Tom Stoppard - Arkadien / Arcadia

  • Auf dem sonst so wohlgeordneten englischen Landsitz Sidley Park sind die Dinge im Frühjahr 1809 etwas aus den Fugen geraten. Nicht nur, dass die dreizehnjährige Lady Thomasina Coverly mit ihrem Hauslehrer Septimus Hodge hochfliegende mathematisch-philosophische Ideen diskutiert sowie die Frage, was eigentlich "fleischliche Umarmung" bedeutet - angeblich haben sich unanständige Dinge zwischen Septimus und der Frau des Dichters Ezra Chater, der gerade zu Gast ist, zugetragen, so dass der den jungen Lehrer nun zum Duell fordern will. Währenddessen ist Thomasinas Mutter vorwiegend mit der geplanten Umgestaltung des Landschaftsgartens beschäftigt - die neumodischen Ideen des hochgelobten Gartenarchitekten in ihren Diensten wollen ihr so gar nicht gefallen, und der Skandal um Mrs. Chater und Septimus ist das letzte, was sie jetzt brauchen kann. Und dann ist da auch noch dieser Dichter namens Byron, ein Schulfreund von Septimus und ebenfalls zur Zeit Hausgast der Coverlys.


    Knapp 200 Jahre später haben die Nachfahren jener Coverlys ebenfalls Besuch auf Sidley Park: die Journalistin Hannah Jarvis, die ein Buch über den spektakulären Garten von Sidley Park im frühen 19. Jahrhundert und seinen rätselhaften Bewohner, einen namenlosen, offenbar durchgedrehten Einsiedler, schreiben will, und den Dozenten Bernard Nightingale, der sich besonders für Lord Byrons Aufenthalt auf Sidley Park und seine darauffolgende Abreise aus England interessiert. Seine Theorie: Byron hat schwere Schuld auf sich geladen und floh vor Strafverfolgung und seinem schlechten Gewissen.


    Was für ein Stück! Schade, dass ich es nie auf der Bühne gesehen habe, das muss großartig gewesen sein (mein Avatar zeigt übrigens Septimus Hodge in der Uraufführungsversion). Sozusagen Familiengeheimnis-Story vom Feinsten, "with a twist".


    Aber auch als Lektüre ist "Arcadia" höchst empfehlenswert. Stoppard spielt meisterhaft mit der Sprache und hat einen oft bissigen, trockenen Humor, der mir großen Spaß gemacht hat. Die Verflechtung der beiden Zeitebenen ist äußerst gelungen. Herrlich, zunächst die Geschehnisse anno 1809 "live" zu sehen und im nächsten Akt Zeuge zu werden, wie Hannah, Bernard und die Coverlys sich die Köpfe zerbrechen beim Versuch, die Tatsachen aus ein paar Schriftstücken und anderen Indizien zu rekonstruieren. Dabei wird schon mal passend gemacht, was nicht ins Bild zu passen scheint, während der Zuschauer/Leser insgeheim den Kopf schüttelt und gespannt auf die Auflösung wartet.


    Ausflüge in die Welt der Naturwissenschaft und Philosophie streut Stoppard so geschickt ein, dass man auch als einigermaßen gebildeter Normalverbraucher ohne spezielle Kenntnisse "mitkommt" (auch wenn ich mir nicht anmaße, wirklich alle Anspielungen verstanden zu haben). Die Dialoge sind gewitzt und klug und dabei ungekünstelt. Allen Englischlesern sei wärmstens das Original ans Herz gelegt - ich glaube, dieses Stück kann in der Übersetzung nur verlieren, vieles ist so wunderbar britisch.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: