Charles Dickens - Harte Zeiten / Schwere Zeiten / Hard Times

  • Kurzmeinung

    drawe
    Beeindruckende Beispiele der sozialen Frage in Englands Industrie und ein sehr zeitgebundener Lösungsvorschlag
  • Kurzmeinung

    Farast
    Ungewohnt düsteres Buch von Dickens, aber spannend und sprachlich hervorragend
  • Kurzbeschreibung (Amazon)
    Ein starrer Blick auf Rationales und auf Zahlen - "Tatsachen, Tatsachen, Tatsachen!" - prägt das zwischenmenschliche Verhalten in der Unternehmerwelt und hat entsprechende Auswirkungen auf die entrechteten Arbeiter, für die Dickens exemplarisch die Figur des Steven Blackpool zeichnet.


    Meine Meinung
    Tatsachen sind das wichtigste in Coketown, England. Tatsachen zählen, keine Träume oder Gefühle.
    Zumindest im Leben des Industriellen Mr Bounderby. Sein bester Freund Mr Gradgrind ist der gleichen Auffassung und so erzieht er auch seine beiden Kinder Tom und Louisa.


    Ganz anders ist da das Leben von Cecilia Jupe verlaufen. Ein Zirkuskind, von ihrem Vater und seinen Zirkuskollegen mit viel Liebe erzogen. Doch als ihr Vater sie im Stich lässt, nimmt Mr Gradgrind sie auf. Natürlich versucht er, ihr die blöden Gefühle auszumerzen, doch bei Cecilia klappt das einfach nicht.
    Tom und Louisa leiden beide sehr unter ihrer Erziehung. Als Tom auf die schiefe Bahn gerät, heiratet Louisa ihm zuliebe den Freund ihres Vaters, Mr Bounderby.
    Dann gibt es noch den alten Steffen. Der ist zwar nach heutigem Verständnis nicht als, aber seine Arbeit und Sorgen haben ihn frühzeitig alt werden lassen. Steffen Blackpool ist der Prototyp des stillen, fleißigen Arbeiters. Leider hat sich seine Frau schon frühzeitig dem Alkohol ergeben.


    Die Personen in dem Buch sind zum größten Teil ziemlich überzeichnet. Mr Bounderby behauptet immer wieder, das er eigentlich aus der Gosse kommt und sich selbst hochgearbeitet hat. Zwischendurch hätte ich ihn am liebsten angeschrien und gerufen: "Jaaa, ist, ich habe es kapiert!"
    Überhaupt hätte ich viele Personen gerne mal durchgeschüttelt. Das ein Buch soviele gereizte Emotionen auslöst, spricht aber auch für den Autor, denn ich bin mir sicher, das Charles Dickens genau das auslösen wollte.
    Louisa wirkte auf mich ziemlich kalt, aber genauso ist sie auch erzogen worden. Den einzigen Menschen, den sie auf der Welt liebt, ist ihr Bruder Tom.
    Tom gerät durch seine Erziehung völlig auf die falsche Bahn. Trotzdem hatte ich nicht das Gefühl, das Dickens ihn mit seiner Erziehung entschuldigen wollte. Denn seine Schwester, die genau die gleiche Erziehung genoss, hat sich ja ganz anders entwickelt.


    Für das Buch habe ich für meine Verhältnisse recht lange gebraucht, obwohl es mit 434 Seiten für ein Dickens-Werk recht dünn ist. Trotzdem musste ich mich immer wieder zwingen, das Buch zur Hand zu nehmen.
    Die Sprache wirkte nicht nur altertümlich auf mich, teilweise hatte ich das Gefühl, das manche Sätze keinen Sinn ergaben.
    Nachdem ich etwas 2/3 des Buches gelesen hatte, habe ich dann ernsthaft überlegt, das Buch doch zur Seite zu legen. Dann fiel mir jedoch ein, das ich das Buch in einer anderem Übersetzung auf dem Kindle hatte.
    Die gemeinfreie Übersetzung erschien unter dem Titel "Schwere Zeiten". Leider habe ich keine Ahnung, wer das Buch übersetzt hat, diese Angabe fehlt.
    Aber trotzdem ist das Buch in der älteren Übersetzung für meine Begriffe einfach flüssiger zu lesen, die Sätze ergaben mehr Sinn.
    Das letzte Drittel habe ich dann fast in einem Rutsch gelesen.
    Am besten ist es wahrscheinlich, wenn man das Buch im Original liest. Vielleicht mache ich das irgendwann mal.


