Joyce Carol Oates - Vergewaltigt. Eine Liebesgeschichte / Rape. A Love Story

  • "In dem Moment, da deine Mutter und du ins Bootshaus im Rocky Point Park geschleift wurdet, fing dein Leben im Danach an. Nie wieder würdest du im Davor leben. Die Zeit deiner Kindheit war für immer vorbei, weit weg wie eine Szenerie, die man von ferne betrachtet, die wie Nebel entschwindet vor deinen sehnsüchtigen Augen."

    Am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag der USA, wird in Niagara Falls gefeiert. Für Teena Maguire und ihre 12-jährige Tochter, Bethie ist es spät geworden, sie sind auf dem Weg nach Hause, als sie in einem dunklen Park einer Gruppe unter Drogen stehender junger Männer begegnen. Es wird gepöbelt, gerempelt, gegrapscht, beide werden in ein Bootshaus gezerrt und schließlich wird Teena von den Männern auf brutalste Weise vergewaltigt und danach, als sie nicht einmal mehr wimmern konnte, blutüberströmt, dem Tod näher als dem Leben, liegengelassen. Bethie konnte einen unachtsamen Moment der Täter ausnutzen und sich verstecken. Sie war es auch, die, nach dem die Männer verschwunden waren, Hilfe holte. So konnte Teena Maguire überleben.


    Dies ist nicht das erste Buch, in dem sich Joyce Carol Oates mit dem Thema Gewalt auseinandersetzt, in diesem Fall geht es um Gewalt gegenüber Frauen. Teena ist Opfer und das in mehrfacher Hinsicht, da ist zum einem die Gruppenvergewaltigung, andererseits ist sie ein Opfer der Menschen, die auf die Geschehnisse, mit Worten, wie: sie hat es ja herausgefordert und sie wollte es nicht anders oder sie hat es für Geld getan, reagieren und damit psychisch gegenüber Teena Gewalt anwenden. Aber für mich ist sie auch ein Opfer us-amerikanischer Justiz, sie kann schließlich nicht beweisen, dass sie es nicht wollte.
    Joyce Carol Oates erzählt ihre 165 Seiten umfassende Novelle in einem stakkatoartigen Stil in kurzen und kürzesten Kapiteln aus unterschiedlichen Blickwinkeln, hauptsächlich aber aus der Sicht Bethies. Der Erzählstil war zu Beginn ein wenig gewöhnungsbedürftig. Aber dann las ich fast atemlos die Schilderungen der Tat und der Zeit danach. Die endgültige Wirkung setzte jedoch erst ein, als ich das Buch beendet hatte und über das Gelesene nachdachte. Es hallt noch heute in mir nach. Es ist eines dieser Bücher, die man nicht so schnell vergisst. Die Autorin beschreibt das Geschehen direkt, ohne zu beschönigen, ohne ein Blatt vor dem Mund zu nehmen und ohne den Leser zu schonen, aber auch ohne das letzte Detail der Tat zu erwähnen. Sie verurteilt nicht nur Gewalt und Voreingenommenheit, sie prangert auch das Rechtssystem der USA an, in dem scheinbar noch ausschließlich die Männer das Sagen haben. Sehr gerieben habe ich mich an der Figur des John Dromoor. Einst kämpfte er im Golfkrieg, heute ist er als Cop im Einsatz. Er ist die Lichtgestalt, der Helfer in der Not und der allgegenwärtige Heilsbringer. Bethie verliebt sich schlagartig in ihren Retter und für ihn wird der Fall schnell mehr als nur ein Fall, er wird immer tiefer in das Geschehen involviert. So kommt es zu einem Ende, das ich so nicht erwartet hätte und das mich nicht so richtig zufrieden stellt. Warum das so ist, kann ich an dieser Stelle leider nicht ausführen, da ich auf Spoiler verzichten möchte. Der von einem Widerspruch geprägte Titel erschließt sich dem Leser bei der Lektüre, ob er in jedem Fall nachvollziehbar ist, sei dahingestellt. Er war wirkungsvoll genug, mich zum Kauf dieses Buches anzuregen.
    “Vergewaltigt. Eine Liebesgeschichte“ ist ein Buch, das berührt, erschüttert und tief unter die Haut geht. Wer sich dem stellen möchte, dem möchte ich es empfehlen und ans Herz legen.


    Über den Autor (Quelle: amazon.de)
    Joyce C. Oates, geb. 1938 in Lockport (NY), zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autorinnen der Gegenwart. Für ihre zahlreichen Romane und Erzählungen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem National Book Award. Joyce C. Oates lebt in Princeton, New Jersey, wo sie Literatur unterrichtet.

  • Danke für die tolle Rezie :friends:


    Hört sich interessant an, ist mir aber wahrscheinlich zu hart :-k

    "Ein Leben ohne Hund ist möglich, aber sinnlos ..."

    (nach Loriot)

  • Danke für die Rezi das ist gleich auf der Wunschliste gelandet... :friends:

    Start Januar 2017 Start Sub ca. 239


    Sub Aktuell : 190 :montag:
    Gelesen : 67 :study:


    Mein Bücherblog >Blog< [-X

  • Steffi
    Das Buch ist hart, widersprüchlich (wie schon der Titel), aber richtig gut. Ich stehe dem Rechtssystem der USA ja sehr skeptisch gegenüber und wurde in meiner Meinung wieder einmal bestätigt.

