Doris Dörie - Alles inklusive

  • Klappentext:


    Ihren albernen Vornamen verdankt Apple ihrer Hippie-Mutter Ingrid. Das, ein paar Neurosen und die Liebe zu gebügelten Blusen und Bürgerlichkeit. Nie mehr will Apple so chaotisch leben wie in ihrer Kinkheit. Wie damals in Spanien in dem Zelt am Hippie-Strand, im Sommer 1976, als Apples Mutter Karl Birker kennenlernte. Ingrid, die Strandkönigin von Torremolinos, barbusig, schön und verwegen, und Karl, der Bankangestellte aus Hannover mit Frau und Sohn und schmuckem Ferienhaus, verliebten sich Hals über Kopf ineinander - mit unausdenklichen Folgen für fünf Menschen. Dreißig Jahre später reiht die erwachsene Apple ein Liebesdesaster ans andere, während ihre beste Freundin Susi ein Haus in Spanien sucht. Dort, unter der Sonne des Südens, soll Susis schwerkranker Mann Ralf endlich gesund werden. Und Ingrid, auch mit über sechzig noch ein rebellischer Freigeist, kehrt nach drei Jahrzehnten an den Schauplatz jener verhängnisvollen Sommerliebe zurück. Vor lauter Hotelbunkern erkennt sie das einstige Fischerdorf kaum wieder - mit manchen alten Bekannten ergeht es ihr genauso....


    Die Autorin:


    Doris Dörrie, geboren in Hannover, ist Filmregisseurin und Schrifstellerin. Parallel zu ihrer Filmarbeit (u.a. Männer, Keiner liebt mich, Kirschblüten - Hanami) veröffentlicht sie Kurzgeschichten, Romane und Kinderbücher. Seit einigen Jahren hat sich Doris Dörrie auch als Opernregisseurin einen Namen gemacht. Sie lebt in München.


    Meine Meinung:


    Der Roman besteht aus einzelnen Episoden, die aus Sicht der beteiligten Personen geschildert sind. Obwohl ein "roter Faden" die Handlungen verbindet, lesen sie sich wie einzelne, in sich abgeschlossene Kurzgeschichten.


    Als sich Ingrid und Karl in Spanien kennenlernen, beginnen sie eine Affäre, die mit dem Selbstmord von Karls Frau ein tragisches Ende nimmt. Apple leidet unter dem "Anderssein" ihrer Mutter und dem Hippie-Leben in Spanien. Dabei ist Ingrid in ihrer Rolle selbst nicht glücklich. Dies wird deutlich, als sie ihre Sicht auf die damaligen Ereignisse im Rückblick schildert. Karls Sohn hingegen lässt das Trauma seiner Kindheit Jahre später zu einem Transvestiten werden. Apple stürzt sich in verzweifelte Beziehungen, die jeweils unglücklich enden. Sie findet jedoch in Susi eine beste Freundin und schließlich einen Hund (Mops) dem sie sich in verzweifelten Gesprächen anvertraut. Sie nennt ihn daher auch "Freud". Susi ist auch nicht glücklich, obwohl ihr Mann Ralf eine neue Niere erhält und die beiden in Spanien einen Neuanfang machen wollen. Denn Ralf beginnt sein neues Leben auf seine Art, und die lässt auch Susi bald verzweifeln.


    Am Ende der Geschichte finden sich alle Personen in Spanien wieder zusammen. Ingrid hatte von Apple einen "All inclusive" Urlaub geschenkt bekommen. Daher enthält dieser Roman auch Anspielungen auf diese Form des Tourismus und stellt ironische Vergleiche in den Beziehungen der Einheimischen zu den Deutschen her. Alles wird, wie von Doris Dörrie gewohnt, mit trockenem Humor betrachtet.


    Fazit: Eine nette Unterhaltungslektüre, gut geschrieben und leicht lesbar, aber auch nicht mehr.


    Bewertung: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Jeder Tag, an dem ich nicht lesen kann, ist für mich ein verlorener Tag!

