Julie Otsuka - Wovon wir träumten

  • Kurzmeinung

    Marie
    Ein unbekanntes Kapitel der US-Geschichte und des Rassismus'. Spezielle stilistische Umsetzung
  • Inhalt:
    "Auf dem Schiff waren die meisten von uns Jungfrauen." So beginnt die berührende Geschichte einer Gruppe junger Frauen, die Anfang des 20. Jahrhunderts als Picture Brides von Japan nach Kalifornien reisen, um japanische Einwanderer zu heiraten. Bis zu ihrer Ankunft kennen die Frauen ihre zukünftigen Männer nur von den strahlenden Fotos der Heiratsvermittler, und auch sonst haben sie äußerst vage Vorstellungen von Amerika, was auf der Schiffsüberfahrt zu wilden Spekulationen führt: Sind die Amerikaner wirklich behaart wie Tiere und zwei Köpfe größer? Was passiert in der Hochzeitsnacht? Wartet jenseits des Ozeans die große Liebe?


    Aus ungewöhnlicher, eindringlicher Wir-Perspektive schildert der Roman die unterschiedlichen Schicksale der Frauen: wie sie in San Fransisco ankommen (und in vielen Fällen die Männer von den Fotos nicht wiedererkennen), wie sie ihre ersten Nächte als junge Ehefrauen erleben, Knochenarbeit leisten auf den Feldern oder in den Haushalten weißer Frauen (und von deren Ehe-männern verführt werden), wie sie mit der fremden Sprache und Kultur ringen, Kinder zur Welt bringen (die später ihre Herkunft verleugnen) - und wie sie nach Pearl Harbor erneut zu Außenseitern werden.


    Julie Otsuka hat ein elegantes kleines Meisterwerk geschaffen, das in ebenso poetischen wie präzisen Worten eine wahre Geschichte erzählt. Wovon wir träumten verzauberte bereits die Leser in den USA und in England, stürmte dort die Bestsellerlisten, wurde von der Presse hymnisch gefeiert, mit dem PEN / Faulkner Award ausgezeichnet und für zwei weitere große Literaturpreise nominiert; die Übersetzungsrechte sind inzwischen in zahlreiche Länder verkauft.
    (Quelle: Verlagsseite)


    Die Autorin:
    Julie Otsuka, geboren 1962 in Kalifornien, lebt heute in New York City. 2002 erschien in den USA ihr Debütroman When the Emperor Was Divine. Sie war Guggenheim-Stipendiatin und wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. Wovon wir träumten ist ihr zweiter Roman und der erste, der auf Deutsch erscheint. Er wurde 2012 mit dem PEN / Faulkner Award ausgezeichnet.
    (Quelle:. Verlagsseite)


    Originaltitel: The Buddha in the Attic
    Aus dem Amerikanischen von Katja Scholtz
    160 Seiten


    Meine Meinung:


    "Sie lernten, dass manche Menschen unter einem glücklicheren Stern geboren werden als andere und dass in dieser Welt nicht immer alles nach Plan verläuft. Trotzdem träumten sie.”


    In ihrem Roman "Wovon wir träumten" erzählt Julie Otsuka die Geschichte japanischer Frauen, die Anfang des 20. Jahrhunderts nach Amerika einreisen, um dort japanische Einwanderer zu heiraten. Ihre zukünftigen Ehemänner kennen sie nur von einem Photo, das ihnen die Heiratsvermittlung überlassen hat.
    Die Frauen erträumen sich Glück, Wohlstand - ein besseres Leben, als sie bisher hatten. Jede Frau hat ihre eigene Vergangenheit und ihre eigenen Vorstellungen.


    " Einige von uns auf dem Schiff kamen aus Kyoto und waren zierlich und hübsch und hatten ihr gesamtes Leben in abgedunkelten Hinterhofzimmern gewohnt. Einige von uns kamen aus Nara und beteten dreimal täglich zu ihren Vorfahren (....) Einige von uns waren Bauerntöchter aus Yamaguchi,(...) Einige von uns kamen aus einem kleinen Bergdorf in Yamanashi und hatten erst kürzlich ihren ersten Zug gesehen.(...) Die Jüngste von uns zwar zwölf (...) "Meine Eltern haben mich für die Verlobungsmitgift verheiratet" Die Älteste von uns war siebenunddreißig, sie kam aus Niigata und hatte sich ihr gesamtes bisheriges Leben um ihren kranken Vater gekümmert, dessen Tod sie jetzt froh und traurig zugleich machte. "Ich wusste, dass ich erst heiraten kann, wenn er stirbt."(S. 14/15)


