Michael Maar, Die Betrogenen

  • Wenn einer, der seit vielen Jahren als ein anerkannter und mit viel positiver Kritik bedachter Literaturwissenschaftler mit Büchern und Essays sich einen Namen gemacht hat, nach langer Zeit des Schaffens mit einem eigenen Romandebüt an die Öffentlichkeit tritt, so ist das ein gewagtes Unterfangen, das mit großer Sicherheit von den Kollegen mit Argusaugen beobachtet und ggf. auch kritisiert werden wird.

    Michael Maar, 1960 geborener Literaturwissenschaftler und Kritiker, weiß bestimmt um diese Zusammenhänge, denn er ist ja seit langer Zeit Teil eines sozialen Phänomens, das mit dem Wort „Literaturbetrieb“ nur unzureichend beschrieben werden kann.

    Auf eine persiflierende Weise hat gerade Jakob Arjouni seinen Frankfurter Privatdetektiv Kemal Kayankaya in seinem fünften Fall „Bruder Kemal“ während der Frankfurter Buchmesse in Kontakt mit den Großen der Branche und denen, die es werden wollen gebracht, und die Eitelkeiten und Leidenschaften der Buchbranche hintersinnig auf die Schippe genommen.

    Auch Michael Maar blickt hinter die Kulissen, doch er tut es ohne Häme, ohne Spott und auch ohne den Versuch, irgendjemand bloß zu stellen. Obwohl natürlich versierte Leser und Kenner der literarischen Landschaft des letzten Jahrzehnts des vergangenen Jahrhunderts ihr beliebtes Wiederentdeckungsspiel versuchen werden.

    „Die Betrogenen“ ist kein Schlüsselroman und er lässt sich auch verstehen, wenn man die dort beschriebenen und charakterisierten Personen nicht mit tatsächlichen Zeitgenossen identifiziert. Irgendwann in den neunziger Jahren, was man daran merkt, dass noch in DM bezahlt und geraucht wird, was das Zeug hält, ist der Protagonist und Beobachter des Romans, Karl, nicht nur bei einer von den unterschiedlichsten Schriftstellern geachteten Literaturagentin, „ der Wiedenkopf“, angestellt, sondern er glaubt auch gute Chancen zu haben, vom dem großen Bittner als dessen Biograph ausersehen zu werden.

    Um an wichtige private Informationen zu kommen, macht er unter dem Vorwand, ein Essay über die Galerienszene schreiben zu wollen, einen Termin mit der Stieftochter von Bittner aus, einer erfolgreichen Galeristin.
    Er verliebt sich in sie, sie nähern sich auch gegenseitig an, doch am nächsten Morgen ist sie ohne Nachricht in die USA verschwunden.

    Doch schon bald stehen wichtige Termine an, die im Auftrag der Agentur seine Aufmerksamkeit und Anwesenheit erfordern. Ein Literaturpreis wird vergeben und es ist nicht Bittner, der ihn bekommt, sondern sein persönlicher Feind Manteuffel.

    Maar beschreibt nun die beiden Tage, an denen sich die Prominenz der Autoren und Kritiker zur Preisverleihung und zu entsprechenden Matinees in einem luxuriösen Hotel ersammelt und er notiert all die Eitelkeiten und Lügen, wie sie sich alle auf die grandioseste Weise selbst darstellen wollen und doch manches Mal nur lächerlich wirken in all ihrer Vergänglichkeit. Denn auch darum geht es, nicht nur weil Bittner nach einem Herzinfarkt depressive Zustände bekommt und keine Zeile mehr schreiben kann.

    Und es geht immer wieder um die Faszination, die das Buch ausübt, das geschriebene Wort, wie es aufgenommen wird, wie es hoch gelobt und in die Tiefe zerrissen wird, wo es doch das Lebenselexier so vieler Menschen ist, nicht nur für die, die von dem Wort leben. Denn es hat sie ja irgendwann einmal dorthin geführt, mit dem Wort auch den Lebensunterhalt zu bestreiten, ob als Agentin, als Autor, als Kritiker oder als Literaturwissenschaftler.

    Und so habe ich, bei aller leisen und dezenten Kritik an so manchen Ausformungen und Verformungen des „Betriebs“ diesen Roman gelesen als eine Hommage an das Buch, als ein Loblied auf die Literatur.