Siobhan Dowd - Ein reiner Schrei / Swift Pure Cry

  • Inhalt:


    Michelle Talent, die von allen nur Shell genannt wird, ist 15 Jahre alt, als ihre Mutter stirbt. Es ist das Jahr 1984 und in Coolbar, einem kleinen Dorf in Südirland, scheint das Leben seither still zu stehen. Zumindest für Shells Vater. Seit dem Tod seiner Frau ist nunmehr ein Jahr vergangen, ein Jahr in dem es keinen Tag gab, an dem er nicht betrunken nach Hause gekommen ist.


    Shell kümmert sich so gut es geht um ihre kleinen Geschwister Trix und Jimmy. Doch mit den wenigen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, ist dies alles andere als einfach. Die ständige Armut hat sie auch innerhalb der Gemeinde ins Abseits getrieben. Einziger Lichtblick für Shell ist der junge und äußerst idealistisch eingestellte Pater Rose, der wieder etwas Hoffnung in ihr Leben bringt. Als jedoch die Leute beginnen, über die Freundschaft zu reden, erhält diese einen Dämpfer. Einzig der junge und smarte Schulkamerad Declan scheint sich nun noch für Shell zu interessieren, wenn auch nur körperlich. Es kommt, wie es kommen muss: Shell wird schwanger. Und das Schicksal schlägt weiterhin erbarmungslos zu, denn Shell wird in einen Skandal verwickelt, der ganz Irland erschüttert.


    Hintergrund und Aufbau:


    "Ein reiner Schrei" ist Siobhan Dowds Debütroman, der nach schleppenden Start ein Riesenerfolg in England wurde und zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Der Roman basiert vornehmlich auf Kindheitserinnerungen, die die Autorin mit der Heimat ihrer Eltern verbindet. Als Grundlage kann aber auch eine reale Familientragödie gesehen werden, die unter der Geschichte der Kerry-Babies in den 80er-Jahren bekannt geworden war.


    Der Roman selbst gliedert sich in drei Teile: Frühling, Herbst und Winter. Wobei im ersten Teil, die Lebenssituation, die Affäre und die Freundschaft zu Pater Rose beschrieben werden. Im zweiten Teil wird der Verlauf der Schwangerschaft erläutert, während der dritte Teil sich ganz dem Skandal widmet.


    Eigene Meinung:


    Der Roman ist von eigenartig beklemmenden Melancholie. Die Erschütterung des tiefen Glaubens an einen Gott ist allgegenwärtig. Shell, die bereits früh ohne Mutter aufwachsen muss, wird erbarmungslos vom Schicksal heimgesucht. Das kleine Dorf Coolbar, von dem Declan behauptet, es sei "ein Furunkel im Gesicht der Welt" (S. 39), gibt sich nach Außen tiefgläubig, scheitert aber an den Grundfesten jedes Glaubens: Wahrheit und Nächstenliebe.


    Auch Shell kämpft mit ihrem Glauben: Von der Welt im Stich gelassen, hadert sie mit ihrem Schicksal auf so beklemmend naive-kindliche Art: Auf der einen Seite betet sie zu Gott, sucht Halt bei Pater Rose und den Erinnerungen an ihre tiefgläubige Mutter. Auf der anderen Seite kämpft sie gegen den verbohrten Aberglauben der Gemeinde an.


    Dabei merkt man nur all zu oft, dass Shell doch eigentlich noch ein Teenager ist, die sich unwissend und unbefangen auf ein Abenteuer einlässt. Ihre Unerfahrenheit zeigt sich besonders im Umgang mit ihrer Schwangerschaft:

    Zitat

    "Jeder Dummkopf kann ein Baby rausziehen", sagt sie. "Das kann man selber machen. Es springt einfach selber raus, weißt du. Wenn es fertig ist." Jimmys Augen weiteten sich vor Erstaunen. "Wie Toast? In einem Toaster?", fragt er.
    Shell wischt sich die letzten Tränen fort. "Ja, Jimmy. Genau wie Toast." (S. 160)

    Diese Diskrepanz zwischen kindlicher Naivität und Tragweite der Ereignisse werden untermauert durch Dowds bildgewaltigen Beschreibungen: Shell denkt, redet und verhält sich wie ein normaler Teenager, der aufgrund seiner Unerfahrenheit es einfach nicht besser weiß. Auf der anderen Seite trifft sie Entscheidungen, die Mut, Durchsetzungs-vermögen und Klugheit vorausssetzen. Dowd gelingt es, diese Gegensätzlichkeit durch ihren nüchternen Sprachstil und die gewaltige Bildsprache perfekt zu vereinen.


    Fazit:


    "Ein reiner Schrei" ist ein anspruchsvoller Jugendroman, der sowohl inhaltlich als auch sprachlich überzeugt.


    Autorin:


    Siobhan Dowd wurde 1960 in London geboren. Ihre Eltern stammten aus County Waterford in Irland, wo sie einen großen Teil ihrer Kindheit verbrachte. Sie ging in London auf eine katholische Schule und studierte anschließend in Oxford. Dort lebte sie gemeinsam mit ihrem Mann Geoff, bis sie im August 2007, im Alter von nur 47 Jahren, an Krebs starb.


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