Julian Barnes - Vom Ende einer Geschichte / The Sense of an Ending

  • Org. Titel: The sense of an ending
    Seitenzahl: 181


    Inhalt (Klappentext):
    Als Adrian Finn in die Klasse von Tony Webster kommt, schließen die beiden Jungen schnell Freundschaft. Sex und Bücher sind die Hauptthemen, mit denen sie sich befassen, und Tony hat das Gefühl, dass Adrian in allem etwas klüger ist als er. Auch später, nach der Schulzeit, bleiben sie in Kontakt. Bis die Freundschaft ein jähes Ende findet.
    Vierzig Jahre später - Tony hat eine Ehe, eine gütliche Trennung und eine Berufskarriere hinter sich - ist er mit sich im Reinen. Doch der Brief einer Anwaltskanzlei, verbunden mit einer Erbschaft, erweckt plötzlich Zweifel an den vermeintlich sicheren Tatsachen der eigenen Jugend. Je mehr Tony erfährt, desto unsicherer scheint das Erlebte und desto unabsehbarer die Konsequenzen für seine Zukunft.


    Autor:
    Julian Barnes, 1946 geboren, arbeitete nach dem Studium moderner Sprachen als Lexikograph, dann als Journalist. Von Barnes, der zahlreiche internationale Preise erhielt, zuletzt den David Cohen Prize und den Man Booker Prize, liegt ein umfangreiches erzählerisches und essayistisches Werk vor, darunter die Romane "Flauberts Papagei", Eine Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln" und "Darüber reden". Julian Barnes lebt in London.


    Meine Meinung u. Bewertung:
    Tony bewundert seinen Freund Adrian, ist sich sicher, dass jener auf alles eine Antwort weiß, jede Aufgabe genial meistern wird und wünscht sich oft einen Teil dieser Klugheit zu besitzen. Und wie sollte es anders sein, nur eine Frau, so ist Tony auch heute noch überzeugt, kann solch eine Freundschaft extrem zerstören. Veronica - dieser Name hat sich tief in seine Seele gefressen, trägt die Schuld. Ihr gilt sein Hass, erst recht als sich Adrian mit zweiundzwanzig das Leben nimmt. Doch inzwischen hat er dies alles überwunden, glaubt er. Eine mysteriöse Erbschaft holt jedoch alles wieder zutage. Tony erinnert sich, holt die Jugend in Gedanken an die Oberfläche, und sieht sich mit der größten Demütigung seines Lebens erneut konfrontiert.
    Nach vierzig Jahren eine Reise in die Vergangenheit und die Philosophie des Lebens.
    Julian Barnes läßt seinen Protagonisten Tony sein Leben aufbereiten, hinterfragt kritisch und erkennt dabei so manche Täuschung. Erinnerungen sind oft trügerisch.
    Er präsentiert eine hochspannende Geschichte mit etlichen Wendungen. Kaum glaubt man im Bilde zu sein, schlägt er den nächsten Haken. Man hechelt als Leser begeistert hinterher, ist fasziniert vom perfekten Aufbau, bejubelt die umwerfende Sprachkomposition, genießt in vollen Zügen.
    Auch nach Beendigung des Buches verfalle ich weiterhin in Spekulationen, bin überzeugt noch tiefere Einsicht zu empfinden, wenn ich es irgendwann ein zweites Mal lese und die Neugier als Druckmittel mehr Platz für die zahlreichen Lebensweisheiten läßt.
    "Vom Ende einer Geschichte" ist ein kleiner Juwel, meisterhaft erzählt. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::thumleft::thumleft::thumleft:


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Howard Norman, Der Schlittenmacher

