Arjouni, Jakob: Hausaufgaben

  • Es ist zwar schon einige Monate her, dass ich das Buch gelesen habe, aber ich habe festgestellt, dass es hier im Forum noch gar nicht vorgestellt wurde, und das halte ich für eine große Lücke:


    Zum Inhalt


    So hat sich der Deutschlehrer Joachim Linde sein heißersehntes Wochenende wohl nicht vorgestellt: Anstatt eines Ausfluges in die Berge kommt es in der letzten Schulstunde zu einem Eklat, zuhause trifft er auf den Freund seiner aus dem Elternhaus geflohenen Tochter, der ihn mit ungeheuerlichen Vorwürfen konfrontiert, die Mutter einer Schülerin unterstellt ihm unterdes am Telefon Antisemitismus, seine Frau hält sich in einer Nervenheilanstalt auf während sein Sohn die Welt verbessern will. Die Situation eskaliert, Linde steht vor dem Trümmerhaufen seines Lebens. Doch Linde sucht die Schuld immer bei den anderen, nie bei sich selber. Frei nach dem Motto „Ich bin Pädagoge, mir passiert so was nicht“. Laufend versucht er die Wahrheit so zu verdrehen, dass er als Opfer und niemals als Täter dasteht. Er flüchtet sich in eine Welt der Selbsttäuschung und des Selbstmitleides und versucht mit allen Mitteln, die Fassade aufrecht zu erhalten. Seinen Schülern gibt er täglich Hausaufgaben auf, seine eigenen Hausaufgaben hat er vernachlässigt.


    Meine Meinung:


    Ein ganz großartiges Buch. Es liest sich sehr leicht und ist in wenigen Stunden ausgelesen. Die Verarbeitung des Stoffes dauert aber länger, als die Lektüre selber (wenn ihr wisst, was ich meine). Es wird ganz wunderbar aufgezeigt, wie Linde die Wahrheit verdreht, wie er sich Ausreden und Ausflüchte zurechtlegt, wie er den anderen und den Umständen die Schuld gibt, wie er auch noch am Schluss glaubt, dass alles wieder gut wird, obwohl er selber bis zum Hals im Schlamassel steckt und dafür auch selber verantwortlich ist.


    Ich habe von Arjouni bereits „Happy birthday Türke“, „Kismet“ und „Idioten“ gelesen, doch „Hausaufgaben“ ist mit Abstand das Beste!!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • "Hausaufgaben" von Jakob Arjouni gehört zu jenen Büchern, die man aufschlägt und in einem Rutsch auslesen kann. Das liegt zum einen am überschaubaren Umfang von nur 189 Seiten, aber auch an Arjounis ungemein flottem Stil. Man fängt an und ist sofort mittendrin im Geschehen. Klappt man das Buch schließlich zu, ist man erstaunt, was einem da in so kurzer Zeit alles aufgetischt wurde und wie sehr einen dieses vermeintlich lockere Buch doch in Aufruhr versetzt hat. Das muss man als Autor erst einmal hinkriegen, Hut ab.


    Was die Hauptfigur des Romans angeht, muss ich sagen, dass mir dieser Lehrer Linde in seiner überheblichen, selbstgerechten und anbiedernden Art von Anfang an unsympathisch war. Sein Auftritt am Schluss war an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten und sein jämmerlicher Versuch, vor sich selbst gut da zu stehen, hat mich regelrecht angewidert.


    Alles in allem ein Buch, das ich nicht unbedingt selbst besitzen muss aber durchaus weiterempfehlen kann.


    Liebe Grüße
    Siebenstein

    :montag: Judith Hermann - Daheim


    "Sehnsucht nach Liebe ist die einzige schwere Krankheit, mit der man alt werden kann, sogar gemeinsam."
    (Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen)


  • Ich habe dieses Buch auch in einem Rutsch verschlungen, es liest sich unglaublich locker und leicht und ist trotzdem keine leichte Kost. Auch "Idioten- Fünf Märchen" von Arjouni war spitze!

    Ich lese gerade "Die Haushälterin" von Jens Petersen und "Der Geist von Lamb House" von Joan Aiken.

  • Joachim Linde, äußerlich der „knallharte“ Liberale, der, der für alles und jedes Verständnis hat, der aber trotzdem Schwierigkeiten hat, Polarisationen in seiner Klasse zu verhindern. Daraus erwächst ihm dann weiteres Unbill. Seine Ehe geht schon mehr als den Bach runter, zu seinen Kindern, besonders zu seiner Tochter pflegt er ausgeprägtes „Nicht-Verhältnis“ und auch mit einigen Elternteile seiner Schülerinnen und Schüler gerät er aneinander.
    Im Grunde ist dieser „Dr.-Specht-Verschnitt“ gar kein echter Liberale, viel mehr ist er der Prototyp des Spießbürgers. Trotzdem versucht er immer auszugleichen, zu vermitteln und alles mit pädagogischem Handwerkzeug zu klären, zu lösen und wieder in die Reihe zu bringen.
    Jakob Arjouni hat ein sehr lesenswertes Buch geschrieben. Junge Menschen wollen keine pädagogischen oder andere Plattitüden hören, sie wollen Antworten und wenn es keine Antworten gibt, dann wollen sie wenigstens das Eingeständnis, dass eben diese Antworten nicht möglich sind. Sie wollen nicht diese ewig sich herauswindenden Erwachsenen, deren vermeintliche Argumentationen letztendlich nichts anderes sind als sinnleeres Gebrabbel.
    Arjouni klagt nicht an – er zeigt auf, und dass macht er in meinen Augen wirklich grandios.

  • Mir ging es genauso wie vielen anderen on euch auch: Das Buch ließ sich ziemlich locker und flott lesen, was mir immer unglaublich viel Spaß macht. Ein Kompliment an den Autor! :thumleft:

    With freedom, books, flowers, and the moon, who could not be happy? ― Oscar Wilde