Rosamund Lupton: Liebste Tess/ Sister

  • Die Autorin:
    Rosamund Lupton studierte in Cambridge und arbeitete als Werbetexterin sowie Rezensentin für die ›Literary Review‹. Sie schrieb zahlreiche Drehbücher für Film und Fernsehen. ›Liebste Tess‹ ist ihr erster Roman. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in London. (Quelle: Verlagswebsite)


    Klappentext:
    Unterschiedlicher können zwei Schwestern nicht sein: Bee, Mitte zwanzig, ist eine zielstrebige Karrierefrau, deren Leben bis ins Detail geplant ist, die jüngere Tess studiert Kunst und lebt jeden Tag, als könnte es ihr letzter sein. Als Tess plötzlich wie vom Erdboden verschluckt ist und wenig später mit aufgeschnittenen Pulsadern in einer Toilette im Hyde Park gefunden wird, ist Bee die Einzige, die nicht an Selbstmord glaubt. Sie ist fest entschlossen, herauszufinden, was wirklich geschehen ist. Und sie beginnt, einen Brief an ihre tote Schwester zu schreiben ... (Quelle: Verlagswebsite)


    Allgemeines:
    384 Seiten
    Eine sehr ungewöhnliche und absolut spannende Erzählperspektive: Bee, die Schwester der ermordeten Tess, erzählt in einem Brief an ihre Schwester die Geschichte ihrer "Ermittlungen" in dem Fall so, wie sie in einer Zeugenaussage wiedergegeben hat.


    Inhalt:
    Bee und Tess sind Schwestern, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Tess studiert Kunst, lebt in London in einer kleinen und eher schmuddligen Wohnung und ist für den Geschmack ihrer großen Schwester Bee einfach nicht verantwortungsbewusst genug. Denn Bees Leben sieht ganz anders aus: in New York gehört sie eher zur gehobenen Mittelschicht, Wohnung, Job und Verlobter sind vorzeigbar und prestigeträchtig. Und trotzdem fühlen sich die Schwestern miteinander verbunden, was sicher auch daran liegt, dass sie als Kinder bereits miterleben mussten, wie ihr kleiner Bruder Leo an Mukoviszidose starb - und wie sein Tod das Leben der Familie für immer veränderte.
    Als Tess spurlos verschwindet, gibt es für Bee kein Halten mehr und sie macht sich auf den Weg nach London. Immerhin war Tess schwanger, stand kurz vor ihrem Entbindungstermin - da kann es doch nicht sein, dass sie einfach so abhaut! Bee traut ihrer Schwester einiges zu, aber nicht das.
    Leider gibt ihr ihr Bauchgefühl bald schon Recht: Tess wird tot im Hyde Park gefunden. Nur glauben alle außer Bee, dass Tess, die kurz zuvor ihr Baby tot zur Welt gebracht hatte, sich das Leben genommen hat. Postnatale Depression, sagt man Bee. Das könne auch aus der lebensfrohen Tess einen Menschen gemacht haben, der nicht mehr leben wollte.
    Aber das kann und will Bee nicht glauben und sie macht sich selbst daran, Ermittlungen anzustellen. Dazu klappert sie nach und nach den Freundeskreis ihrer Schwester ab, lernt deren Leben besser kennen und versucht verzweifelt, Gerechtigkeit für die kleine Schwester und ihr totes Baby zu erlangen. Doch so bedächtig und besonnen Bee auch eigentlich ist, hier schätzt sie die Situation vollkommen falsch ein und begibt sich selbst in Lebensgefahr.


    Meine Meinung:
    Dieser Thriller besticht absolut durch die Art der Erzählung: der Brief, den Bee an ihre kleine Schwester schreibt, ist ein tolles erzählerisches Mittel. Dadurch werden die Emotionen der Ich-Erzählerin noch einmal verstärkt in den Mittelpunkt gerückt und oft spürt man beim Lesen die Vertrautheit von Bee und Tess und die großen Schuldgefühle, die Bee hat, weil sie ihre kleine Schwester nicht retten oder beschützen konnte. Das hat mich sehr berührt.
    Bee erzählt die Geschehnisse chronologisch, wie für ihre Zeugenaussage bei Mr. Wright. Sie versucht, nichts auszulassen, aber oft gibt sie zu, dass es ihr schwer fällt, bestimmte Sachen zu sagen, weil sie Tess nicht verletzen möchte.
    Natürlich kommt man der Erzählerin durch diese Art des Erzählens auch besonders nahe. Ich konnte mich mit ihr gut identifizieren und ich denke, dass ihre Gefühle hinsichtlich ihrer Familie für jeden Leser verständlich sein werden. Wie Bee sich im Laufe ihrer Zeit in London verändert, ist interessant zu beobachten, weil sie sich auch dadurch ihrer Schwester sehr annähert, was am Anfang des Romans eher noch unwahrscheinlich erscheint.
    Dies ist kein Thriller für die großen Schockmomente, auch wenn es mehrere Szenen gibt, in denen durchaus Grusliges geschieht, aber wer auf große Thrillermomente mit Täterperspektive steht, kommt hier nicht auf seine Kosten. Gerade deswegen hebt sich "Liebste Tess" aber aus der großen Masse der Thriller ab und bietet neben einem Thriller auch die Geschichte zweier Schwestern, die eng miteinander verbunden sind und die scheinbar durch den Tod der einen noch enger verbunden werden.
    Das Ende war - und das sage ich nicht oft - vollkommen unerwartet für mich und setzt meiner Begeisterung noch die Krone auf, muss ich sagen!


