder schockiert. Aber nicht von seinen Taten sondern von seinem Denkansatz. Mir kam er teilweise vor, wie ein etwas verwirrter, schrulliger, älterer Herr...und im nächsten Augenblick dann wieder wie ein intelligenter, erfolgshungriger Mensch mit sehr gefährlichem Gedankengut. Ich musste mich bei den Situationen wo er auf mich so hilflos und harmlos wirkte immer wieder daran erinnern, dass er das ja gar nicht ist. Diese Zwiespältigkeit hat sich für mich durchs ganze Buch gezogen, wesegen ich das Lesen des Buches auch so anstrengend empfunden habe.


    Teils Situationen im Buch waren wirklich witzig geschrieben, wo ich auch schon Mal lachen musste (die Situation z.B. in der Wäscherei) und danach stellte ich mir gleich wieder die Frage, darf ich darüber überhaupt lachen? Es ist ja immerhin Hitler. Was in mir auch einen Widerwillen regt, war die Tatsache, dass er im Roman als Held gefeirt wird, natürlich nur, weil alle im Roman denken, er spiele nur eine Rolle....aber das war für mich irgendwie auch nicht so ganz logisch bzw. ich habe mir gefragt, käme er in der wirklichen Welt wirklich so durch? Würde er wirklich frenetisch als Medienstar gefeiert werden?


    Die Sprache fand ich auch sehr schwierig zum lesen, natürlich weil es in Hitlers-Sprache geschrieben ist. Und ganz ehrlich, den Schluss habe ich gar nicht verstanden? Vielleicht habe ich etwas nicht begriffen, aber plötzlich war die Geschichte zu Ende ohne wirklich ein Ende zu haben?


    Ich finde es mutig vom Autor einen solchen Roman zu verfassen, weil er wahrscheinlich auch wusste, was dieses Buch für zwiespältige Gefühle beim Leser hervorrufen wird.


    Ich denke wichtig für zukünftige Leser ist, dass man bei diesem Buch kein witziges, einfaches Buch erwartet. Mit dieser Einstellung liest man die Geschichte evtl. anders. Bei mir persönlich hat der Klappentext andere Erwartungen geweckt und nach dem Lesen blieben bei mir zuviele Fragezeichen offen, weswegen ich ihn nur mit :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: bewerten würde.

    :study:: Die unglaubliche Reise des Smithy Ide - Ron McLarty

    :musik:: Meistens kommt es anders, wenn man denkt - Petra Hülsmann



  • Guckt euch den Clip an! Ein Studentisches Meisterwerk :pray:

    wieso gefällt diese Werbung dem Mercedes bloß nicht :-, Ist doch super gemacht O:-)

    2024: Bücher: 74/Seiten: 32 651

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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    Mein Blog: Zauberwelt des Lesens
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    "Das Nicht-Wahrnehmen von Etwas beweist nicht dessen Nicht-Existenz "

    Dalai Lama

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    Lese gerade:

    Morris, Brandon Q. - Tachyon. Das Planet

  • wieso gefällt diese Werbung dem Mercedes bloß nicht :-, Ist doch super gemacht O:-)

    ja schon allein für die Kreativität hat der Student eine 1 verdient! :cheers:

    "Aber sie hatten einander damals völlig natürlich verstanden und angenommen. So vollständig, dass es beinahe ein Wunder war"


  • Ich habe diese Satire nun auch erfolgreich beendet.


    Ich muss sagen, die Grundidee, dass Adolf Hitler im Jahre 2011 wiederaufersteht und in der modernen Welt zurecht kommen muss, einfach genial ist.
    Die Erzählung aus der Ich-Perspektive von einem der schlimmsten Kriegsverbrecher ist ziemlich heavy. Aber die Erzählart / Monologart ist sehr realistisch gestaltet, bzw. lässt Hitler für den Leser lebendig erscheinen. Das wir darüber lachen, wie er sich zurechtfinden muss und über unsere sozial Gesellschaft denkt, ist makaber und ziemlich bitter. Eine gewaltige Portion Schwarzer Humor ist von nöten.


    Meine Lieblingsstelle ist die, in der


    Von mir bekommt das Buch :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: . Einer weniger, da ich es nicht flüssig durchlesen konnte. Aufgrund der besonderen Sprache bzw. des Erzählstils.

