Aljoscha Long, Ronald Schweppe. NLP macht Kinder stark

  • Die seit etwa zwei Jahrzehnten sehr populäre Methode des NLP, des neurolinguistischen Programmierens, geht von der Idee aus, dass der Mensch anhand von Reiz-Reaktions-Ketten funktioniert und diese neu gestaltet werden könnten. Geändert werden soll das eigene Verhalten durch Analyse des alten Verhaltens und „Programmieren“ von neuen Reaktionen. Der Schwerpunkt des NLP liegt bei Kommunikationstechniken und Mustern zur Analyse der Wahrnehmung. Das Ziel ist eine erfolgsorientierte Kommunikation.(vgl. wikipedia zum Stichwort).


    Die wissenschaftliche Psychologie und Psychotherapie begegnen dieser Methode skeptisch bis ablehnend, da sich nicht alle ihre Annahmen und Ergebnisse nachweisen lassen und angenommen wird, dass NLP einer professionellen Heilung von Patienten im Wege stehen kann.


    Das vorliegende Buch nun will „magische Tricks bei Ängsten, Mobbing und Schulproblemen“ zeigen und nachweisen, dass NLP Kinder stark macht. Schon diese eher reißerische Ankündigung („magische Tricks“) hat mich sehr skeptisch gemacht. Dazu kommt noch die Lektüre des neuen Buches der Therapeutin Eva Rass „Bindung und Sicherheit im Lebenslauf“ (Klett-Cotta 2011), die für ihre KollegInnen, aber auch für Erzieher und Eltern, wie ich finde sehr verständlich und anschaulich, beschrieben hat, welche neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse die alte These stützen, die der Entdecker der frühkindlichen „Bindung“, Bowlby, so formuliert hatte:
    "Die Bindungstheorie", hatte Bowlby einst geschrieben, "begreift das Streben nach engen emotionalen Beziehungen als spezifisch menschliches, schon beim Neugeborenen angelegtes, bis ins hohe Alter vorhandenes Grundelement ... Trotz der großen Bedeutung des Nahrungs- und Sexualtriebs ist die Bindung, ihrer lebenswichtigen Schutzfunktion wegen, als solche eigenständig."


    Eva Rass führt das noch weiter: „Es kann heute als gesichert gelten, dass sich die Lebenseinstellung und die damit einhergehenden Lebensstimmung im höheren Erwachsenenalter nicht von ungefähr einstellt, sondern ganz wesentlich vom vorherigen Lebensverlauf bestimmt wird. Diese vorangegangene Entwicklung verläuft in aufeinanderfolgenden Phasen und Stufen, und die Bewältigung des jeweiligen Abschnitts ist mit dem Kontinuum des davor Gelebten verbunden.“


    Diese Bindung beginnt schon mit der frühen Phase der Schwangerschaft und ist gerade in den ersten 18 Lebensmonaten des Kindes von einer unschätzbaren Bedeutung. Methoden wie das NLP neigen dazu, diese Tatsachen zu vernachlässigen und glauben mit kurzen „Programmierungen“ Kinder stark zu machen.


    Das vorliegende Buch und seine durchaus gut gemeinten Hinweise kann Eltern, die in der Methode des NLP bewandert sind, und die ihre Erziehung auf der Basis von „Wärme, Liebe und Respekt“ aufgebaut haben, durchaus wertvolle Hinweise geben in krisenhaften Situationen, in die ihre Kinder oder sie gemeinsam mit ihren Kindern hineingeraten sind.


    Menschen, die bisher keine Ahnung von NLP haben, sollten aber eher die Hände davon lassen und sich auf ihre Intuition und die klassischen Werte verlassen, wie sie etwa Michael Winterhoff mit vielen Beispielen auch aus seiner therapeutischen Praxis in seinem neuen Buch „Lasst Kinder wieder Kinder sein“ (Gütersloher Verlagshaus 201) als Auswege aus dem Teufelskreis des Mehr, Schneller, Besser aufzeigt.
    Nur die Erwachsenen, so seine überzeugende These, die sich in ihrem Umgang mit Distanz, mit Ruhe, Selbstreflexion und dem Wiederentdecken ihrer Intuition neu definieren und verändern, können ihren Kindern wieder ein echtes und erwachsenes Gegenüber werden. Es ist genau das, was sie brauchen, um selbst erwachsen werden zu können und um später, im Verhältnis zu ihren eigenen Kinder, nicht das zu wiederholen, was Melanie Mühl in ihrem Buch „Die Patchwork-Lüge“ (Hanser 2011) so beschreibt:


    "Wir sprechen nicht über ein paar Kindheitstraumata, die nur die Persönlichkeit Einzelner betreffen, wir sprechen über nicht weniger als den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Kinder, die in unverbindlichen Sozialkonstruktionen aufwachsen, die sich selbst überlassen werden, verlieren jedes Gefühl für Bindungen, für Freundschaft, Liebe und Solidarität. Sie sind Vagabundierende, an keinem Ort verankert, ohne feste Beziehungen, nicht einmal der zum eigenen Ich. Das macht sie zu tickenden Zeitbomben. Denn irgendwann werden die Kinder Erwachsene sein, und das psychische Profil einer ganzen Generation prägen."


    So gesehen hinterlassen mich die Ideen und Vorschlage dieses NLP-Erziehungsratgebers mit einer großen Skepsis.