  • Dankeschön für die tolle Rezi :friends: Das Buch ist gleich auf meiner WuLi gelandet!

    Tränen haben etwas heiliges, sie sind kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke.
    Sie sind Botschafter überwältigender Trauer und unaussprechlicher Liebe.

    :love:
    -Washington Irwing-




  • @Karthause
    Danke dir für die Rezension.
    Mich hat schon der Titel stutzig gemacht durch den Widerspruch darin. Dann noch deine Rezension. Und ich wollte mal Werke der Autorin kennenlernen.
    Jetzt habe ich zufällig das Buch auf einem Regal in der Bücherei gesehen, und gleich mit genommen.


    Erst ein Drittel gelesen, aber muss schon jetzt sagen, der Roman hat mich mit so einer ungeheuerlichen Kraft der Sprache und der Beschreibung der Gewalt getroffen, dass es mir große Mühe macht, das Buch weiter zu lesen. Erschütternd und überwältigend.
    Wie ich mich kenne, werde ich es natürlich weiter lesen. :wink:
    Ist auch auf jeden Fall lesenswert, auch wenn es einen emotional sehr betroffen macht.

    Der Erzählstil war zu Beginn ein wenig gewöhnungsbedürftig.

    das stimmt.
    Übt aber eine gewisse Faszination auf mich aus, sowohl die Sprache als auch die Art, wie die Autorin das Thema angeht. Schonungslos.
    Auf jeden Fall im Moment bin ich, ich finde gar nicht ein passendes Wort dazu - sprachlos... Genau das. Einfach sprachlos.
    Danke noch mal für die Buchvorstellung.


    Liebe Grüße
    Emili

    2024: Bücher: 91/Seiten: 40 202

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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    Mein Blog: Zauberwelt des Lesens
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    Lese gerade:

    Saunter, Mick - Im Angesicht des Zorns

    Naam, Ramez - Nexus

  • Ja, sprachlos trifft es ganz gut. Das war auch eine der Reznsionen, bei denen ich sehr nach Worten gesucht habe. Das Buch habe ich ja schon vor über einem Jahr gelesen und es ist mir immer noch so genau in Erinnerung. Es lohnt sich auch weiter zu lesen. :wink:

  • Das war auch eine der Reznsionen, bei denen ich sehr nach Worten gesucht habe. Das Buch habe ich ja schon vor über einem Jahr gelesen und es ist mir immer noch so genau in Erinnerung. Es lohnt sich auch weiter zu lesen. :wink:

    kann ich mir gut vorstellen, dass es nicht einfach war zu diesem Buch eine Rezension zu schreiben. Schon alleine von der Thematik her.
    Die Geschichte hat es in sich.

    Die Autorin beschreibt das Geschehen direkt, ohne zu beschönigen, ohne ein Blatt vor dem Mund zu nehmen und ohne den Leser zu schonen, aber auch ohne das letzte Detail der Tat zu erwähnen.

    genau so ist es... mutig geschrieben.
    Es lohnt sich auf jeden Fall.

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  • Es lohnt sich auf jeden Fall.

    diesen Satz kann ich nun in "Es hat sich gelohnt" korrigieren.
    Ganz besonderer Erzählstil der Autorin hat mich voll und ganz überzeugt. Wie auch ihr Umgang mit dem sensiblen Thema.
    Ein lesenswertes Buch, das mich sehr bewegt hat. Es freut mich eine neue interessante Autorin für mich entdeckt zu haben.
    Von mir bekommt das Buch :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

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  • Ich hatte dieses Buch lange auf meinem Merkzettel, habe es aber nicht gekauft, weil ich beim Thema "Vergewaltigung", vor allem in Verbindung mit Schuldzuweisungen an das Opfer immer von tiefem Ingrimm und hohem Blutdruck heimgesucht werde. :wuetend:
    Jetzt hat allerdings unsere Onleihe das englische E-Book angeschafft und ich habe mich herangetraut. Dieser Kurzroman hat mich sehr erschüttert und berührt, nicht nur wegen des brutalen Angriffs im Bootshaus, sondern auch wegen der schreienden Ungerechtigkeit vor Gericht, die das Opfer zum zweiten Mal missbraucht und quasi an den Pranger stellt. Ein Vorgang, der leider nicht unglaubwürdig ist - bedauerlicherweise auch in Deutschland! Die Gerichtsszenen sind sehr beeindruckend, haben mich aber auch immens wütend gemacht.
    Die Rolle des Polizisten Dromoor ist in der Tat etwas merkwürdig, ich konnte mich allerdings im Verlaufe der Handlung immer mehr mit ihm identifizieren und


    Der Erzählstil war auch für mich gewöhnungsbedürftig, vor allem in den Abschnitten aus der Perspektive der Tochter Bethie. Immerhin machen die teilweise sehr kurzen Kapitel die Lektüre sehr konzentrationsfördernd (der Leser muss genau hinschauen) und sorgen auch für schnelle Lesbarkeit, weil man immer wissen möchte, wie es an den anderen Fronten weitergeht.
    Ein sehr beeindruckendes Werk, aber inhaltlich nicht leicht zu verdauen! Ich vergebe :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: und eine Leseempfehlung.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
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