    "Aber sie hatten einander damals völlig natürlich verstanden und angenommen. So vollständig, dass es beinahe ein Wunder war"


  • Hallo alle zusammen,


    also ich hab mir das Hörbuch auch angehört und hatte da gar keine Schwierigkeiten, weder mit der Hitler-Parodie in der Stimme von Herbst noch mit dem Inhalt. Ich hab herzhaft gelacht, denn die Situationskomik fand ich wirklich zum Schießen. Ich denke mal, man muss sich nicht unbedingt mit Hitler identifizieren, um das Buch lustig zu finden. Aber das muss natürlich jeder selbst entscheiden. Ich habs als Komedi gehört und mich köstlich amüsiert.


    LG Sky


  • Der Clip ist einfach genial :totlach: ... vielen Dank fürs Zeigen. Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, warum Mercedes den nicht mag.

    "Imagination, rather than mere intelligence, is the truly human quality."


    "Chaos is found in greatest abundance wherever order is being sought. It always defeats order, because it is better organized."

    Terry Pratchett

    "The person, be it gentleman or lady, who has not pleasure in a good novel, must be intolerably stupid."

    Jane Austen


    :study:

    Alex Haley - Roots

    Andrew Jefford - Whisky Island

    Randale Munroe - What if 2


    :bewertung1von5: 2024: 5 :bewertung1von5:

  • Auch ich habe so meine familiären Bezüge zum Dritten Reich und habe die damit verbundenen Greuel an den Tischen meiner Großeltern genug referiert bekommen - außerdem habe ich Geschichte studiert und unterrichte Germanismus, zwei Bereiche, bei denen man um das Dritte Reich und die damit verbundene Greuel gar nicht herum kommt. Ich habe zu Anfangszeiten der Ausbreitung des Internets in Newsgroups gegen die Holocaust-Leungungsindustrie aus Atlanta und aus anderen Ecken angeschrieben und setze mich regelmäßig mit dem rechten Gedankengut und Antisemitismus in jungen Köpfen verschiedenster Herkunft auseinander. Daneben lese ich Zeitungen und sehe, wie in anderen Ländern rechte Gesinnungen nachgerade en vogue kommen und wie in vorgeblich demokratischen Staaten heutzutage Personen, die eigentlich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht stehen sollten im demokratischen Prozess von ihrer Bevölkerung wieder gewählt werden. Dann gibt es Einrichtungen wie "Killing Tuesday" von einem Friedensnobelpreisträger. So - und noch absurder - sieht die heutige politisch-mediale Realität aus. Das einfach mal vorweg.


    „Satire muss alles dürfen“ kann man an dieser Stelle frei Tucholsky zitieren. Und das muss man auch, denn dieses Buch hat mal wieder eine Diskussion darüber entfesselt, ob man über Hitler in dieser Form Witze machen darf – und damit auch über seine Untaten. Aber diese Satire arbeitet auf sehr vielen Ebenen und bearbeitet dabei sehr viele unterschiedliche Themen. Was hätte die NSDAP mit den heutigen Massenmedien – und den daneben existierenden Überwachungsmöglichkeiten – alles erreichen können? Schließlich haben wir heute viele der Horrorvisionen aus Orwells „1984“ technologisch bereits übertroffen und seit etlichen Jahren können sich extremvoyeuristische Fernsehproduktionen schamlos „Big Brother“ nennen, ohne dass das die breite Masse wirklich irritiert. Und was ist das Fernsehen überhaupt für ein Geschäft, in dem die „Erzähler von abgeflachten Herrenwitzen“ in Lifeshows Stadien füllen können?


    Vermes lässt seinen Hitler als Ahnungslosen auf die moderne Welt treffen und hält ihr den nationalsozialistischen Spiegel vor. Damit kritisiert er vieles in dieser Welt – auf der anderen Seite entkräftet er aber auch gerade deutschnationale und Stammtischargumente zu vielen Themen, indem er sie gegen Adolfs Weltsicht spiegeln lässt – besonders eindringlich gezeigt an Hitlers Versuch in einem Drogeriemarkt ein Rasiermesser zu kaufen und seine Überlegungen zum Funktionieren des Selbstbedienungssystems und der Einrichtung von „Hartz IV“. Jeder Kritiker des Sozialsystem in seinen Grundlagen sollte sich die hier gezeigte Sicht eines Arbeitslosen zu Hitlers Zeiten sehr genau anschauen, bevor er weiter für eine vollständige Abschaffung solcher System im Prinzip argumentiert.