    Fazit: Eine unbedingte Empfehlung für alle, die gern außergewöhnliche und besondere Thriller jenseits der gängigen Krimikonstruktion lesen!
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Wenn man seine Schwester durch einen Mord verliert, ist das bitter, vor allem, wenn diese Schwester perfekt war. Sie war die freundlichste, die liebevollste, die künstlerischste, die selbstbewussteste, die … De mortuis nihil nisi bene, gut und schön, aber muss man gleich einen Sockel bauen und die Tote darauf stellen?
    Man würde Beatrice ihre Zuneigung auch dann glauben, wenn Tess nicht DER Superlativ unter den Frauen gewesen wäre, sondern einfach nur eine liebe kleine Schwester.


    Einen Krimi mit einer schmerzlichen Trauergeschichte zu verweben kann funktionieren. Kann. Ob die Briefform dazu ein probates Mittel ist? Oder nur aufgesetzt, unecht und konstruiert wirkt?
    Die Konstruktion schimmert ständig durch. Dass sie unbedingt die Chronologie einhalten will, schreibt Beatrice ihrer Schwester, und daher den Mörder erst am Ende des Briefes nennen wird. Das ist dem Krimiaufbau geschuldet und wirkt im Brief verfehlt; denn wer, wenn nicht das Opfer kennt den Mörder???


    Woran Xavier gestorben ist, fragt sich der Leser, dem die offizielle Version unglaubwürdig erscheint. Beatrice fragt es auch, aber auf die Idee einer Obduktion kommt sie nicht.
    Ich mag lieber Protagonisten, deren Durchblick größer als der eines Lesers ist.


    Nicht nur bei der Trauer oder der neu erwachten Mutterbeziehung übertreibt die Autorin ihre Wortwahl; ein Krankenhaus wird beispielsweise als „kafkaesk“ beschrieben. (Entweder kennt die Autorin Kafka nicht oder ich kenne die Londoner Krankenhäuser nicht. :scratch: )


    Das Buch liest sich gut, ist temporeich und spannend, aber selbst während fieberhaftem Lesen kann man den Kopf schütteln angesichts von Ungereimtheiten und aberwitzigen Szenarien.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Ich habe es eben beendet. Ich vergebe dafür 3,5 Sterne :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: .
    Es ist ein etwas anderer "Thriller". Die Erzählform ist aus aus der Ich-Perspektive. Der noch lebenden Schwester.


    Ab der Mitte wird es relativ spannend, doch was mich störte und zu dem -1,5 Sterne führt ist, dass der ständige Situations - und Zeitwechsel den Leser etwas durcheinanderbringt und mit den vielen aktiven Personen doch etwas chaotisch ist.


    Fazit:
    Eine etwas andere Art Thriller.
    Wer gerne mal etwas Neues probieren will oder Abwechslung vom SCHEMA-F THRILLER braucht, soll ihn ruhig lesen.
    Mein Fall war es nicht zu 100%, aber ganz langweilig ist es auch nicht.

    "Aber sie hatten einander damals völlig natürlich verstanden und angenommen. So vollständig, dass es beinahe ein Wunder war"


  • Mir hat dieser Thriller gut gefallen. Die Darstellung der Handlung ist ziemlich originell, die Spannung wird durchgehend gehalten. Neben dem schrittweisen Aufdecken der Tatumstände, liegt ein weiterer Schwerpunkt auf der Gefühlswelt der Protagonistin, insbesondere ihrer Trauerarbeit und auch ihrer charakterlichen Weiterentwicklung. Letzteres fand ich glaubhaft und nachempfindbar, während der Krimi-Anteil stellenweise ein wenig konstruiert wirkte (ohne da jetzt zu sehr ins Detail zu gehen), dafür einen halben Stern Abzug. In der Summe würde ich dieses Buch auf jeden Fall empfehlen.