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Mit Julian Barnes machte ich vor Jahren Bekanntschaft (siehe hier: Eine Geschichte der Welt in 10 1/2 Kapiteln. Ich fand seine Schreibe teilweise genial, teilweise aber zu anspruchsvoll für meinen kleinen Geist :-k . Seitdem habe ich kein weiteres Buch von ihm gelesen.
    Deiner Rezi entnehme ich, Wirbelwind, dass Du mit dem Verständnis der Geschichte keine Probleme hattest, und auch erkennbar ist, was der Autor sagen will.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • @ Wirbelwind,
    ausnahmsweise landet ein Buch, das Dir gefällt, nicht auf meiner Wunschliste. Ich habe es heute morgen zufällig bei den Neuanschaffungen in meiner Bücherei entdeckt und mitgenommen.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Rosalita
    Das war mein erstes Buch von Julian Barnes und deshalb kann ich nur über dieses Buch sprechen. Ich habe mich jetzt umgesehen was er noch so schreibt, aber ich weiß noch nicht so recht ob mich die Themen interessieren.
    Barnes Sprache ist schon sehr anspruchsvoll und diese Schüler/Studentenfreundschaft ganz schön abgehoben vermischt mit englischer Steifheit und auch ein wenig Arroganz. Die Gefahr besteht natürlich, dass ein Autor, der auf so hohem Niveau schreibt zum Überflieger wird. Doch ich kann dir versichern bei diesem Buch konnte ich dem Geschehen gut folgen, und Barnes packt auch eine große Portion Spannung mit ein. Vor allen Dingen hat mir der allmähliche Aufbau sehr gut gefallen. Er packt immer noch eines drauf. Und was er mit seiner Geschichte sagen will ist eigentlich auch ganz klar. Besonders erstaunlich finde ich wieviel er in diese doch relativ wenigen Seiten reinpackt.
    Die Entscheidung ob du es liest liegt natürlich bei dir, aber ich empfehle es dir wärmstens. :thumleft:


    Marie
    Noch besser, wenn es nicht auf der WL landet, sondern bald gelesen wird. :thumleft: Bin gespannt auf deine Meinung! :D


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Howard Norman, Der Schlittenmacher

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Ich habe es heute morgen zufällig bei den Neuanschaffungen in meiner Bücherei entdeckt und mitgenommen.


    Und Du wirst uns sicher an Deinen Eindrücken teilhaben lassen. :wink:


    Wie ich gerade geprüft habe, hat unsere Bücherei es auch. Ich habe es jetzt vorbestellt, aber es sind noch vier Leute vor mir dran.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Ihr macht mir wirklich Appetit auf dieses Buch! :lechz:


    Kürzlich habe ich "Arthur & George" als Hörbuch genossen und festgestellt, dass ich von Barnes viel zu wenig kenne.

  • Da ist ja eine ganze Ansammlung von Leserinnen, die mein "Beuteschema" teilen und schon habe ich das Buch in der Stadtbücherei vormerken lassen :wink:

    Liebe Grüße,
    Rita


    ~Ich wäre lieber ein armer Mann in einer Dachkammer voller Bücher als ein König, der nicht lesen mag.~
    Thomas Babington

  • Danke Wirbelwind für diese tolle Rezi. Ich habe mir das Buch gleich notiert.

    Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt.
    (Jorge Luis Borges)

  • Schwere, aber lohnende Kost. Aus der Geschichte über eine Kinderfreundschaft, eine Jugendliebe entwickelt sich ein höchst komplexes Werk über das Selbstverständnis eines Mannes, der sein Leben gelebt hat, und jetzt konfrontiert wird mit seinen Erinnerungen (oder dem, was er dafür hält).


    Die Gedanken, die sich Tony über die Zuverlässigkeit und den Eigennutz der persönlichen Erinnerungen macht, sind bedenkenswert und sicher auch - zum Teil - nachvollziehbar. Die Handlung, bzw. deren Wendungen, überraschen, wobei am Ende einige Fragen nach den Motiven der Personen offen bleiben.


    Aber ich gebe zu, dass ich nicht jedem Gedankengang folgen konnte. Im Zusammenhang mit Erinnerungen und Beziehungen von Addition, Division oder Akkumulation zu sprechen geht über meinen Horizont. Auch wenn ich die diesbezügliche Passage aus Adrians Tagebuch (S. 106 /107) am Ende nochmal gelesen habe, weil ich jetzt wusste, was konkret gemeint ist, habe ich sie nicht richtig kapiert.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Marie
    Ich sagte ja einiges will ich ein zweites Mal lesen. Denke da kommt noch so manche Erkenntnis, die ich jetzt noch nicht so begriffen habe.
    Ansonsten ist es doch aber eine starke Geschichte oder?
    Liebe Grüsse
    Jutta
    :study: Marie-Sabine Roger, Der Poet der kleinen Dinge

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Aber ich gebe zu, dass ich nicht jedem Gedankengang folgen konnte. Im Zusammenhang mit Erinnerungen und Beziehungen von Addition, Division oder Akkumulation zu sprechen geht über meinen Horizont.