    Fazit: Vermutlich eine sehr bissige Satire, aber bei mir ist davon nicht so viel angekommen.
    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:



    Zu den Übersetzungen: Begonnen habe ich mit einer vergriffenen Ausgabe aus dem Insel Verlag aus dem Jahre 1986, übersetzt von Paul Heichen.
    Gewechselt habe ich dann zur Kindle Ausgabe von "Schwere Zeiten".

  • Mario

    Hat den Titel des Themas von „Charles Dickens: Harte Zeiten“ zu „Charles Dickens - Harte Zeiten / Schwere Zeiten / Hard Times“ geändert.
  • Meinung

    Harte Zeiten war mein erstes Buch von Charles Dickens und damit vielleicht auch doch nicht so klug gewählt. Es ist sehr düster, mit wenig Aussicht auf Besserung. Die vielen, langen Schachtelsätze haben mir sehr zu schaffen gemacht und hätte ich das Buch nicht in einer Leserunde gelesen hätte ich es wohl nicht durchgehalten.

    In dem Buch gibt es viele verschiedene Protagonisten, bei einigen gibt es eine Entwicklung, bei anderen nicht. Bei einigen endet es gut, bei anderen nicht. So richtig viel mitgenommen hab ich daraus nicht, ich war am Ende sehr froh es geschafft zu haben. Aber es wird micht nicht davon abhalten nochmal einen Dickens zu lesen. Es gibt ganz gewiss auch positivere Bücher des Autors.

    Wer keine Fehler macht, macht wahrscheinlich auch sonst nicht viel.

  • Über den Autor:
    Charles John Huffam Dickens (1812 - 1870) war ein englischer Schriftsteller, dem Dank der Beliebtheit zahlreicher seiner Romane (Oliver Twist, David Copperfield, A Christmas Carol,...) eine grosse literaturgeschichtliche Bedeutung beigemessen wird.
    Dickens wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und musste im Alter von 12 Jahren die Schule verlassen und durch seine Arbeit die Familie ernähren, nachdem sein Vater im Schuldgefängnis landete. Früh arbeitete Dickens auch als Gerichtsstenograph und Protokollant im Parlament sowie als Journalist. Diese Erfahrungen prägten sein Leben und sein schriftstellerisches Werk. Armut und ihre Folgen sowie Gerichtsbarkeit und Rechtsmissbrauch wurden seine Themen und sind von Beginn an in seinen Romanen zu verfolgen.


    Buchinhalt:
    Eine fiktive Industriestadt irgendwo in England, in der die Mehrheit der Menschen schuften muss für eine Existenz in Armut während die Schicht der Fabrikanten und Politiker sich immer weiter von ihrer Realität entfernt. Der Kampf zwischen den Klassen, die Industrialisierung, der Utilitarismus und seine Auswirkungen auf Gesellschaft und Stadt bis hinein in die Familien sind das Thema dieses Romans. Die wohlhabende Familie Gradgrind, der Industrielle Bounderby, die Arbeiter Stephen und Rachael sowie die junge Sissy sind die Hauptcharaktere, anhand deren Geschichte und Entwicklung Dickens die Probleme der Zeit aufzeigt und anprangert.


    Die von mir gelesene Penguin Clothbound Ausgabe umfasst 288 Seiten. Zusätzlich sind 22 Seiten Einleitung von Kate Flint vorangestellt, die man aber besser erst nach dem Buch lesen sollte ehe man sich selbst spoilert.
    Ebenso enthalten sind ein tabellarischer Lebenslauf Dickens, seine Arbeitsnotizen 'Working Notes' und Arbeitstitel sowie 18 Seiten mit Fußnoten des Herausgebers, die sehr hilfreich für das Verständnis der Geschichte, der Zeit und mancher Zusammenhänge sind.


    Meine Meinung:
    Die ersten Sätze Mr Gradgrinds an die Lehrer und Schüler seiner Schule bilden den Boden, auf dem sich die Geschichte entwickelt:

    Zitat von Dickens

    'Now, what I want is, Facts. Teach these boys and girls nothing but Facts. Facts alone are wanted in life. Plant nothing else, and root out everything else. You can only form the minds of reasoning animals upon Facts: nothing else will ever be of any service to them. This is the principle on which I bring up my own children, and this is the principle on which I bring up these children. Stick to the Facts, sir.' The scene was a plain, bare, monotonous vault of a schoolroom, and the speaker's square forefinger emphasized his observations .....


    Fakten und harte Arbeit, alles andere hat keinen Wert. Natur, Gefühle, Fantasie, menschliches Miteinander, Hilfe und Rücksichtnahme sind verpönt und wertlos und müssen den Menschen ausgetrieben werden. Die Reichen und Politiker leben in einer Wohlstandsblase weit entfernt von der Realität der Arbeiter in den Fabriken. Beginnen diese, sich in Gewerkschaften zu organisieren, so werden ihnen überzogene Forderungen unterstellt, die zu unterbinden sind, Arbeitssicherheit und bessere Arbeitsbedingungen werden verweigert. Einen Ausgleich zum harten Alltag finden die Arbeiter nirgends.


    Der Schulleiter und spätere MP Mr Gradgrind, der seine Kinder ganz in seinem Sinne erzieht, ist hierbei die tragische Figur,

    Bounderby als Beispiel für die Fabrikanten ist das Zerrbild des Selfmademan,


    Aber auch die Arbeiterklasse, die an allen Ecken und Enden unter den Zuständen leidet, ist uneins und lässt sich eher von Demagogen verführen statt sich zu einigen und sich gegenseitig zu helfen gegen alle, die sie manipulieren und ausbeuten. Die einzigen Lichtblicke bleiben Sissy, die geprägt ist vom Außenseitertum des Fahrenden Volks, aber auch von dessen liebevollem Umgang miteinander, und neben ihr Rachael, die bei allem Elend ihr Mitgefühl bewahren konnte. Sie bleiben beinahe unberührt von den Fakten, bewahren ihre emotionale Seite, den gesunden Menschenverstand sowie Mitgefühl für die Menschen.
    Hier bleibt sich Dickens treu, denn es sind ja häufig einzelne Frauengestalten, die in seinen Werken die Lichtgestalten sind und für die Hoffnung in allem Elend stehen (vgl. Agnes aus David Copperfield). Aber selbst diese Hoffnungsschimmer sind in diesem Werk nur kleine Lichtlein, winzige Funken. Ansonsten hagelt es Schlag auf Schlag, wie ich es bisher noch in keinem Werk Dickens so massiv erlebt habe.


    Der vereinzelt durchscheinende Humor Dickens, personifiziert ausgelebt in Mrs Sparsit, die Bounderby den Haushalt führt, macht den restlichen Inhalt etwas leichter verdaulich. An diesem Paar wird besonders gut deutlich, dass Dickens in diesem Roman häufig mit Gegensatzpaaren arbeitet, um seine Aussagen zu verdeutlichen.
    Und selbst am Ende dieses düsteren Romans gibt es nur wenig positives. Aber gerade dieses offene Ende, das keine finalen Antworten gibt, finde ich absolut passend.


    Hilfreich waren in meiner Ausgabe die Anmerkungen und Fußnoten. Sonst wäre mir beim Lesen wohl nicht aufgefallen, dass selbst die faktenbasierten Ansprachen Gradgrinds stets Vokabular aus der Natur verwenden mussten. Auch die Aufteilung des Buches in drei große Abschnitte ist benannt in „Saat, Mahd, Ernte“. So stellt Dickens dem damals vorherrschenden Denken die Macht der sprachlichen Natur gegenüber. Ich hatte auch den Eindruck, dass er noch mehr als üblich mit Zitaten aus der Bibel arbeitete, die ich selbst aber nur zum Teil erkannt hätte. Auch hier stellt er (für mich) den faktenfreien Trost des Glaubens der faktenbasierten Realität gegenüber.


    Mein Fazit:
    Hard Times ist das düsterste und schwermütigste Buch, das ich bisher von Dickens gelesen habe. Wer beim Lesen zwischendrin ein bisschen Hoffnung benötigt zum Durchhalten wird es vermutlich häufig weglegen müssen. Und trotzdem ist es (vielleicht auch gerade deswegen) lesenswert. Hier wird nichts geschönt, nur wenig aufgeheitert, alles faktisch knallhart auf den Tisch gelegt.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier