Irène Némirovsky - Herr der Seelen / Le Maître des âmes

  • Originaltitel: Le Maître des âmes


    Kurzbeschreibung (Amazon)
    Ein genialer Außenseiter auf der Suche nach Anerkennung im Paris der 1920er Jahre.


    Ein junger Arzt ist voller Hoffnung mit seiner Familie von der Krim nach Frankreich eingewandert. Aber er bekommt im Nizza und Paris der 1920er Jahre keine Chance, sich zu beweisen. Bis er sich entschließt, die Schönen und Reichen mit einer neuartigen Heilungsmethode zu beeindrucken und ihm als Scharlatan ein atemberaubender gesellschaftlicher Aufstieg gelingt. Er wird zum Herr der geschundenen, dekadenten Seelen – und zum Sklaven seines Ehrgeizes …


    Von der Autorin des Bestsellers „Suite française“.



    Meine Meinung
    Frankreich, in den 1920er Jahren:
    Dario Asar ist ein junger Arzt auf der Suche nach Erfolg. Doch die Franzosen trauen dem fremdartigen Mann nicht. Denn Dario Asfar stammt aus dem östlichen Mittelmeerraum. Dort gab es für ihn keine Zukunft und so kam er mit seiner Frau nach Nizza.
    Doch in Frankreich bekommt er kaum Patienten. Nur die ärmsten Einwanderer aus Osteuropa konsultieren ihn. Die reicheren Franzosen nehmen lieber einen reichen Arzt, der sich gut kleiden kann und über einen eigenen Wagen verfügt.
    Fast am Verhungern überwindet er seine moralischen Bedenken und nimmt schließlich eine Abtreibung hervor. Doch auch das reicht nicht aus und er erfindet eine neue Art der Psychoanalyse - dadurch wird er zum Herr der Seelen.


    Dario Asfar wirkt am Anfang noch sympathisch - arm, aber rechtschaffend. Doch je mehr Geld er verdient, desto mehr Geld verbraucht er. Schulden drücken ihn. Obwohl er seiner Frau liebt, verliebt er sich gleichzeitig auch in eine andere Frau.
    Dario Asfar ist ziemlich eindrucksvoll geschildert. Eigentlich ist er jemand, der einfach nur leben will. Er will seiner Frau und seinem Sohn ein gutes Leben bieten.
    Clara, seine Frau, fand ich dagegen ziemlich blass. Das wichtigste in ihrem Leben ist Dario, für ihn würde sie alles tun.


    Neben Dario Asfar und seine Familie sind die Wardens die weiteren wichtigen Personen. Phillipe Wardes ist ein reicher Geschäftsmann, der von inneren Dämonen gejagt wird. Er ist grob und egoistisch, betrügt seine Frau am laufenden Band. Er lässt sich von Dario behandeln und der wiederum verliebt sich in Sylvia, dessen Ehefrau.
    Obwohl das alles sehr verwickelt klingt, ist es recht einfach, die Übersicht zu behalten. Das liegt auch an dem klaren, einfachen Schreibstil.
    Wie Dario sich immer weiter verändert, ist einfach sehr beeindruckend erzählt und so kann man das Buch in kurzer Zeit durchlesen.
    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Es ist 4 Jahre her, dass ich das Buch gelesen habe, so ist es natürlich auch schwierig, im Nachhinein einen Leseeindruck zu geben. Durch die heutige Frage im 366-Tage-Thread wurde ich aber erneut mit diesem Buch konfrontiert und so versuche ich, aus der Erinnerung einen kurzen Eindruck zu verfassen. :wink:


    Irène Némirovsky gehört ja eindeutig zu meinen Lieblingsautoren und so war ich gespannt, was sie hier wieder thematisiert hat.

    er erfindet eine neue Art der Psychoanalyse - dadurch wird er zum Herr der Seelen.

    Hier macht sie ihren Protagonisten zu einem jener Menschen, die der (reichen) Gesellschaft geben, was diese will - und wenn es nur eine Illusion ist. Tatsächlich ist das ja auch heute ein sehr aktuelles Thema. Dario wird zum Herrn über die Seelen der Reichen, aber er selbst findet dadurch nicht sein Glück. Zunächst wird ihm als Fremden ja jedweder Zugang zu einer nur halbwegs angenehmen Existenz durch die Gesellschaft verweigert. Erst als er nicht mehr er selbst bleibt, gelingt ihm der Durchbruch. Doch dadurch, dass er sein Ich aufgibt und sich verändert, beginnt sein Unglück im Leben.

