Jean-Michel Guenassia - Der Club der unverbesserlichen Optimisten / Le club des incorrigibles optimistes

  • Der Roman beginnt mit einem Ende, der Beerdigung eines der ganz Großen, Jean-Paul Sartre, im Jahr 1980. Michel Marini nimmt daran teil und begegnet dort einem Bekannten aus alten Zeiten. Das ruft Erinnerungen hervor, über die Michel als Ich-Erzähler dieses Romans berichtet.
    Die Handlung setzt im Jahr 1959 ein, Michel feiert seinen 12. Geburtstag. Der Leser begleitet ihn durch die Zeit des Erwachsenwerdens. Er stammt aus gut situiertem Haus, die Eltern betreiben ein sich stetig vergrößerndes Handelsunternehmen. Die Mathematikprüfungen besteht Michel nur bei Anwesenheit seines Banknachbarn, kurz gesagt, auf sich allein gestellt versagt er, dagegen sind seine Leistungen beim Kickern kaum zu übertreffen. Den heimischen Diskussionen über schulische Leistungen überdrüssig, begleitet Michel seinen älteren Bruder Franck immer häufiger zum Kickern ins Bistro „Balto“. Durch eine von ihm bislang nicht beachtete Tür gelangt er in ein Nebenzimmer, in dem sich eine illustre Gesellschaft von Emigranten aus dem Ostblock, Igor, der ehemalige Arzt aus Leningrad, Tibor, der homosexuelle Schauspieler aus Ungarn und Leonid, der einstige sowjetische Pilot, aber auch die intellektuelle Elite wie Jean-Paul Sartre und Joseph Kessel zum Schachspielen, Diskutieren, Erinnern, Philosophieren und nicht zuletzt zum Trinken treffen und den „Club der unverbesserlichen Optimisten“ bilden. An ihrer optimistischen Weltsicht können auch ihre oftmals schlechten Erfahrungen und ihre derzeitig schwierige Situation nichts ändern. In eingefügten Rückblenden erfährt der Leser von einem auktorialen Erzähler, warum die einstmals erfolgreichen Leute als fast mittellose Emigranten in Paris gestrandet sind. Nach und nach wird Michel der Club zum zweiten Zu Hause und dessen Mitglieder werden Freunde. Als Franck sich als Freiwilliger für den Algerienkrieg meldet, später desertiert und schließlich des Mordes angeklagt wird, legt sich ein Schatten über die scheinbare Familienidylle.
    „Der Club der unverbesserlichen Optimisten“ ist ein in die Zeitgeschichte vom Ende der 1950er bis zur Mitte der 1960er Jahre eingebetteter Entwicklungsroman. Der Autor, Jahrgang 1949, verknüpft das Erwachsenwerden Michels äußerst gekonnt mit dem historischen Geschehen. Dabei ist anzunehmen, dass eine Vielzahl persönlicher Erlebnisse und Erfahrungen in diesen Roman eingeflossen sind. Die Handlung wirkt leicht erzählt, schreitet trotz der eingefügten Rückblenden stets voran und zeichnet ein brillantes Zeitportrait. Der Roman fesselt den Leser nicht durch actiongeladene Szenen. Er beeindruckt durch die ruhige Erzählweise und eine Handlung, die zum Ende hin dann auch noch dramatisch wird. Unaufdringlich bringt Jean-Michel Guenassia dem Leser auf literarische Weise den zur Zeit der Romanhandlung in voller Blüte stehenden Existentialismus nahe. Er greift die Gedanken Sartres und Camus auf, verwebt sie in seinem Roman und transportiert dadurch gekonnt den Zeitgeist und die Stimmung im Paris der 60er Jahre. Insofern ist dieses Debüt auch ein philosophischer Roman. Die Figuren scheinen aus dem Leben gegriffen, Verfolgte, Querdenker, Philosophen, Schachspieler, Einsame, Flüchtlinge, Menschen wie Du und ich, Franzosen Russen, Ungarn, Deutsche. Die Atmosphäre ist dicht und greifbar. Man meint, beim Lesen den Qualm der Gitanes erahnen zu können. Stilistisch ist dieser Roman sehr ausgereift. Es wechseln sich tiefgründige mit humorvollen Szenen ab, das trägt dazu bei, dass er sich sehr angenehm lesen lässt. Er widerspiegelt das gewisse Flair, das man, auch ohne Kenntnis des Handlungsortes, Paris zuordnen würde und das auch trotz der Übersetzung sehr präsent ist.
    „Der Club der unverbesserlichen Optimisten“ ist ein Roman, der beste Unterhaltung mit der Vermittlung von Zeitgeschehen verbindet. Er hat mich über Tage gefesselt und mich zu weiteren Recherchen angeregt. Ich empfehle ihn sehr gern weiter, nicht nur an die Liebhaber der französischen Literatur.


    Über den Autor (Quelle: amazon.de)
    Jean-Michel Guenassia, geboren 1950 in Algier, lebt in Paris. Er war einige Jahre Anwalt und schreibt heute für Fernsehen und Theater. Die Veröffentlichung des Clubs, sein spätes Debüt als Romancier, erregte in Frankreich großes Aufsehen.

  • Danke für die schöne Rezi, Karthause.
    Auf die Wunschliste kann der Roman nicht mehr landen, denn er ist schon längst auf dem SUB. :wink:
    Ich werde mir den Roman aber bald vornehmen.


    Liebe Grüße

  • Manche Bücher bekommen einfach viel zu wenig Aufmerksamkeit und sind dabei wahre Perlen. Um einen solchen Geheimtipp handelt es sich auch bei diesem wundervollen Buch, das ganz in postmoderner (oder postpostmoderner, wie auch immer man in dieser Frage Position beziehen möchte) Manier viele verschiedene Querverweise auf andere literaische Werke, realhistorische Ereignisse, philosophische Diskurse mit einer Vielzahl von fiktiven Einzelschicksalen verknüpft und deshalb so abwechslungsreich und vielfältig ist, dass die Lektüre unheimlich viel Spaß gemacht hat - trotz der tragischen Schicksale und einiger dramatischer Wendungen.


    Der Hauptstrang der Erzählung wird von dem Protagonisten persönlich erzählt, sodass der Leser unmittelbar an der Entwicklung dieses Charakters teilnehmen kann. Und Michel zu der erzählten Zeit in einem Alter, in dem man bekanntlich einige prägnante Entwicklungen durchmacht. Besonders bei Michel ist die Unterstützung durch ganz außergewöhnliche Freunde - da sind Igor, ein aus Russland geflüchteter Arzt, Leonid, ebenfalls aus Russland, Tibor, ein Schauspieler aus Ungarn, Werner, ein ehemaliger Spion für die Résistance, Imre, Pavel und noch viele andere mehr oder weniger verlorene Existenzen, die durch die Staatsmacht ihrer Freiheit und ihres ehemaligen Lebens beraubt nun in Paris leben und so gut wie möglich mit den Umständen klarzukommen versuchen. Michel lernt von diesen Menschen nicht nur das Schachspiel, sondern auch Lektionen für sein Leben - sowohl positiv als auch negativ. Besonders begeistert hat mich - ob fiktiv oder nicht - die Anwesenheit der philosophischen Größen Statre und Kessel, die tatsächlich Mitglied in diesem Club waren. Warum? Weil auch sie zu dieser Zeit als Flüchtlinge sozial mehr oder weniger ausgegrenzt waren.


    Die Geschichte ist eine Abbildung der Zeit- und Sozialgeschichte der 50er und 60er und erzählt von den Schicksalen zweier Generationen: der, die vom zweiten Weltkrieg unmittelbar betroffen war und der, die direkt nach dem Krieg aufwachsen. Aber es dreht sich nicht alles nur um den Krieg, sondern der Fokus liegt auf der erzählten Gegenwart, versehen mit Kommentaren des rückblickend erzählenden Michel. Dieser berichtet auch von seiner Begeisterung für den Rock'n'Roll, der in den 50ern bei Jugendlichen bekanntermaßen Wellen der Euphorie und bei den gutbürgerlichen Erwachsenen eine Welle der Empörung hervorgerufen hat.
    Auf politischer Ebene ist es sehr interessant, den Argumentationen dieser beiden Generationen zu folgen. Ob Kommunismus nun gut oder schlecht ist, darauf gibt der Text keine Antwort, aber es ist spannend, diese Ideologie von Kriegsveteranen einerseits und jungen, unbedarften Idealisten andererseits argumentativ zerlegt zu bekommen.


    Sprachlich hat mich der Roman auch auf ganzer Ebene überzeugt. Es gibt keine besondere Spannungskurve, die den Leser fesselt; es ist die ruhige Erzählweise, die dafür sorgt, dass man nicht nur an der Oberfläche der Geschichte bleibt, sondern versucht, tiefer zu dringen und am Ball zu bleiben. Die von vorneherein achronisch angelegte Erzählung wird von verschiedenen Rückblenden um die Geschichten einzelner Nebenfiguren ergänzt, sodass nach und nach verschiedene Fragen zu diesen, die neben Michel auch der Leser hat, geklärt werden.
    Ein wirklich ganz tolles Buch, für das ich eine absolute Leseempfehlung ausspreche. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: von mir. Und ein Herz :love: