Carolyn Jess-Cooke: Die Psychologin

  • Die Autorin:
    Carolyn Jess-Cooke, 1978 in Belfast geboren, studierte Literatur und Filmwissenschaften und ist Autorin von Gedichten und mehreren Sachbüchern zu den Themen Film und Shakespeare. Ihr Romandebüt »Tagebuch eines Engels« wurde über Nacht zum Welterfolg. »Die Psychologin« ist ihr zweiter Roman. (amazon.de)


    Klappentext:
    Anya Molokov ist Kinderpsychologin. Keine leichte Aufgabe für eine Frau, die ihre eigene Tochter unter mysteriösen Umständen verloren hat. Ihr Trauma erwacht zu neuem Leben, als Anya dem hochbegabten Alex begegnet. Denn der Zehnjährige sieht Dinge, die sonst niemand sehen kann. Und er kennt Geheimnisse von ihr, die sie niemandem je anvertraute. Je enger das Band zwischen den beiden wird, desto entschlossener ist Anya, Alex seinen Dämonen zu entreißen – egal, um welchen Preis …


    Inhalt:
    Anya hat gerade einen neuen Job in Belfast in der Jugendpsychiatrie angenommen. Auch wenn hier inzwischen wieder Frieden herrscht, sind viele Kinder und Jugendliche durch das, was sie in der Vergangenheit während der Unruhen erlebt haben, traumatisiert und verunsichert. Anya will ihnen helfen – und sie will hier neu anfangen, was auch dringend nötig ist, denn vor vier Jahren ist ihre Tochter Poppy auf tragische Weise ums Leben gekommen. Anya hat sich das nie verziehen, denn Poppy war psychisch krank und es ist Anya nicht gelungen, ihre Tochter zu schützen oder gar zu heilen. Hilflos und schuldig ist sie nach dem Tod des Mädchens zurückgeblieben und immer noch geht sie am Todestag ihrer Tochter nicht aus dem Haus.
    Bis zu Poppys viertem Todestag, an dem Anya gezwungen wird, zu arbeiten. Es handelt sich um einen Notfall: der kleine Alex Broccoli ist in die Klinik gebracht worden, nachdem seine Mutter versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Die beiden leben unter schrecklichen Umständen in einem baufälligen Haus und haben kaum genug Geld um zu leben. Cindy, Alex’ Mutter, ist mit der Situation vollkommen überfordert, und Alex selbst hat das Gefühl, dass er die Verantwortung für seine Mutter trägt, obwohl er noch ein Kind ist – ein einsamer kleiner Junge, der keine Freunde hat; außer Ruen. Ruen ist ein Dämon, der sich in verschiedenen Gestalten zeigen kann, und der Alex hilft, den Alltag zu meistern. Fürchten tut Alex sich vor Ruen nur sehr selten, auch wenn der Dämon sich oft über ihn lustig macht und in letzter Zeit schlimme Dinge von ihm verlangt. Auch in den Gesprächen mit Anya zeigt Ruen sich von Zeit zu Zeit, und unheimlicherweise scheint er etwas über sie zu wissen…


    Meine Meinung:
    Zunächst: ”Die Psychologin” ist als Titel merkwürdig gewählt, da Anya Psychiaterin ist. Dies kommt auch im Roman mehrfach zur Sprache, da Anya sich über ihren Beruf häufig mit dem Sozialarbeiter Michael austauscht. Eine Psychologin kommt in dem Roman nicht vor. Außerdem rückt der Titel den Fokus sehr auf Anya, interessanterweise im Gegensatz zum Originaltitel (“The Boy Who Could See Demons”), in dem es eindeutig um Alex geht.
    Davon aber mal abgesehen: Die Handlung des Romans wird aus zwei Perspektiven erzählt; einmal aus Anyas Sicht und dann in Tagebucheinträgen von Alex, die oft wirklich ziemlich traurig sind. Gerade am Anfang, wenn man zwischen den Zeilen herauslesen kann, unter welchen Umständen der Junge leben muss, gelingt es der Autorin, dass man Mitleid mit Alex bekommt und ihn sofort ins Herz schließt. Alex ist auch wirklich ein toller Junge, der versucht, die Verantwortung für seine Mutter zu übernehmen und der alles daran setzt, sich nicht unterkriegen zu lassen. Seine Gespräche mit Ruen sind am Anfang sehr befremdlich, aber spannend, und ich fand es toll, wie sich nach und nach vieles um die Dämonen aufklärte, aber eben nicht alles. Hier hat die Autorin wirklich tolle Ideen gehabt und sie gut umgesetzt.
    Anya mochte ich ebenfalls, und auch das Bild, das man als Leser von ihr bekommt, setzt sich erst Stück für Stück zusammen. Mir hat das sehr gut gefallen, gerade weil der Tod ihrer Tochter aus Anya keine tragische Heldin macht, sondern weil er sie authentisch wirken lässt: Anya trauert und wird mit der Situation nicht fertig, und sie kann keine Grenze zwischen ihrer professionellen Sicht auf die Dinge und ihren Muttergefühlen ziehen. Dieser Konflikt wird im Roman sehr gut beschrieben.
    Die Geschichte ist spannend und ungewöhnlich. Sie serviert einem keine Antworten auf dem Silbertablett und sie wirkt an jeder Stelle glaubhaft und durchdacht. Auch die Anmerkungen der Autorin am Ende des Romans fand ich interessant; und ich habe mich gefreut zu sehen, dass es bereits einen weiteren Roman von Carolyn Jess-Cooke gibt (“Tagebuch eines Engels”), denn sie ist eine Autorin, von der ich wieder etwas lesen werde.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: