Die Bücher der 1971 geborenen amerikanischen Thriller-Autorin Karin Slaughter, die in Georgia aufwuchs und heute in Atlanta lebt, habe ich in der Vergangenheit regelrecht verschlungen. Insbesondere ihre Grand County und Atlanta Police-Department Reihen. Nachdem sie mich und wahrscheinlich viele andere Leser im wahrsten Sinne des Wortes ziemlich „Zerstört“ mit ihrem letzten Teil der „Grant County“ Reihe zurück ließ, freute ich mich jetzt auf ihr neues Werk „Tote Augen“. Der im Vorfeld veröffentlichten
Kurzbeschreibung:
„Eine Folterkammer tief unter der Erde ...
Als Krankenhausärztin in Atlanta, Georgia, versucht Dr. Sara Linton, ihr Leben neu zu ordnen. Doch als es zu einer Reihe grausamer Folterungen und Morde kommt, kann die ehemalige Rechtsmedizinerin aus Grant County nicht tatenlos zusehen. Sie schaltet sich in die Ermittlungen von Will Trent und Faith Mitchell vom Georgia Bureau of Investigation ein, auch wenn die Ereignisse schmerzhafte Erinnerungen in ihr wecken, die sie eigentlich hinter sich lassen wollte ...“
konnte ich bereits entnehmen, dass ich es in diesem Buch mit den Hauptprotagonisten beider Reihen zu tun bekommen werde. So kam es natürlich auf meinem Weihnachtswunschzettel ganz weit nach oben, denn für die preisintensive Hardcover-Ausgabe konnte ich das ohnehin in diesem Jahr bereits aufgebrauchte Bücherbudget nicht mehr belasten.
Doch eines meiner Lieblingsbücherforen bot kurz vor dem Erscheinungstermin die Chance auf den Gewinn eines, von insgesamt 3 ausgeschriebenen Freiexemplaren. Die Leseprobe las ich natürlich mit großem Vergnügen und mein Leseeindruck war sogar der erste von am Ende insgesamt 16. Ich glaube, in der Zeit vom Ende des Gewinnspiels bis zur Bekanntgabe der Gewinner machte ich meine gesamte Familie verrückt, weil ich ständig noch mal ins Forum schauen musste. Als ich dann wirklich meinen Usernamen unter den drei Gewinnern las, stieß ich doch tatsächlich Freudenschreie aus.
Noch an dem Tag, an dem „Tote Augen“ bei mir eintraf, begann ich mit der Lektüre.
Sara Linton trifft Will Trent und Faith Mitchell
Zu Beginn der Geschichte lerne ich allerdings erst einmal Judith kennen. Judith hat gerade mit ihrem Mann Henry bei Sohn, Schwiegertochter und Enkeln den 40. Hochzeitstag gefeiert. Jetzt sind sie im Auto auf dem Weg nach Hause und sie hängt einer Flut von Gedanken nach. So erfahre ich, wie sie Henry kennenlernte und dass sie in der Vergangenheit wegen Henrys Arbeit oft umgezogen sind.
Um ihren 35-jährigen Sohn Tom macht sie sich große Sorgen und gibt insgeheim ihrem Mann die Schuld für dessen Härte. Die Enkel, wegen denen sie kürzlich erst nach Atlanta gezogen sind, scheinen ziemlich missraten… Ihre Grübeleien werden jäh unterbrochen, als plötzlich etwas auf der Straße auftaucht. Den Zusammenstoß kann Henry nicht vermeiden. Und als sie aussteigen entpuppt sich das vermeintliche Reh als nackte und grauenvoll zugerichtete Frau.
In der Notaufnahme des Grady Hospitals treffe ich auf Sara Linton. Aus ihren Gedankengängen entnehme ich, dass seit dem Ende der Grant County Reihe 3 ½ Jahre vergangen sind. Sie wohnt inzwischen in Atlanta und versucht mit Hilfe ihrer Arbeit als Notärztin Abstand zum seelischen Loch ihres Privatlebens zu finden. Dass dies nicht immer ganz einfach ist, merkt der Leser daran, dass sie seit Ewigkeiten einen ungeöffneten Brief von der Frau, die Sara nach wie vor für ihre persönliche Tragödie verantwortlich macht, mit sich herum trägt.
Auch Sara wird aus ihren Gedanken heraus gerissen und zu einem neuen Notfall gerufen. Die Frau, die auf einem Parkplatz plötzlich ohnmächtig wurde, entpuppt sich als die mir schon aus der Atlanta Police Department Reihe bekannte Faith Mitchell. Gebracht wurde sie von keinem anderen, als ihrem Partner Agent Will Trent…
Fesselnd, aber nicht perfekt
Von Anfang an zog mich Karin Slaughter wieder mit ihrem flüssigen, bildhaften und leicht lesbaren Schreibstill in den Bann und spätestens mit dem ersten Auftauchen von Sara Linton, Will Trent und Faith Mitchell fühlte ich mich auch wieder zu Hause, bei guten alten Bekannten. Wobei ich gleich betonen muss, das Stück heile Welt, welches in den ersten 5 Teilen der Grant County Reihe ihre Familie war, gibt es für Sara so nicht mehr. Sie ist jetzt in die rauere Welt der Ermittler des Atlanta-Police-Departments eingezogen und bislang die einzige der aus Georgia bekannten Protagonisten, die wieder agiert.