    Denke da kommt noch so manche Erkenntnis, die ich jetzt noch nicht so begriffen habe.

    8-[ Diese Aussagen finde ich jetzt etwas alarmierend und sielassen mich daran zweifeln, dass ich für dieses Buch geeignet bin - oder umgekehrt.
    Ich werde es auf jeden Fall anlesen, wenn ich im Frühjahr damit dran bin, aber wenn zuviel herumphilisophiert(?) wird, ist es wohl doch nichts für mich.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • €nigma
    Ja es wird schon philisophiert, aber so gravierend fand ich es nun nicht. An meiner Begeisterung ändert das nichts.
    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Charles Lewinsky, Gerron

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Deine Rezension ist ganz klasse, Wirbelwind. :thumleft: Das Buch kommt auf meine Wunschliste, schwere Kost hin oder her. Ich wollte meinen Lesehorizont ja ohnehin erweitern... :-,

    „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.”
    Heinrich Heine
    "Nichts ist unmöglich, allein unserem beschränkten Geist erscheinen manche Dinge unbegreiflich."
    Marc Levy


    :study: in 2015: 18 Bücher, 6868 Seiten
    :study: in 2014: 2 Bücher, 771 Seiten 8-[
    :study: in 2013: 13 Bücher, 5079 Seiten
    :study: in 2012: 39 Bücher, 14318 Seiten
    :study: in 2011: 25 Bücher, 9255 Seiten

  • Ansonsten ist es doch aber eine starke Geschichte oder?


    Ja, ich mag sowieso Geschichten, an deren Ende man das Gefühl hat, dass sich ein Kreis schließt.


    Wenn ich das Buch auf einem Flohmarkt entdecke, werde ich es mitnehmen. Dann kann ich es ein zweites Mal lesen, wenn ich in Stimmung dafür bin.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Liebe Wirbelwind,


    aufgrund Deiner Rezension hatte ich mir in unserer Stadtbibliothek Julian Barnes Das Ende einer Geschichte vorbestellt. Gestern Abend habe ich es angelesen. Seitdem bin ich sehr froh, bereits seit einiger Zeit Flauberts Papagei auf meinem SUB zu haben. Aber nicht genug damit, heute habe ich mir noch Arthur & George als ME besorgt, und desweiteren gleich zwei englische Ausgaben weiterer Julian Barnes-Titel besorgt: England, England und A History of the World in 10 ½ Chapters.


    Der Anfang von Das Ende einer Geschichte hat mich auf jeden Fall voll überzeugt - ich melde mich wieder hier im Thread, sobald ich damit durch bin. Danke für die Empfehlung!

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Mittlerweile habe ich Julian Barnes Vom Ende einer Geschichte ausgelesen: ich bin relativ begeistert, wenn auch nicht uneingeschränkt begeistert. Es hat sich sehr gut und zügig lesen lassen.


    Die gedanklichen Ausarbeitungen des Ich-Erzählers Tony Webster gefallen mir ganz gut, da sie sich damit beschäftigen, wie stark die subjektive Wahrnehmung von bestimmten Ereignissen sich mit zeitlicher Entfernung verändern kann, ebenso wie in der Perspektive unterschiedlicher Charaktere bzw. dem jeweiligen sozialen/gesellschaftlichen Blickwinkel. Dabei erscheinen mir diese Gedanken ausgeführt von jemandem mit mehr oder weniger "gesundem Menschenverstand", sie erscheinen mir gut nachvollziehbar.


    Ich muss Wirbelwind Recht geben zum Punkt unerwartete Wendungen im Handlungsfaden. Auch die sprachliche Ausarbeitung halte ich für ziemlich gut.
    Der Negativpunkt, den ich an der Geschichte empfinde, liegt jedoch darin, dass irgendwo ab etwa Seite 110 etwa 40 Seiten folgen, in denen er sich beinahe vollständig auf seine gedanklichen Ausführungen stützt, und da tümpelt das Buch meines Erachtens nach ein bisschen zäh vor sich hin, verliert merklich an Frische (die paar Seiten sind aber rasch gelesen) – trotzdem bleiben seine Gedanken immer gut verständlich – aber das hat Wirbelwind ja schon geklärt.