  • Die FAZ - Journalistin Melanie Mühl hat gerade in einer „Streitschrift“ eine der wesentlichen und dramatischen Lebenslügen von immer mehr Menschen und einer ganzen Gesellschaft angegriffen. Sie nennt es die „Patchwork-Lüge“ und meint damit nicht nur das Schönreden und Idealisieren der sogenannten „Patchwork-Familien“, von denen sich viele redlich abmühen, sondern sie identifiziert das Flickwerk als Muster für das Leben vieler Menschen generell und für die Gesellschaft.
    Eine Gesellschaft, deren Mitglieder in einer immer größeren Zahl einfach nicht erwachsen werden wollen:
    „Heute ist uns die Vorstellung davon, was Erwachsensein heißt, abhandengekommen. Erwachsen sein heißt, Entscheidungen zu treffen. Indem wir uns auf eine Option festlegen, schließen wir andere Optionen aus. Wir verzichten auf etwas und übernehmen für etwas Verantwortung, für einen Menschen zum Beispiel oder für eine Familie.
    Erwachsensein bedeutet, die banale Tatsache zu akzeptieren, dass sich nicht jeder Wunsch verwirklichen lässt und Lebensabschnitte einander abwechseln. Erwachsensein kann ein beruhigendes Gefühl vermitteln. Die Möglichkeitswelt ist kleiner geworden, sie erfordert keine permanenten Revision, weil man nicht fürchtet, Erlebnisse, Menschen oder irgendetwas sonst zu verpassen. Man ist angekommen.“


    Doch diese Kulturleistung können und wollen viele Menschen nicht mehr erbringen. Ein immer weiter um sich greifender Jugendwahn, der bei Männern nicht weniger abstoßend und lächerlich daherkommt als bei Frauen, der dauernde Druck, Spaß haben zu wollen und Bedürfnisse sofort zu befriedigen, auch sexuelle, koste es, was es wolle, all das ist nicht Ausdruck, sondern die dramatische Folge einer schon lange sich zeigenden Entwicklung, die zum gesellschaftlichen Flickwerk wurde.


    Und sie hat lange wirkende und sich über die Generationen ausbreitende Wirkung: „Es wird immer unwahrscheinlicher, dass sich zwei Menschen aus zwei intakten Familien ineinander verlieben, weil es immer weniger intakte Familien gibt. Letzten Endes infizieren die Bindungsneurotiker die Übriggebliebenen mit dem Virus der Einsamkeit. Wie die Depression, ist die Einsamkeit eine Ansteckungserkrankung.“


    Das neue, hier anzuzeigende Buch von Doris Dörrie liest sich wie eine belletristische Ausarbeitung dieser Thematik, unterhaltsam daherkommend, lustig stellenweise, aber auch unendlich traurig über so viel verlorenes und nicht gelebtes Leben, das hier beschrieben wird. Jene Geschichte der alleinerziehenden Hippiemutter Ingrid, die mit ihrer kleinen Tochter, die sie „Apple“ genannt hat (welch eine Hypothek!), an den damals noch unberührten Stränden in Spanien sich durchzuschlagen sucht. Sie hat ein Verhältnis mit dem wohlhabenden Karl Birker, der dort mit seiner Familie ein Haus besitzt. Apple und auch Birkers Sohn Tim bekommen das alles genau mit, und es wird ihr zukünftiges Leben prägen und belasten. Nachdem Birkers Frau schon bald den Braten gerochen hat, ertränkt sie sich im eigenen Pool.


    Dreißig Jahre später – und diese Zeit macht, von gelegentlichen Rückblicken unterbrochen, den Hauptteil des Buches aus - haben alle damals Beteiligten mit ihrem Leben zu kämpfen und kommen nicht klar. Sie sind alle nicht richtig erwachsen geworden. Das wird deutlich, als Ingrid an den Ort ihrer damaligen Sommerliebe zurückkehrt….


    Das Buch ist unterhaltsam, hinterlässt aber bei aller anregenden und belustigenden Lektüre einen traurigen und nachdenklichen Nachgeschmack, aus Gründen, die ich oben beschrieben habe.