Claudia Weiss: Schandweib

  • Die Autorin:
    Claudia Weiss, Jahrgang 1967, ist promovierte Historikerin und Privatdozentin. Sie hat in Hamburg und Moskau Geschichte, Slawistik und Geographie studiert und im Anschluss zwölf Jahre als Osteuropa-Historikerin in Deutschland, Frankreich und Russland geforscht und gelehrt, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Neben wissenschaftlichen Fach publikationen schrieb sie für GEO Epoche und veröffentlichte im März 2011 Das Reich der Zaren, einen Sachbildband. Schandweib ist ihr erster Roman.
    (Quelle: Verlagswebsite)


    Klappentext:
    Hamburg, 1701: Am Schweinemarkt findet man eine Frauenleiche ohne Kopf. Mangels Zeugen will das Gericht den Fall schon zu den Akten legen. Doch dann taucht unvermittelt eine Verdächtige auf: eine Frau, die sich seit Jahren als Mann ausgibt. Der junge Advokat Hinrich Wrangel übernimmt die Pflichtverteidigung der Gefangenen und gerät damit in eine düstere Geschichte, die Kreise bis in die hohe Politik zieht.


    Allgemeines:
    Der Roman ist 500 Seiten lang und in 69 Abschnitte unterteilt. Zusätzlich sind neue Kapitel mit dem Datum des Tages, an dem die Dinge sich ereignen, überschrieben.
    Sehr hilfreich ist das Glossar, das sowohl relevante genannte historische Persönlichkeiten mit kurzer Biographie listet, als auch Begriffe, für die der Leser sich eine Erklärung wünschen könnte.


    Inhalt:
    Hinrich Wrangel ist der neue Prokurator in Hamburg, was bedeutet, dass er als Anwalt im Niedergericht arbeiten soll. Gleich der erste Fall, den er zu sehen bekommt, ist einer, den er wohl nie vergessen wird, denn der Fall ist sehr spektakulär. Im Kerker des Henkers sitzt eine Frau, die jahrelang als Mann gelebt hat und der nun neben ebendieser Tatsache (sie ist zweimal verheiratet gewesen, hat Menschen getäuscht und in gotteslästerlicher Unzucht gelebt) auch ein grausamer Mord zu Lasten gelegt wird.
    Für den Prätor scheint der Fall klar - diese Frau, das "Schandweib", ist schuldig. Wrangel aber will das nicht einfach so hinnehmen. Hinrich... oder Ilsabe Bunk hat eine Geschichte zu erzählen und in ihrem Leben viel durchgemacht. Schon früh auf sich allein gestellt, hat sie festgestellt, dass es einfacher ist, als Mann durchs Leben zu kommen, denn Frauen sind oft Gefahren ausgesetzt, die Männer nicht nur nicht erleben, sondern die vielmehr durch sie verursacht werden. Ilsabe geht also ihren Weg als Mann - und trotz aller Widrigkeiten findet sie nicht nur immer wieder Menschen, die ihr helfen, sie glaubt auch, zweimal die Liebe gefunden zu haben.
    Doch man spielt ihr übel mit - und nun steht sie vor dem Hamburger Gericht und soll sich auch noch eines Mordes schuldig bekennen, den sie nicht verübt haben kann. Wie Wrangel und Ilsabe sich auch bemühen, die Lage ist verfahren. Einer solchen Person wie ihr, die so widernatürlich gehandelt und gelebt hat, möchte man eigentlich unbedingt etwas anhängen. Und auch der Aberglaube an Hexen ist noch immer nicht ganz aus den Köpfen der Menschen verschwunden...
    Wrangel will unbedingt die Wahrheit ans Licht bringen. Aber das ist nicht ganz einfach und nicht ganz ungefährlich - denn mächtigen Menschen ist es gar nicht recht, dass jemand sich in ihre Angelegenheiten einmischt und ihnen auf die Schliche zu kommen droht. Viele scheinbar unzusammenhängende Ereignisse ergeben bald schon ein größeres Ganzes, und Wrangel braucht mehr als einmal die Hilfe seines Freundes Claussen und die Hilfe des reichen und gelehrten Juden Abelson, der noch dazu eine sehr intelligente und schöne Tochter hat, an der Wrangel bald mehr Interesse hat, als es sich für einen Christin einer Jüdin gegenüber geziemt.


