Ralf Rothmann – Feuer brennt nicht

  • Original : Deutsch, 2009


    INHALT :
    Berlin, fast zwanzig Jahre nach dem Mauerfall. Kreuzberg ist gesichtslos geworden, in den Szenebezirken lebt man auf zu dünnem Eis („man hört es leise knacken, wenn sie die Deckel ihrer Laptops schließen“), und so ziehen Alina und Wolf an den grünen Rand der Stadt, nach Fichtenhagen. Am Müggelsee, wo die Unterschiede zwischen Ost und West noch nicht verwischt sind, dem Ort erstaunlicher Begegnungen mit Menschen aus der untergegangenen Republik, sieht Wolf sich aber zunehmend überfordert von dem alltäglichen Zusammenleben mit Alina, den „Details der Zweisamkeit“, der Enge trotz komfortabler Wohnung.


    Als plötzlich Charlotte auftaucht, eine Geliebte aus der Vergangenheit, ergreift er die Flucht in neue, vom offensiven Eros der Professorin befeuerte Sensationen – getarnt als Ausflüge mit seinem Labrador Webster. In dessen Fell hält sich der fremde Parfümduft jedoch unvermutet lange. Alina wird skeptisch, und so überwindet Wolf „die Hölle der Verheimlichung“ und ist überrascht: Seine Frau akzeptiert das Verhältnis zu der Anderen nicht nur, sie ermuntert ihn sogar dazu ...


    „Heute noch etwas erfinden heißt, der Wahrheit verloren gehen.“ Ralf Rothmann hat einen Roman über das behutsame Zusammenwachsen von Ost und West und eine Chronik des erotischen Begehrens geschrieben, eine dunkel-glühende Liebesgeschichte. (Quelle : Suhrkamp)


    ANMERKUNGEN :
    Im Haupterzählstrang steht eindeutig Wolf im Mittelpunkt : Erzogen in einer katholischen Leibfeindlichkeit, der er bald den Rücken kehrt, macht er keinen höheren Abschluss, aber arbeitet als Maurer, Koch, Krankenpfleger... Er geht nach Westberlin. Immer schon liebte er das Lesen und beginnt zaghaft, eigene Gedichte und Stücke niedrzuschreiben. Richard Sander, ein schon bekannter älterer Autor, wird ihn fördern und ermuntern. Er wird publiziert und kennt Erfolg. Auf einer Autorenlesung lernt er in den 80iger Jahren Alina kennen und zieht mit ihr zusammen. Wir folgen ihrer Beziehung durch die Jahrzehnte hindurch. Heiraten sie auch nicht, so ist für Wolf stets klar, dass sie die Frau seines Lebens ist, trotz aller One-Night-Stands oder gelegentlichen Bordellbesuche. Nach geraumer Zeit trifft er eine alte Geliebte wieder, und es entspannt sich eine längere Beziehung. Während eines Parisbesuches mit Alina gesteht er ihr diese ein, um ihr und sich selbst gegnüber, wie er meint, aufrecht zu bleiben. Nein, im Gegensatz zum Klappentext wütrde ich nicht sagen, dass Alina ihn zu dieser eher eindeutig von ihm nur erotisch erlebten Beziehung ermuntert, doch sie weiß wohl, dass sie den Geliebten nicht mit dem erhobenen Zeigefinger halten kann und ist, unter Tränen eher, bereit, die andere Frau zu akzeptieren. Wie lange ? Wie wird Rothmann diese Dreiecksgeschichte ausgehen lassen ?


    Viele Indizien weisen unschwer darauf hin, dass dieser Wolf in vielem ein Alter Ego von Ralf Rothmann selber ist. In vielen biographischen Details, letztlich auch der Namensnähe zeigt sich dies. Sieht man die Radikalität der Selbstdarstellung – inklusive in einer Schwachheit und manchmal einer Ich-Beschränktheit etc. - dann handelt es sich hier um einen sehr offenen, existenziellen Roman. Zwar kannte man das schon von seinen vorherigen Romanen mit Bezügen zu seinem Leben, doch hier ist es noch weiter ausgebaut. Er selbst spricht von einer autobiograhischen Fiktion.