Doch das tut sie meiner Meinung nach, neben Faith und Will ziemlich gleichberechtigt und sogar mit Vitamin B. Denn wenn Amanda, die resolute Chefin von Faith und Will nicht ihren Segen gegeben hätte, könnte Sara im Prinzip auf und nieder springen. Faith hätte nie zugelassen, dass Sara sich in irgendeiner Art und Weise an der Ermittlung beteiligt. Will wäre anderer Meinung. Rein menschlich gesehen, haben mir in der Geschichte die Entwicklungen der Charaktere von Sara, Faith und Will – mit einigen Abstrichen, auf die ich später noch zu sprechen komme - wieder recht gut gefallen, sie wirken wie ein Stück raue Realität.
Die der Handlung diesmal zugrunde liegenden Verbrechen an den Frauen, allesamt nur wenige Jahre jünger waren als ich, empfand ich als äußerst abscheulich. Allerdings muss ich sagen, dass mein Mitgefühl mit den Opfern abflachte, je mehr ich über ihren Charakter erfuhr. Als mir das bewusst wurde, erschrak ich und kam wegen meinen eigenen Gedankengängen schwer ins Grübeln. Wollte das die Autorin damit erreichen?
Als Faith nach dem Ohnmachtsanfall ins Krankenhaus kam, wurde bei ihr, außer der Schwangerschaft auch noch schwerer Diabetes festgestellt. Den Aspekt an sich, empfand ich als eine interessante Entwicklung, der weitere Umgang mit dieser „Volkskrankheit“ wurde jedoch meiner Meinung nach nicht gerade realistisch dargestellt. Das bessert sich zwar zum Ende hin, führt aber in meiner Bewertung zu Abzug, da ich von der Autorin bessere Recherchen gewohnt bin.
Auch das mittlerweile bekannte Handicap – die Legasthenie - von Will, hat mich diesmal ein wenig genervt. Das hängt einfach damit zusammen, dass es, neben der inzwischen von ihm geehelichten Angie, mittlerweile den wichtigsten Personen in seinem Umfeld – Chefin Amanda und Partnerin Faith, bekannt ist und er weder aus eigenem Antrieb etwas dagegen tut, noch von den beiden starken Frauen Druck bekommt. Irgendwie stagniert das und es wäre an der Zeit, dieses Problem einmal anzugehen, sonst wird es irgendwie unglaubwürdig.
Was den Täter betrifft. Den hatte ich anfangs sogar schon mal auf dem Schirm, ließ mich dann aber doch ein bisschen an der Nase herum führen. Den Showdown empfand ich, nach einigen Längen zwischendurch, zwar als sehr aufregend, aber hier kamen mir ein paar Sachen zu konstruiert rüber, um wirklich glaubhaft zu wirken. Dann endet die Geschichte auch noch mit einem regelrechten Cliffhanger.
Als Einstieg in die Bücher von Karin Slaughter halte ich „Tote Augen“ für nicht geeignet. Obwohl auch hier der eigentliche Fall abgeschlossen wird, empfehle ich vorher das Lesen der beiden anderen Reihen, jeweils in der richtigen Reihenfolge, da das Privatleben der Ermittler jedes Mal doch einiges an Gewicht mit einbringt und sonst viel zu viel vorweg genommen wird. Außerdem glaube ich, dass man dann – trotz diverser Kurzerklärungen zu den bereits bekannten Protagonisten – etliche Reaktionen nicht richtig deuten kann. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass jemand der die Atlanta Police Department Reihe nicht kennt, z. B. den Kurzauftritt von Angie in „Tote Augen“ komplett missversteht.
Resümee
Alles in Allem empfand ich das Buch trotzdem als spannende Lektüre und persönlich auch besser als die ersten 5 Teile der Grant County Reihe. Obwohl ich diese ebenfalls gern gelesen habe, war mir dort neben den krassen Fällen, immer noch viel zu viel heile Welt. Mit dieser hatte Slaughter aber bereits in „Zerstört“, „Verstummt“ und „Entsetzen“ gebrochen. Im Vergleich zu diesen Werken, schwächelt „Tote Augen“ dann doch. So halte ich das Buch zwar durchaus für lesenswert und freue mich auch jetzt schon auf die Fortsetzung, kann aber insgesamt gerade mal nur 3 Bewertungssterne geben.
In Originalsprache sind die Fortsetzungen mit „Broken“ (2010) und „Fallen“ (2011) übrigens bereits erschienen, so dass ich im nächsten Jahr mit der deutschen Übersetzung von „Broken“ rechne.