    Auch sonst gibt es allerlei Kritik an Politik und Hitlers Gespräche mit dem Leiter eine NPD-Stelle, Renate Künast und Sigmar Gabriel sind sicherlich Perlen der Polit-Satire. Die Idee, dass die Grünen die idealen politischen Bündnispartner einer neuen deutschnationalen Bewegung sein könnten wird hier sehr überzeugend dargestellt – durch die verdrehte rhetorische Arbeit des „Fremdenführers“ selbst.


    Und hier sind wir eigentlich beim wichtigsten Teil dieses Buchs in den Augen des Rezensenten. Immer wieder kommt die Frage auf, wie Adolf Hitler die Menschen für sich gewinnen konnte. Dadurch, dass Vermes in den Kopf des 2011 wieder erwachten Führers eintaucht und uns durchgängig die Welt durch seine Wahrnehmungen spiegelt, zeigt er auch die Gedanken- und Argumentationsgänge, die dabei zum Tragen gekommen sind, genauso, wie ein sehr sicherer Instinkt zur Selbstinszenierung. Viele grundlegende rhetorische Techniken – und bedingungsloser Fanatismus – werden in diesem Text vorgeführt und gerade in der von Christoph Maia Herbst gelesen Hörbuchfassung auch eindringlich und unausweichlich demonstriert. Das Gefährliche daran kann sein, dass manche Menschen anfangen zu glauben, was sie dort lesen oder hören, weil sie nicht im Kopf behalten, dass hier Satire vorliegt – und eine Satire, die ihre Angriffsziele alle sehr gut recherchiert hat. Insofern sollte man vielleicht das Buch und seine medialen Ableger mit einem Warnaufdruck versehen, auf dem steht „Vorsicht! Satire!“ und diese Warnung auch innerhalb des Texts alle paar Seiten in Rot oben auf der Seite wiederholen. Erschreckend gut – und erschreckend. :thumleft:

  • Ein weiterer Gedanke - die Gefahr, die von diesem Text als "Bibel" des Rechtsextremismus ausgehen könnte. Zunächst einmal argumentieren Radikale auf der Grundlage des Korans, der Bibel, der Thora und so ziemlich jeder anderen religösen Grundlagenschrift. Im Politischen Bereich sind neben "Mein Kampf" noch Maos kleines Buch und einige weitere Texte zu nennen. Diese Titel werden viel weniger diskutiert als diese offensichtliche Satire. Sogar die Schriften der Evolutionslehre wurden für radikale und menschenverachtende Argumentationswege benutzt und haben in vielen Ländern zu grausamen Handlungen an mental eingeschränkten oder auch kriminellen Menschen geführt.


    Das Internet ist voll von ungefiltertem und unüberwachtem Material zur Holocaust-Leugnung, zum Antisemitismus und zu anderen radikalitätsunterstützenden Themenbereichen. Dort können Menschen, die anfällig für so etwas sind problemlos mehr und vor allen Dingen stark verfälschendes Material lesen und die breite Öffentlichkeit bekommt es noch nicht einmal mit. Vermes Buch sorgt für neuerliche Diskussion der Themenbereiche, die hier aufgezeigt werden. Zum Beispiel zum Holocaust. Etliche Rechte leugnen ihn, genauso, wie ehemalige iranische Regierungschefs, und wenn sie ihn zugestehen, dann behaupten sie gerne, Hitler selbst habe davon eigentlich gar nichts gewusst. Vermes lässt "seinen" Führer hier klare Worte sprechen. "Man delegiert zwar die Aufgaben, aber die Verantwortung liegt letztendlich bei mir." Er bestätigt immer wieder in sehr aggressiver Art - zumindest in seinen "privaten" Gedanken in diesem Buch - die Verantwortung und zeigt - etwa im Gespräch mit dem Charakter der Frau "Künast", wie gerade auch die politische Linke das Thema gerne als Totschlagargument im Gespräch über andere Themen verwendet. Und zumindest beim Veggie-Tag wären die Grünen doch mit Hitler sicher einig gewesen (um hier mal ein wenig bösartig zu sein).