    Insgesamt hat mich das Buch überzeugt, auch hier möchte ich mich Wirbelwind anschließen und sagen: lesen, bitte! Es könnte für den einen oder anderen durchaus eine lohnenswerte Überraschung bedeuten.
    Meine gestrigen Impulsiv-Käufe und –Bestellungen weiterer Titel des Autors Julian Barnes bereue ich heute jedenfalls nicht, und das werte ich als weiteres positives Anzeichen, dass mich das Buch tatsächlich stark angesprochen hat.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog


  • Für diesen schmalen, sprachlich konzentrierten und stilistisch sehr gelungenen, nachdenklichen Roman hat der englische Schriftsteller Julian Barnes 2011 -endlich, ist man geneigt zu sagen- den begehrten Booker Preis bekommen. Der Roman ist, hinter der Geschichte, die der Protagonist des Buches selbst erzählt, die tiefsinnige Umkreisung der Frage, was wir als Menschen überhaupt wissen können von unserem Leben. Wenn doch, wie jeder beim Nachdenken über sein eigenes Leben bis zurück in die Jugendzeit selbst schnell in Erfahrung bringen kann, die Erinnerung an das, was war, so unklar und trügerisch ist, wie soll man dann überhaupt erkennen und entscheiden können, was ein gutes Leben war oder ist ?

    Indem Julian Barnes seine Hauptfigur Tony Webster als einen über sechzig Jahre alten Mann schildert, der über einen kürzeren Zeitraum hinweg sein Leben befragt, will er dem Leser zwischen den Zeilen die Erkenntnis vermitteln, dass jedes Bild, das wir, unser Leben erinnernd, uns von uns selbst machen, sich schon während dieses Vorgangs in ein permanent sich veränderndes Objekt verwandelt.

    Tony Webster blickt auf ein durchaus erfolgreiches Leben zurück. Er hat es im Beruf zu etwas gebracht, sieht seinem Ruhestand gelassen entgegen. Seine Ehe mit Margaret ist zwar geschieden worden, doch immer wieder trifft er sich mit ihr, auch um die Dinge und Gefühle zu diskutieren, die ihn im Rahmen seiner Erinnerungsarbeit bewegen. Mit seiner schon erwachsenen Tochter versteht er sich gut.

    Dieser eher durchschnittliche Mann hätte niemals in seinen Erinnerungen gewühlt und sich von ihnen sein Leben auf den Kopf stellen lassen, wäre nicht eines Tages ein Brief von einem Anwalt gekommen. Die Mutter seiner Jugendfreundin Veronica hat ihm das Tagebuch seines ehemaligen Schulfreundes Adrian vermacht. Dieser Adrian hatte, bald nachdem sich Veronica von Tony getrennt hatte, diese geheiratet und Tony damals in einem Brief quasi um Erlaubnis für diesen Schritt gebeten. Bald darauf nahm sich Adrian das Leben.

    Veronica, die sich in den Besitz dieses Tagesbuch gebracht hat, will es Tony nicht überlassen. Weil er vermutet, aus diesem Tagebuch etwas über sein Leben zu erfahren, versucht er alles, um Veronica zur Herausgabe des Erbstücks zu bewegen. Und er beginnt die Geschichte zu erzählen, als, Jahrzehnte vorher, eines Tages ein neuer Schüler in die Klasse kommt, Adrian Finn. Klein und schüchtern, gibt er aber den Lehrern verstörende Antworten. Als in der Englischstunde etwa der Lehrer nach dem Sinn des Lebens am Beispiel eines Gedichtes fragt, antwortet Adrian:
    „Eros und Thanatos, Sex und Tod. Oder Liebe und Tod, falls Ihnen das lieber ist. Jedenfalls um das erotische Prinzip und den Konflikt mit dem Todesprinzip und was aus diesem Konflikt folgt, Sir.“ Daran erinnert sich Tony noch sehr genau, genau wie an eine andere Szene aus dem Geschichtsunterricht. Auf die Frage des Lehrers, was Geschichte sei, antwortet Tony: „Geschichte ist die Summe der Lügen der Sieger.“
    Adrian Finn, danach vom Lehrer zu einer Antwort aufgefordert, sagt: „Geschichte ist die Gewissheit, die dort entsteht, wo die Unvollkommenheiten der Erinnerung auf die Unzulänglichkeiten der Dokumentation treffen.“ Und er bezieht es, weiter gefragt, auf den unerklärlichen Selbstmord des Mitschülers Robson, der sich erhängt hatte, nachdem er seine Freundin geschwängert hatte: „Nichts ersetzt die Aussage von ihm.“

