Stav Sherez - Insel des Schweigens

  • Der Polizeichef der kleinen griechischen Insel, Nikos Yannopoulis, steht gut 2 Jahre vor seiner Pensionierung und dennoch kann er dem nahenden Ruhestand nicht freudig entgegenblicken. Auf die Insel geholt um einen Drogenring auffliegen zu lassen findet er sich mitten in einer Mordserie wieder, die er wie viele andere der Insel schon seit 33 Jahren begraben sah. Zwei Leichen wurden vor gut einem Jahr aufgefunden, geschändet, auf einem Altar aufgebahrt und mit Tausendfüßlern bedeckt. Man schob die Schuld einem verwahrlosten Inselbewohner zu, dem man ein Geständnis entlockte, doch man täuscht e sich, denn der wahre Mörder ist immer noch frei. Erneut 2 Leichen in dieser Touristensaison und Nikos ahnt, dies ist kein Trittbrettfahrer, denn die Muster sind identisch.


    Genau auf jene Insel verschlägt es auch die Krimiautorin Kitty Carson, die sich auf der Insel Urlaub gönnt um vor dem ganzen Trubel der Verlagsszene zu entfliehen. Sie reist allein ohne ihren Mann, denn auch von ihm braucht sie eine Pause, doch das angepriesene Idyll findet sie nicht vor. Palassos ist eine typische Touristeninsel geworden, Diskotheken, Hotels und feiernde Massen. Doch Kitty ist nicht unbeobachtet auf der Insel, denn ein Fan von ihr reist ihr nach. Jason, der ihr sein eigenes Manuskript überreichen will und sich auf der Insel bessere Chancen einräumt als per Post, freundet sich mit der Autorin an, jedoch ohne ihr etwas von sich preiszugeben. Jason hört als erstes von dem letzten grausamen Mord an einer jungen Frau und Kitty wirkt fasziniert von dem realen Grauen, von dem sie sonst nur schreibt.


    Beide machen sich auf Spuren zu verfolgen, doch stoßen sie auf Ablehnung und Schweigen. Palassos beherbergt ein Geheimnis, was 1974 seinen Ursprung nahm, als 2 Kinder ermordet wurden und die Tat sich mit den aktuellen Morden gleicht. Damals wurde eine Sekte für schuldig erklärt, die Massenselbstmord verübte und für die Insel war der Fall damit erledigt. Doch Nikos selber kann sich noch an jene Tage erinnern, als er seinen Dienst anfing und die Morde nun scheinen ein Racheakt zu sein. Doch Rache für wen und von wem?


    Meinung:


    Stav Sherez nimmt den Leser in seinem 2. Roman mit ins Mittelmeer, wo er auf einer fiktiven Insel Zeitgeschichte Griechenlands einbaut und einen Mord aus den 70er Jahren aufleben lässt. Die Frage nach der Schuld sorgt nicht nur beim örtlichen Ermittler für schlaflose Nächte, sondern lässt auch die Insel in Erinnerungen schwelgen an eine Zeit, wo Tourismus noch in den Kinderschuhen steckte und Sühne versandete.


    Die Geschichte spielt sich in 2 Ebenen ab, die die Insel Palassos als Setting inne hat. Vor 33 Jahren wurden 2 Kinder brutal ermordet aufgefunden, ein Novum auf der sonst friedlichen Insel in rauen politischen Zeiten. Die Junta regierte das Land immer noch nach dem Putsch des Militärs im Jahre 1967. Doch das Festland war weit weg und die Inseln boten noch halbwegs Freiheit vor dem Regime. Der Mord aber erschütterte die ganze Insel und die Frage nach den Schuldigen wurde vom damaligen Polizeichef schnell geklärt. Palassos war ein Zufluchtsort von Hippies, die aus Amerika und Nordeuropa sich auf der Insel ansiedelten und nach und nach von den Einheimischen gemieden wurden. Ihnen wurde der Mord angeheftet, doch eine Verurteilung kam nie zu Stande. Die Hippies, insgesamt 35 Leute, wurden alle tot aufgefunden und man erklärte sich alles mit einem Massenselbstmord im Stile einer heidnischen Sekte.


    Nun, im Zeitalter des Tourismus und Demokratie wird die Insel erneut von Morden erschüttert. Eigentlich sollte der ehemalige Polizist Nikos Yannopoulis den Drogenhandel unterbinden und für 2 Jahre auf seine Heimatinsel als Polizeichef zurückkehren, doch die Morde sind schwer in Einklang zu bringen mit dem Tourismus. Vor einem Jahr wurde ein Mann inhaftiert, doch 2 neue Morde zeigen, zu Unrecht. Was Nikos bestürzt an der Mordserie, die Opfer sind genauso zugerichtet wie damals die 2 einheimischen Jungs. Doch diesmal sind die Opfer junge ausländische Touristen. Allen wurden die Genitalien abgeschnitten, das Gesicht entfernt, Organe entnommen und Tausendfüßler eingesetzt. Angebunden auf einem Altar und mit heidnischen Symbolen versehen scheinen die neuen Opfer ins Schema von damals zu passen.


    Shevez spielt dabei mit dem Leser und den Figuren. Der Roman kommt gemächlich in die Schwünge und oftmals fragt man sich beim Lesen, in welche Richtung der Roman nun steuert. Das es ein Krimi sein soll wird durch die Einbindung einer Krimiautoren fast schon ironisch aufs Auge gedrückt. Doch Insel des Schweigens präsentiert sich nicht als Agatha Christie Roman, sondern bietet eine Spurensuche in die Vergangenheit und Geheimnisse, die alle mit einander verbunden sind und die Tätersuche bis zuletzt spannend machen. Ertappt man sich schon in der Vermutung, einer der beteiligten Charaktere wäre auf der richtigen Spur, so ist das Gesamtergebnis dann doch überraschend. Die Figuren sind dabei überschaubar und man konzentriert sich auf den kleinen Personenkreis, wobei man Häppchen für Häppchen aufschnappt und selber versucht als Bild zusammenzusetzen.


    Hauptcharaktere sind sicherlich Nikos Yannopoulis und die Autorin Kitty Carson. Nikos verließ nach den schrecklichen Ereignissen damals die Insel und begann ein neues Leben in Athen. Mitsamt seiner Frau wollte er so weit weg wie möglich sein von seiner Heimatinsel und nach verblassten die Erinnerungen an die Taten 1974. Doch er kehrt zurück auf Bitten seines ehemaligen Polizeichefs, der nun Bürgermeister ist. Was als Drogengeschichte anfing und ihm binnen 2 Jahren den Ruhestand sichern sollte, wird durch die Morde zur Wiederkehr der Alpträume von einst. Nikos ist dabei als Ermittler sympathisch. Kette rauchend, Alkohol trinkend und dennoch scharfsinnig geht er seine eigene Vergangenheit an und sucht nach den wahren Ereignissen von damals, als er ausgegrenzt wurde. Nikos war nie für die Karriere in der damaligen Polizei, die für ihn nur eine Abteilung des Militärs war, ein Umstand den er heute einerseits begrüßt, der ihn jedoch fragen lässt an den damaligen Ermittlungen.


    Kitty Carson sucht auf der Insel Ablenkung von ihrem Leben. Zwar erfolgreiche Schriftstellerin mit einer Krimireihe, doch Privatleben und Karriere haben sich ausbrennen lassen und Palassos soll ihr helfen, von allem abzuschalten. Ihre Liebe zu ihrem Mann ist fast nur noch oberflächlich und oftmals wünsch sie sich, er würde ihr beistehen oder sie anschreien. Im Grunde ist es ihr gleich, denn durch Jason findet sie auf der Insel einen Vertrauten, mit dem sich anfreundet und bald schon mehr empfindet. Dass er jedoch als Stalker durchgehen mag ist ihr nicht bewusst und die Spurensuche an dem realen Fall auf Palassos lenkt sie ab. Hinzu kommen neben Jason und Nikos’ Frau noch ein paar einheimische Figuren und der Täterkreis schließt sich enger zusammen.


    Das Buch ist keine Gewaltorgie und auch kein Psychokrieg. Gemächlich wandert man dem Ziel entgegen und je mehr Seiten entschwinden zwischen den Fingern, umso mehr verwundert man sich welche Lösung einem angeboten werden soll. Stav Shevez schafft es dennoch eine Lösung zu präsentieren, die fast schon als genialer Einfall gelten kann und den Zeigefinger erhebt in Richtung damalige Zeit. Ein dunkles Kapitel mit aktuellem Beigeschmack und ein trauriges Ende ohne wirkliches Happy End. Allein dafür lohnte es sich dann doch!