    An den meist chronologisch erzählten Hauptfaden knüpfen sich Rückblicke, Betrachtungen und Themen ausarbeitende Passagen. Darunter zählt sicherlich alles, was mit der Begegnung zwischen Ost und West zu tun hat. Lebte Wolf schon lange in Berlin, ignorierte er doch fast die Mauer und den anderen Staat und ihre Menschen. Später, nach der Wiedervereinigung und dem Umzug in den Ostteil der Stadt, ergeben sich Begegnungen mit Menschen und innere Auseinandersetzung mit dem Thema. Vielleicht nicht immer « politisch korrekt », doch interessant und aufrecht.


    Ähnliches könnte man von seinem Ausleben der Beziehungen mit den beiden Frauen des Romans sagen : hier eine fast selbstverständliche Hingabe an den Autor durch Alina, die auch nicht infrage gestellt wird und für Wolf quasi das notwendige Ruhekissen ist für ein sorgenfreieres Schreiben ; da eine gleichzeitig wie selbstverständliche Parallelität zur Langzeitbeziehung, in der Form einer leidenschaftlichen, eher rein erotischen Beziehung zu Charlotte. Man sieht einige die Nase rümpfen... Und sicherlich entpuppt sich Wolf als ein eher Selbstbezogener.


    Gleichzeitig wird Wolfs Erfahrungen als junger und dann reifender Schriftsteller, mit dem Schreiben an sich und der stets vorhandenen Unsicherheit wunderbar dargestellt. Sein Mentor und Gönner wird irgendwann abgelehnt, wie eine Loslösung von der Vaterfigur für den Heranwachsenden wichtig ist.


    Rothmann spricht auch von den einfachsten Dingen oft in einer Art, das man staunt und innehält. Manchmal liegt eine seltsame Poesie in den Zeilen. Dann wiederum entpuppt sich der Poet als deftiger Prolet, wie er es selber auch sagt. Die erotischen Szenen sind eindeutig und zahlreich. Für viele sicherlich kein Problem. Es könnte höchstens sein, dass sie manchem die anderen Seiten des Romans etwas verdecken. Was mich woanders aber (nur) stören würde, hindert mich nicht daran, auch hier wieder meinen Hut zu ziehen und mich zu freuen, wenn ich so manche Zeile langsam genieße !


    ZUM AUTOR:
    Ralf Rothmann (* 10. Mai 1953 in Schleswig) ist ein deutscher Schriftsteller. Er wuchs im Ruhrgebiet in der Umgebung von Oberhausen auf. Nach der Volksschule und einem kurzen Besuch der Handelsschule machte er zunächst eine Lehre als Maurer. Später schlug er sich mit verschiedenen Jobs durchs Leben, arbeitete als Fahrer, Koch, Drucker und als Krankenpfleger. Seit 1976 lebt er in Berlin, wo er 1984 sein literarisches Erstwerk veröffentlichte, den Lyrikband Kratzer, für den er 1986 das Märkische Stipendium für Literatur erhielt. Sein erster Roman Stier erschien 1991. 1999/2000 war Rothmann poet in residence an der Universität Essen. Er lebt heute als freier Autor mit seiner Frau in Berlin-Friedrichshagen am Müggelsee. Er erhielt für sein Werk verschiedene renommierte Literaturpreise (u.a. 2005: Heinrich-Böll-Preis; 2006: Max-Frisch-Preis).


    Weitere sehr gute Infos zum Werk und zum Autor auf: http://de.wikipedia.org/wiki/Ralf_Rothmann


    Folgende Bücher von Rothmann wurden hier im BT schon besprochen : http://www.buechertreff.de/rez…lf%20Rothmann-index1.html


    Taschenbuch: 304 Seiten