    Die Geschichte beginnt auf dem Schiff, welches die Frauen nach Amerika bringt, wo sie in engen Kabinen die Fahrt überstehen müssen.
    In Kalifornien angekommen, müssen die Frauen feststellen, dass die Photographien nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmen. Die japanischen Männer sind keineswegs wohlhabend, gehören selbst zur untersten Schicht Amerikas und müssen um ihre Existenz kämpfen.
    Die Frauen stellen schnell fest, dass sie betrogen wurden und nur als kostenlose Arbeitskräfte geholt wurden.
    Dennoch fassen sie Fuß, fügen sich ihrem Mann und der Arbeit, bekommen Kinder und leben mit den Vorurteilen, die ihnen entgegengebracht werden.
    Diese Vorurteile bekommen die japanischen Familien besonders nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor 1941 zu spüren.
    Sie müssen, als Verräter angesehen, aus ihrem gewohnten Umfeld ins Landesinnere ziehen, wo sie in Lager interniert werden.


    Julie Otsuka hat einen ungewöhnlichen Blickwinkel gewählt. Sie erzählt aus der "Wir-Perspektive", lässt die Frauen als Kollektiv erzählen. Dadurch schafft sie eine facettenreiche Darstellung der damaligen japanischen Immigration.
    Sie spricht dabei viele Themen an: die harte Arbeit, das Leben als Immigrantin, Sprachschwierigkeiten, die Entfremdung der in Amerika geborenen Kinder gegenüber ihren Eltern und deren japanischer Kultur.
    Am Ende wechselt die Perspektive und wird zu der amerikanischen Sichtweise, trotzdem auch im Plural. die Amerikaner müssen feststellen, wie ihr Leben ohne die japanischen Nachbarn ist, wie sie die Situation verdrängen oder verharmlosen und bei manchen stellt sich Schuldbewusstsein ein.
    Der Roman ist oft poetisch, oft nüchtern und trotz dieser ungewöhnlichen Wir-Perspektive immer berührend.


    Japanische Einwanderer

  • Danke für diese Rezension, Conor. In der aktuellen Mare gibt es einen Bericht über die "Picture Brides" in dem auch dieses Buch erwähnt wird. Jetzt fällt mir die Entscheidung leichter.

  • Ich habe dieses Buch nun auch gelesen und werde nicht inhaltlich viel Neues, sondern höchstens noch einige andere Sichtweisen auf Gesagtes hinzufügen.


    Das Buch besteht aus 8 vier- bis dreißigseitigen Kapiteln, die chronologisch aufeinander folgen und innerhalb nochmals voneinander abgehobene Absätze enthalten.


    Zuerst komme ich nochmals auf den Titel zurück, der – wie Conor ja angab - « The Buddha in the attic » im Original lautete. Bezog sich das also mehr auf die/eine zweimal angesprochene Buddhastatue als Inbild des Ursprungs, der Identität, der letztlich auf dem Speicher landet ? Der deutsche Titel ist eher ein Ausblick nach vorne « wovon wir denn träumten » (ebenso ein Zitat aus dem Text), als die Frauen zB noch auf dem Schiff und unterwegs waren, jede bewohnt auf ihre Weise von Illusionen und Träumen, aber auch von einer Vergangenheit in Japan, die nicht nur golden war, sondern auch wenig Perspektive zu haben schien...


    Conor berichtete zurecht von der außergewöhnlichen Wir-Perspektive. Dabei wird zu jedem Thema aufgelistet, was « wir », aber andererseits, was Einzelne erlebten. So kommt denn auch regelmäßig zB ein Bestimmungswort wie « einige von uns » etc vor. Jeder Satz nahezu erzählt von Erfahrungen anderer Frauen angesichts des angesprochenen Themas. Dieses gewählte Stilmittel liesse einige Gedanken zu über das Verhältnis von der Einzelnen zur Gruppe, bzw dem Wir und dem Individuum... (ein asiatisches Thema?)


    Die jeweiligen Äußerungen reihen sich aneinander, stehen teils in einer satzbaustilistischen Parallelität, die das Ganze sehr oft an eine Litanei erinnern lassen. Diese Vorgangsweise mag gefallen, mir war sie doch zu systematisch.