    Dario Asfar wirkt am Anfang noch sympathisch - arm, aber rechtschaffend. Doch je mehr Geld er verdient, desto mehr Geld verbraucht er. Schulden drücken ihn. Obwohl er seiner Frau liebt, verliebt er sich gleichzeitig auch in eine andere Frau.

    Auch dieser "Karriereweg" ist heute noch sehr aktuell, gibt es doch genügend Beispiele für Menschen, die immer unglücklicher werden, je mehr sie erreichen, und am Ende gar mit weniger dastehen als sie am Anfang hatten. Der Erfolg ist keine Garantie für ein glückliches Leben.

    Das liegt auch an dem klaren, einfachen Schreibstil.

    Stilistisch hat es mir gut gefallen, ich mag ihren klaren, schnörkellosen Stil und ihre Fähigkeit, hinter die menschlichen Fassaden zu schauen. Aber ich habe aus der Erinnerung heraus Schwierigkeiten zu sagen, was mich wiederum gestört hat an diesem Roman, weshalb ich ihm "nur" 3,5 Sterne gegeben habe. Beim Lesen hatte ich immer mal wieder Hänger, fand einzelne Kapitel sehr langatmig, was ich so gar nicht von dieser Autorin kenne. Ob das nun am Thema liegt, kann ich leider nicht mehr sagen. Wenn ich jetzt aus der Distanz darüber nachdenke, sind es ja durchaus noch heute aktuelle Themen, die die Autorin in ihre Geschichte gepackt hat. Aber trotzdem bleibt noch immer der Eindruck, dass dieses Buch nicht grad ihr Bestes ist. :-k

  • Da kann ich ja mal wieder eine alte Rezension ausgraben ;) Ihr bestes Buch ist für mich bisher übrigens die großartige "Suite française".



    Der junge Arzt Dario Asfar ist schon vor 15 Jahren mit seiner Frau Clara nach Frankreich eingewandert, doch seine Praxis läuft nur mäßig, auch weil er nach so langer Zeit immer noch als Ausländer gilt, als fremder "métèque", dessen abgetragene Kleidung und dunkler Teint ihn für die Alteingesessenen nicht gerade vertrauenswürdig machen.


    Die Geldsorgen plagen ihn erst recht, als Clara den kleinen Daniel zur Welt bringt und er nun auch für ein Kind Verantwortung tragen muss. Eines Tages jedoch hat er Glück, weil Philippe Wardes, ein reicher Geschäftsmann mit Hang zum Glücksspiel, dringend einen Arzt benötigt. Lange Zeit macht er häufig Hausbesuche bei Wardes, nicht nur der klingenden Münze wegen, sondern auch, weil ihn dessen Frau Sylvie fasziniert.


    Einige Zeit später hat sich Dario dann doch einen Namen gemacht, aber nicht als Hausarzt, der sein Handwerk versteht, sondern als "Herr der Seelen", der angeblich mit einer selbsterfundenen Spielart der Psychotherapie seelische Leiden heilen kann und bei der Hautevolée in Mode kommt.


    Auch in diesem Buch zeigt sich, dass Irène Némirovsky zu schreiben verstand, mit relativ wenigen Worten erzeugt sie eine dichte Atmosphäre und sorgt dafür, dass man am Ball bleibt, obwohl es in dem Roman nur sehr wenige wirkliche Sympathieträger gibt.


    Auch Dario selbst mit seinem ewigen Gewinnstreben, das weit über den gesunden Ehrgeiz eines mittellosen Mannes hinausgeht und ihn schließlich richtig skrupellos werden lässt, mochte ich nicht besonders, obwohl Némirovsky es schaffte, mir seine Beweggründe zumindest teilweise verständlich zu machen. Gut verstehen konnte ich seinen Sohn Daniel, der, als er heranwächst, seinen Vater durchschaut und verabscheut.

    In (manchmal etwas zu) großen Zeitsprüngen wird die Geschichte eines Emporkömmlings erzählt, wobei Kritik an einer weit verbreiteten Fremdenfeindlichkeit wie auch den suspekten Therapiemethoden mancher "Seelenklempner" deutlich wird und man nicht nur bei Dario in seelische Abgründe blickt.


    Ein etwas düsteres Stimmungsbild aus den 20er und 30er Jahren.