Eire Rautenberg: ‚Traumgeboren‘

  • Eire Rautenberg, eigentlich Inge Rautenberg, nennt sich aufgrund ihrer Liebe zur
    ‚Grünen Insel‘ Eire. Bekannt ist sie weniger durch die Publikation ihres
    autobiografischen Romans ‚Dona da Casa – Herrin des Hauses – Eine Liebe in
    Portugal‘ die schon 1994 erfolgte, sondern eher durch zahlreiche Publikationen
    in Anthologien und spirituellen Zeitschriften wie AHA, Shekinah, Tattva Viveka,
    etc., die alle durchweg lesenswert sind.

    Hier liegt nun die zweite, überarbeitete und erweiterte, Auflage ihres 2002

    erschienenen Gedichtbandes ‚Traumgeboren‘ vor. Wie stets präsentiert der
    Araki-Verlag von Georg Dehn eine besondere Publikation. In Anlehnung an
    Friedrich Nieztsche könnte man sagen: ‚Ein Gedichtband für alle und keinen‘. Die
    Gedichte des Bandes sind in neun Themenbereiche gegliedert. Der erste
    Themenkomplex (‚Verborgen‘) geht um den Dichter und das Dichten bzw. Kunst an
    sich. Der Künstler (bzw. Eire als Dichterin) will sich nicht nur mitteilen. Ein
    Kunstwerk (Gedicht) ist wie eine Geburt, das Hervorbringen von etwas
    Einzigartigem; es soll in dieser Welt lebendig Wirken, soll ein Dienst an der
    Menschheit sein und erhofft keinen Lohn wohl aber Kritik bzw. Resonanz.

    Nicht nur der zweite Themenkomplex ‚Ich bin‘ hat autobiographische Züge. Er zeigt das

    Rad der Zeit von Geburt bis Alter. Eine ‚Reise‘ vom ‚Wachsenland‘ , welches als
    Kind betreten wurde bis hin zur ‚Altertumsforschung‘. Schon hier wird deutlich,
    daß die Dichterin auch Kritikerin ist und gesellschaftliche Probleme anspricht.
    Es geht darum auch würdevoll alt zu werden, das Kind in sich zu wahren, frei zu
    bleiben. Durchweg verwendet Eire Metaphern (z.B. Wachsenland für Kindheit), die
    nicht immer leicht zu verstehen sind, oft erst im Kontext oder der Reflexion
    klarer werden. Ebenso erschafft sie, im kreativen Prozess des Werdens ihres
    Gedichtbandes, stets neue Worte und Wortkombinationen (Garten der Kindheit für
    Erleben als Kind), die ihre Botschaften auf den Punkt bringen.

    Weitere Themen sind Spiritualität (thematisiert unter ‚Maat‘ und ‚Heidenarbeit‘),

    Beziehungen (Kapitel ‚Zwischen uns‘ und ‚Mein Herz stolpert dir nach‘), sowie Freiheit
    – nicht nur als Rede- und Denkfreiheit – wie in den Kapitel ‚Rede mit
    Engelszungen‘ oder ‚Kein Blatt vor dem Mund‘.

    In ihrer Verehrung der alten Götter tritt ihre naturreligiöser Lebens- und

    Sichtweise hervor, die in ‚Mondgöttin‘ einen Höhepunkt erreicht und einer
    Anrufung der Mondgöttin gleicht. Eire nennt es auch ein ‚liturgisches Gedicht
    für acht Stimmen im Kreis…‘ im Untertitel. Das weiblich Spirituelle, die
    Intuition, die Naturverbundenheit wird in der neuen Auflage auch in Beziehung
    zu ihren späteren Erfahrungen in Kulten bzw. Orden gesetzt, ihre Rationalität,
    Gruppenbindung und Elitedenken. Klar betont Eire immer wieder Werte wie
    Freiheit, Liebe, Natur, Menschsein in natürlicher Art und Weise. Ebenso hat sie
    den nötigen Humor und Zynismus negative Eigenschaften (wie z.B. Egoismus,
    Narzissmus) in der ihnen gebührenden Weise darzustellen.

    Mühe hatte der Rezensent mit der Form. Diese wird schon in der Reflexion über Kunst,

    in ihrem Gedicht ‚Kunst‘, welches auch auf dem Rückumschlag abgedruckt ist,
    aufgehoben.




    Kunst

    Der Durst
    nach Stoff
    nach Form
    nach Werk


    dies erkennen
    sich entbinden
    wenn vollendet
    auslöschen



    Meisthandelt es sich um zwei bis fünfzeilige Verse, die selten einem Reimschema
    unterworfen sind, wenn dann ggf. a:b, a:b. Der Begriff ‚unterworfen‘ wurde bewußt
    gewählt, da das häufig hohe abstrakte oder metaphorische Niveau sich kaum in
    Jamben oder Trochäen ausdrücken ließe. Schon die Einteilung in Zeilen und Verse
    stellt oft ein Problem dar, da Zeilen oder Verse nicht immer als
    ‚Sinneinheiten‘ auftreten und durch das bewußte Weglassen der Interpunktion
    manchmal etwas schwer zu lesen bzw. verstehen sind. Sinn- oder Spracheinheiten (Satz)
    gehen oft über einen Vers hinaus, wobei im selben Vers auch schon die nächste
    Sinn- oder Satzeinheit beginnt. Vielleicht hätte ein Übergang in das Lyrische
    dem Werk besser gestanden. Natürlich ist sich der Rezensent um die Problematik
    des Lyrik-Begriffes und der Lyrik-Diskussion bewußt, dennoch soll hiermit nicht
    allein die Zugehörigkeit zur poetischen Gattung gemeint sein, sondern gilt
    „demnach als stimmungshafte Verschmelzung von Subjekt und Objekt als Ergebnis
    der Verinnerlichung der gegenständlichen Wirklichkeit“. (siehe Metzler
    Literatur Lexikon: Lyrisch) Es ist stets Eires Wirklichkeit, die sie uns mitteilt, ihr Leben,
    Denken, Fühlen, sowie Weisheiten und Erfahrungen, an denen sie uns teilhaben
    läßt. Auch wenn sie als Jahrgang 1956 nicht mehr ‚so‘ jung ist, so ist sie doch
    im Herzen jung und spricht zu uns von Herz zu Herz, welches die Aufhebung aller
    Formen möglich machen könnte (also auch der Versform). Wer sich durch die
    Themen und Verse angesprochen fühlt wird eine Bereicherung erfahren, wenn er
    sich Zeit und Ruhe zum Genießen, Reflektieren und Verstehen nimmt, vielleicht
    auch zum Forschen (Mythologien, Religionen), Leben (Lieben) oder Nachahmen
    (Kampf um Freiheiten, ‚Revolution‘).

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