    Nach meinem Empfinden und Verständnis sind alle Beschreibungen aus dem Leben dieser Frauen rein negativ besetzt. Da passiert sozusagen so gut wie gar nichts Positives. Diese Frauen haben die absolute Opferrolle, angesichts ihrer Ehemänner, der Arbeit, dem Kinderkriegen, innerhalb der amerikanischen Gesellschaft. Angesichts des historischen Hintergrundes wird es mir sehr schwierig, das dann zu kritisieren und als echten Negativpunkt aufzufassen, denn als historische Ausgangsgelegenheit und natürlich auch tatsächlich sehr schwere Situation ist das Buch dann sozusagen unangreifbar.
    Aber ich kann nicht anders : die Beschreibung des Lebens als pures Opfer und Leid ist so für mich nicht annehmbar und verkürzt. Damit tut Otsuka sich und den Frauen wahrscheinlich keinen Gefallen. Zumindest empfinde ich es so.


    So vergebe ich nur :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: .

  • Ich hab mir das Buch letztens aus der Bibliothek geholt und jetzt auch gelesen. Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Diese "Wir"-Perspektive ist sehr gewöhnungsbedürftig. Ist irgendwie nicht so richtig meins. Die Handlung an sich war schon interessant, aber ich hatte einfach Probleme mit der Perspektive. Und das Ende war auch irgendwie unbefriedigend. Ich muss übrigens Tom Leo recht geben: Die Lebensgeschichten sind alle absolut nur negativ. Ich kann mir nicht vorstellen, dass keine einzige von all diesen Frauen zumindest ein ansatzweise glückliches Leben hatte, dass alle ihre Männer verabscheuten und ihre Entscheidung bereuen.
    Von mir gibt's also nur :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: Sterne. Ich denke, das Ganze ist mir zu literarisch wertvoll. 8-[

    "If you have never said "Excuse me" to a parking meter or bashed your shins on a fireplug, you are probably wasting too much valuable reading time."

    (Sherri Chasin Calvo)


    “I am not eccentric. It's just that I am more alive than most people. I am an unpopular electric eel set in a pond of catfish.” (Edith Sitwell)

  • Ich kann mir nicht vorstellen, dass keine einzige von all diesen Frauen zumindest ein ansatzweise glückliches Leben hatte, dass alle ihre Männer verabscheuten und ihre Entscheidung bereuen.

    Doch, vereinzelt wurden welche erwähnt, die zufrieden waren, weil sie sanfte Männer erwischten, aber die positiven Erlebnisse kann man wirklich auf einer Hand abzählen, deswegen sind sie mir noch in Erinnerung geblieben :mrgreen:


    Ich hab das Buch auch von der Bibliothek ausgeliehen und gestern zu Ende gelesen. Die Wir-Perspektive hat mir ausgesprochen gut gefallen, bisher ist es das erste Buch für mich, dass ich aus dieser Perspektive gelesen habe und daher für mich wirklich etwas besonderes. Ich mochte auch die Abrundung zwischen Ende und Anfang und obwohl es ein "Wir" war, habe ich mit ihnen mitfiebern können, zumindest am Anfang und am Ende, dazwischen gab es einige Längen, was ich bei einem kurzen Buch mit 158 Seiten besonders schade finde. Und auch ich hab mich an der sehr einseitigen Schilderung gestört, wobei, vielleicht war es ja auch genau die Intention, eben dieses Wir, denen es mehrheitlich schlecht ging, zu zeigen. Andernfalls wäre es vielleicht eine Geschichte des Ich, in der einzelne Heldinnen hervorstechen, weil sie eben anders gehandelt haben. Insgesamt ist es für mich ein recht gutes Buch, jedoch mit einigen Längen, daher habe ich es mit :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: Sternen bewertet.

    "Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste."
    Heinrich Heine


      :study:

  • In "Wovon wir träumten" wird die reale Geschichte junger Japanerinnen erzählt, die in den 1920er Jahren ihre Heimat in Scharen verließen, um in Amerika ein neues, vermeintlich besseres Leben zu beginnen. Bis hin zu den rund 25 Jahre später stattfindenden und nicht weniger dramatischen Ereignissen, die der Angriff auf Pearl Harbor für die japanische Bevölkerung der USA mit sich brachte.


    Die Art und Weise wie die Autorin dies umgesetzt hat, ist bemerkenswert. Sie bemächtigt sich einer Wir-Form, in der quasi zeitgleich jedes persönliche Einzelschicksal dieser vielen, vielen Frauen zur Sprache kommt, ohne dabei jedoch einzelne Personen ganz gezielt in den Mittelpunkt der Erzählung zu stellen. Auf diese Weise bleibt das Geschilderte auf der einen Seite sehr neutral, wirkt aber zeitgleich eben genau deswegen auf den Leser sehr emotional und berührend.


    Mich hat dieses nur 160 Seiten zählende Büchlein tief beeindruckt und bewegt und wird mich ganz sicher im Geiste nicht so schnell wieder los lassen.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: Sterne gibt es dafür von mir.