  • Hallo
    Ich hab das Buch jetzt auch gelesen und fand es sehr gelungen und sehr genial.
    Ich brauch eigentlich nicht mehr sehr viel dazu zu schreiben, da mein "vorschreiber" eigentlich schon alles geschrieben hat.
    Wie einfach hätte es Hitler in unserer Zeit, um auf sich aufmerksam zu machen, ohne das wirklich jemand die Gefahren erkennt, die von ihm und seinem ideologischem Gedankengut ausgehen.
    Auch gut fand ich, das das Ende "offen" war, denn ab da kann sich jeder selbst ausmalen wie weit er noch kommen kann
    Danke für dieses Buch...

  • Was hatte ich mir bei den vorliegenden Lobeshymnen von diesem Buch alles versprochen: Grenzüberschreitungen jeglicher Art; Humor der schwärzesten Sorte; Satire scharf, schärfer, am schärfsten. Aber - na jaaaa...
    Alles in allem empfand ich die Lektüre eher durchschnittlich witzig - wer sich öfter mal Kabarettsendungen anschaut (am besten live, da ist manches noch böser :-)), dem kommt ein Großteil der 'bösartigen' Bemerkungen und Kommentare über die heutige Gesellschaft, egal in welcher Form, weitgehend bekannt vor. Und Grenzüberschreitungen, womit vermutlich unter anderem Hitlers Anmerkungen über das Auslöschen missliebiger Gestalten (egal ob Juden, Andersdenkende, Kranke usw.) gemeint sind, sind in anderer und besserer Form auch in Deutschlands endgültigem Satiremagazin zu finden - einfach mal kaufen und lesen :-) Zugegeben, es gibt einige wirklich schöne Szenen: Dem Laubbläser, dem er für seinen treuen Dienst dankt oder der Besuch Renate Künasts in seiner Fernsehshow - das war gelungen. Ansonsten ziehen sich aber über lange Passagen Erinnerungen an seine eigene Vergangenheit, die ich eher ermüdend empfand.
    Ich vermute, dass das Hörbuch mit dem in dieser Rolle zweifellos genialen Christoph Maria Herbst deutlich besser wirkt. Dabei hat man Hitler nicht nur auf den Ohren, sondern sieht ihn regelrecht vor sich, was jedoch beim Lesen nicht gelingt da ein eigener Stil fehlt, der für den Führer typisch wäre. Aber vielleicht hatte er ja keinen?

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Nachdem ich das Buch schon vor einiger Zeit angelesen hatte, habe ich es nun endlich beendet. Mir hat es super gefallen und ich war überrascht, wie glaubhaft das Konzept passte- Hitler wacht 2011 und ist- einfach er selbst. Er verstellt sich kein bißchen, sondern wird innerhalb kürzester Zeit zum Medienstar.


    Leider blieben mir einige Anspielungen fremd- bei der Szene auf dem Oktoberfest kamen verschiedene Prominente vor. Einer war Lothar Matthäus, aber die anderen? Wer sind die Zwillinge? Vielleicht sollte man sich etwas besser innerhalb der Klatschpresse auskennen, dann hat man an dem Buch sicher noch mehr Spaß.


    Von mir 5 Sterne, wobei mir ein Buch dieser Art nun fürs Erste auch reicht....

  • Klappentext
    Sommer 2011. Adolf Hitler erwacht auf einem leeren Grundstück in Berlin-Mitte. Ohne Krieg, ohne Partei, ohne Eva. Im tiefsten Frieden, unter Tausenden von Ausländern und Angela Merkel. 66 Jahre nach seinem vermeintlichen Ende strandet der Gröfaz in der Gegenwart und startet gegen jegliche Wahrscheinlichkeit eine neue Karriere - im Fernsehen. Dieser Hitler ist keine Witzfigur und gerade deshalb erschreckend real. Und das Land, auf das er trifft, ist es auch: zynisch, hemmungslos erfolgsgeil und auch trotz Jahrzehnten deutscher Demokratie vollkommen chancenlos gegenüber dem Demagogen und der Sucht nach Quoten, Klicks und "Gefällt mir"-Buttons. Eine Persiflage? Eine Satire? Polit-Comedy? All das und mehr: Timur Vermes' Romandebüt ist ein literarisches Kabinettstück erster Güte.