    Dieser Satz, den er bei dem Franzosen Patrick Lagrange gefunden hat, ist sozusagen der Schlüsselsatz des ganzen Romans. Denn das ihm vermachte Tagebuch Adrians wird dem gesetzten Tony geradezu zur Obsession. Denn in Adrians Aussagen über ihn sucht er Aufklärung über sein eigenes Leben. Seine eigenen Erinnerungen sind ihm nicht genug, er glaubt, er könnte sich im Anderen finden. Eine verhängnisvolle Täuschung und eine erbärmliche Kapitulation des eigenen Ichs dazu.

    Schon früher hatte Tony immer auf Adrian geschaut, seine Worte regelrecht in sich aufgesogen. Doch nun muss er, sich immer weiter erinnernd, und immer mehr Details erfahrend, ernüchtert feststellen, dass er selbst das Leben Adrians vielleicht mehr beeinflusst hat, als er dachte, bis hin zu seinem Suizid.

    Der Roman fesselt seinen Leser bis zum überraschenden Ende und zwingt ihn regelrecht zur Auseinandersetzung mit den Fragmenten und Täuschungen seiner eigenen Lebensgeschichte.

  • Ich habe "Vom Ende einer Geschichte" nun auch gelesen und damit einen Ausflug in ein von mir weniger frequentiertes Genre gemacht.


    Es ließ sich schnell und größtenteils angenehm lesen, hat mich aber nicht zu Begeisterungsstürmen hingerissen. Sehr gut hat mir die Schilderung der Jugend des Protagonisten (der ungefähr so alt wie der Autor selbst sein müsste) gefallen. Obwohl ich in den Sechzigern noch kein Jugendlicher, sondern ein Kind war, kommt mir aus meiner Erinnerung vieles bekannt vor.
    Auch die rückblickende Schilderung von Tonys Leben fand ich interessant. Allerdings hatte ich Probleme, seine Beziehung zu den beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben nachzuvollziehen. Veronica empfand ich durchgehend als launisch und zickig, ihr Verhalten ist für mich total unverständlich: sowohl das Verhalten in ihrer Jugend

    als auch ihr Verhalten in der Gegenwart. Mir fehlen auch zuviele Informationen über ihr Leben zwischendurch.
    Sehr viel mehr konnte ich mich mit Margaret identifizieren. Eine Frau mit klaren Vorstellungen, nicht wetterwendisch und angenehm durchschaubar. Warum es zur Scheidung kam, habe ich auch nicht begriffen. Offensichtlich besteht ja immer noch eine enge Bindung zwischen Tony und Margaret und sie ist sein erster Ansprechpartner bei Problemen.
    Merkwürdig finde ich auch die Tatsache, dass Adrian vierzig Jahre nach seinem Tod immer noch eine so große Rolle in Tonys Leben spielt, obwohl die Zeit ihrer Freundschaft vergleichsweise kurz war. Ist es das Schuldgefühl wegen des Briefes? Hat Tony den äußerst widerlichen Brief an Adrian und Veronica nur geschrieben, weil er sich (warum auch immer :-k ) Adrian unterlegen fühlte? An Veronica hatte er doch kein Interesse mehr, zumindest hat er sie abserviert.
    Und last but not least:


    Die in den Rezis bereits angesprochenen philosophischen Abschweifungen haben mir erwartungsgemäß nicht zugesagt, vielleicht bin ich zu sehr Faktenmensch.
    Es war durchaus interessant, dieses Buch zu lesen, aber bei mir reicht es doch nur zu :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: .

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Eine toll geschriebene Geschichte, die ich aber nicht zu 100% überzeugend finde. Natürlich biegt man sich Realitäten zurecht, natürlich ändert man seine Sichtweise im Lauf des Lebens. Aber es gibt doch Dinge, die man einfach nicht vergißt, weil sie so einschneidend sind fürs eigene Leben - da ist der Autor schlicht unglaubwürdig.
    Für mich ist "Vom Ende einer Geschichte" trotzdem neben der Kurzgeschichtensammlung "Dover - Calais" und dem Roman "Vor meiner Zeit" das Beste von Julian Barnes.


    LG
    Anja