Titel der Originalausgabe: New York
Meine Rezension bezieht sich auf die Originalausgabe
Kurzbeschreibung bei amazon
Nach seinen großen London- und Dublin-Romanen entfaltet Rutherfurd ein packendes Panorama von New York.
Edward Rutherfurd erzählt von mutigen Frauen und mal klugen, mal gerissenen Männern, die die große Freiheit von New York, den Glanz und das Elend dieser pulsierenden Metropole bis zur Neige ausgekostet haben: Da sind die van Dycks, niederländische Einwanderer, die ihren Aufstieg dem Pelzhandel mit den Indianern verdanken. Da sind die aus England stammenden Masters, eine puritanische Kaufmannsfamilie, die während des Aufstands der amerikanischen Kolonien gegen das Mutterland und später auch durch die Sklavenfrage und den Bürgerkrieg zu zerreißen drohte. AusDeutschland schließlich wanderten im 19. Jahrhundert die Kellers ein, eine Familie von Lebenskünstlern, Gelehrten und Künstlern, die sich in den Roaring Twenties in den Flüsterkneipen und Jazzbars vergnügte. Die schönste, aber auch die tragischste Liebesgeschichte bleibt jedoch den Carusos vorbehalten, die 1901 aus Neapel aufbrachen, sich im Little Italy genannten Stadtteil ansiedelten und anfangs vom Großstadtleben überfordert schienen.
Rutherfurds farbenprächtiges Familienepos zeichnet die Geschichte New Yorks von seiner Gründung bis in unsere Zeit nach. Zahlreiche historische Persönlichkeiten wie George Washington, Abraham Lincoln, Theodore Roosevelt oder der legendäre Bankier und Großunternehmer J. P. Morgan werden dem Leser in Nahaufnahme porträtiert. Und immer wieder wird deutlich, wie sehr auch deutsche Einwanderer – der aufsässige Gouverneur Johann Jakob Leisler, der unbeugsame Drucker J. P. Zengen oder der Multimillionär Johann Jakob Astor – die Geschichte dieser faszinierenden Stadt prägten.
Eigene Beurteilung
Wer schon ein Buch von Edward Rutherfurd gelesen hat, weiß, was er zu erwarten hat: eine hervorragend recherchierte "Biographie eines Ortes", in der fiktive Familien in einen äußerst detailgenauen historischen Kontext eingebettet sind.
Dieser Roman befasst sich mit der Geschichte New Yorks. Im Gegensatz zu Rutherfurds anderen Romanen beginnt die Romanhandlung jedoch nicht vor Tausenden von Jahren, sondern setzt mit den ersten europäischen Siedlern im heutigen New York, damals noch Neu-Amsterdam genannt, im Jahr 1664 ein.
Der Niederländer Dirk van Dyck treibt Handel mit den Indianern und gelangt als Pelzhändler zu einem gewissen Wohlstand. Seine Tochter Clara heiratet Tom Master, der das schwarze Schaf einer puritanischen Familie aus England ist. Im Gegensatz zu seinen Eltern und seinem Bruder, die in Boston ein äußerst ehrbares, von Gottesfurcht geprägtes Leben führen, ist er lebensfroh und geschäftstüchtig. Gemeinsam mit Clara begründet er die Dynastie der Familie Master, der der Leser über elf Generationen bis ins Jahr 2001, bzw. 2009 (Epilog) folgt.
Die Masters haben im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Kontakt zu einigen anderen Einwandererfamilien, den aus Deutschland stammenden Kellers, den O´Donnells aus Irland und den Carusos aus Italien. Bis Mitte des 19.Jahrhunderts wird auch das Schicksal der Haussklaven der Familie Masters eindringlich geschildert.
"New York" beschäftigt sich nicht nur mit den bekanntesten Epochen der amerikanischen Geschichte wie dem Unabhängigkeitskrieg und dem Sezessionskrieg, sondern auch mit zunächst weniger einschneidenden gesellschaftlichen und politischen Veränderungen. Der Leser erfährt Interessantes über den Zenger-Prozess, der ein Meilenstein in der Geschichte der Pressefreiheit ist, über den Blizzard von 1888 , der zur Verlegung von Verkehrsmitteln (U-Bahn) und Kabeln unter die Erde führte, über den verheerenden Brand in der Textilfabrik Triangle Factory , bei dem 1911 mehr als 140 Textilarbeiterinnen ums Leben kamen und der zur Verbesserung der Sicherheitsstandards führte.
Weitere Themen sind die gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg, die Börsencrashs von 1907 und 1929, die Prohibition der Zwanziger Jahre, die Errichtung der Wolkenkratzer und das moderne New York mit seinen liebenswerten und weniger liebenswerten Eigenschaften bis zum Schicksalstag 11.09.2001.
Bei der ungeheuren Fülle von Informationen gelingt es dem Autor, den Romanfiguren sehr "echte" und individuelle Charaktere zu geben, sodass man sich mit ihnen freut und auch mit ihnen leidet. Der Erzählstil der englischen Originalausgabe ist unglaublich fesselnd, man bedauert die Tatsache, dass man Lesepausen einlegen muss, weil man sonst die Fülle der Informationen nicht verarbeiten kann.
Drei historische Stadtpläne von New York vorn im Buch noch vor dem Vorwort, die sowohl in der englischen als auch in der deutschen Ausgabe enthalten sind, erlauben es, die im Roman vorkommenden Örtlichkeiten besser einzuordnen.
Fazit: Dieses Buch sollte man nur in Angriff nehmen, wenn man Zeit und Ruhe hat, denn es wirkt wie eine Droge, ohne die man nicht auskommt, bis sie restlos aufgebraucht ist. Für mich ist "New York" unter bisher über 50 gelesenen Büchern im Jahr 2012 das Highlight. Da ich keine 6 Sterne vergeben kann, muss ich es bei und belassen.