    Über den Autor
    Timur Vermes wurde 1967 als Sohn einer Deutschen und eines 1956 geflohenen Ungarn geboren, studierte in Erlangen Geschichte und Politik und wurde dann Journalist. Er schrieb für die "Abendzeitung" und den Kölner "Express" und arbeitete für mehrere Magazine. Seit 2007 veröffentlichte er als Ghostwriter vier Bücher, zwei weitere sind in Vorbereitung.


    Schreibstil & Spannung
    Der Anfang war richtig gut geschrieben. Witzig, unterhaltsam, man musste sehr viel schmunzeln. Die gute alte deutsche Sprache gemischt mit dem Berliner Dialekt, einfach zu köstlich.
    Leider waren die Abschnitte zwischen diesen Dialogen oft recht langatmig was das lesen erschwerte.


    Meine Meinung
    Schwer etwas zu sagen. Das erste Drittel war ich von diesem Buch sehr überzeugt, musste viel lachen und konnte mich auch richtig gut in das Buch hinein versetzen. Ein lockerer Schreibstil gemischt mit dem Dialekt waren doch etwas neues und sehr unterhaltsam. Nur leier zog es sich stellenweise doch sehr in die Länge. Manchmal wusste ich gar nicht mehr genau worum es ging, habe dann auch recht schnell den Faden verloren.
    Bis zur Hälfte habe ich es noch geschafft und dann beschlossen es aufzugeben. Es ist mir einfach zu langatmig.


    Fazit
    Ein Buch wo ich am Anfang dachte, wow wie cool, selten so was lustiges gelesen. Doch das ließ leider recht schnell nach und irgendwann gab ich es einfach auf. trotzdem noch 2 Sterne da der Anfang überzeugt hat


    Sterne
    2/5

  • Natürlich ist es schwierig eine sachliche Diskussion über ein so emotionales Thema zu führen, vor allem da es immer noch Menschen gibt, die im KZ oder den Nachwehen Angehörige verloren hatten. Es sind auch genug Befreite in den darauffolgenden Jahren langsam und qualvoll an den Folgeerkrankungen gestorben, was die Familien hautnah miterlebt haben, oder haben an schweren psychischen Krankheiten gelitten, was für die Opfer und Angehörigen unter Umständen noch viel schlimmer sein kann.
    Trotzdem muss man sich irgendwann davon lösen. Der Nationalsozialismus ist keine Erbsünde, deren Schuld automatisch an die nächsten Generationen übergeht. Mein Großvater war im 2. WK ein Jugendlicher, war als kleiner Matrose an Bord und ist für kurze Zeit in US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Er ist vor ein paar Jahren an Altersschwäche gestorben.
    Ich persönlich empfinde weder (Mit-)Schuld noch (Mit-)Verantwortung gegenüber der NS-Zeit. Es war schrecklich und ich habe großes Mitleid mit den Opfern- Deutschland selbst hat aber auch sehr unter Hitler gelitten. Mal ganz davon abgesehen, dass die meisten ermordeten Juden in meinen Augen auch "normale" Deutsche gewesen sind und sich im Allgemeinen auch selbst so gesehen haben. Viele Märtyrer sind gestorben, viele Unschuldige in Arbeitslagern und KZs grausam ermordet worden und viele viele Soldaten wurden für den Größenwahnsinn weniger Menschen geopfert- auf allen Seiten.


    Gedenkt der Taten und der Opfer, aber nicht des Mannes.
    Das hat er nicht verdient.


    Vielen Dank, das hast du perfekt ausgedrückt, es spiegelt genau meine Meinung wieder. :thumleft:


    Ich mag auch gar nicht an die unvorstellbaren Dinge denken die mit den armen Menschen gemacht worden sind ,aber letztendlich fühle ich mich nicht schuldig, was wir tun können ist zu verhindern das so etwas noch einmal passiert, was aber nicht heißt das wir alles dulden müssen ohne uns äußern zu dürfen. :winken:

    Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten. (Albert Einstein)