    Meine Meinung:
    Ein historischer Roman über eine Frau, die als Mann lebt. - Wenn man diesen Satz liest, fallen einem sofort zig historische Romane ein, die mehr oder weniger gut sind. Oft sind die Protagonistinnen besonders progressiv, aufgeklärt, setzen sich über Einschränkungen der Gesellschaft hinweg, lernen dann einen Mann kennen und finden die wahre Liebe. "Schandweib" ist kein bisschen so.
    Dass die Autorin weiß, wovon sie schreibt, merkt man deutlich. Die Darstellung der Stadt Hamburg im beginnenden achtzehnten Jahrhundert, Sitten, Gebräuche, Lebensumstände, alles wird sehr klar dargestellt und liest sich interessant. Ich habe beim Lesen dieses Romans etwas über die Geschichte Hamburgs gelernt, ohne dass ich das Gefühl hatte, belehrt zu werden, und das hat mir sehr gut gefallen, weil ich insgesamt fand, dass ich es hier wirklich mit einem historischen Roman zu tun hatte, nicht mit einer x-beliebigen Geschichte, die einfach in irgendeine Epoche verpflanzt wird, damit sie sich gut verkauft. Die Figuren wirken authentisch und sind insgesamt toll dargestellt, weil sie nicht irgendwelchen Klischees entsprechen, sondern eigene Charaktere sind.
    Wie ja schon gesagt: Frauen in Männerkleidern begegnen einem in historischen Romanen an jeder Ecke. Zum ersten Mal hatte ich aber das Gefühl, dass es hier eine realistische Darstellung dieses Phänomens gab. Denn was bedeutet es wirklich, wenn man nicht nur eine neue Identität annimmt, sondern auch noch das andere Geschlecht annimmt? Das ist nicht nur ein spannendes Abenteuer, es bedeutet auch, dass man verletzlich ist, jederzeit auffliegen kann, dass es gefährlich ist. Und genau das muss Ilsabe Bunk am eigenen Leib schmerzlich erfahren.
    Darüber hinaus erfährt man Einiges über die Arzneien im achtzehnten Jahrhundert (und endlich mal kein futuristischer Protagonist, der das alles in Frage stellt), das Gerichtswesen, das Leben der Juden und die Möglichkeiten, die es überhaupt in der Ermittlung in einem Mordfall gibt.
    Was mich auch überzeugt, ist die Tatsache, dass der Roman ein Ende hat, das absolut stimmig ist und gut in die Zeit passt. Es gibt nicht plötzlich einen gesellschaftlichen Umschwung, ein Wunder, irgendwelche neumodischen Möglichkeiten, um das ein oder andere Ereignis zu verändern.
    Warum gibt es von mir viereinhalb Sterne und nicht fünf? Weil ich auf den ersten Seiten ein paar Anlaufschwierigkeiten hatte: die drei Protagonisten (Wrangel, Bunk und Ruth) treten alle auf, es ist aber nicht klar, wie die Geschichten zusammenhängen. Zudem heißt Wrangel auch noch Hinrich mit Vornamen, genau wie Bunk sich nennt, und das hat mich, bis ich mich daran gewöhnt hatte, ein bisschen irritiert.


    Fazit:
    Ein toll recherchierter Roman, der aus der Masse der historischen Kriminalromane heraussticht!
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

  • Danke für die schöne Rezi, das Buch ist schon auf meiner Wunschliste.
    Wer noch zusätzliche Informationen über diesen historischen Fall haben möchte, kann hier mehr erfahren.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Vielen Dank für die ausführliche Rezi Strandläuferin, es steht bereits auf meiner Liste. :winken:

    Liebe Grüße
    Helga :winken:


    :study: [b]???


    Lesen ist ernten, was andere gesät haben (unbekannt)

  • Ich erspare mir eine erneute vollständige Inhaltsangabe, weil Strandläuferin sehr aussagekräftig den Inhalt dieses außergewöhnlichen Romans wiedergegeben hat. :wink:


    "Schandweib" ist auf den ersten Blick ein historischer Kriminalroman, in dessen Mittelpunkt eine Frau steht, die eine Außenseiterin der Gesellschaft ist. Da sie sich als Frau den Annäherungsversuchen lüsterner Männer ausgesetzt sieht und außerdem lesbische Neigungen hat, legt Ilsabe Bunk ihre weibliche Identität ab und lebt als Mann unter dem Namen Hinrich Bunk. Sie, bzw. er zieht wie viele Männer zur damaligen Zeit durch Norddeutschland und nimmt harte körperliche Arbeiten an, wo immer sich ihm die Gelegenheit bietet. Zweimal lässt er sich mit Frauen trauen, mit denen er dann auch in "widernatürlicher Unzucht" lebt. Schließlich verschlägt es ihn nach Hamburg. Als dort im Januar 1701 eine kopflose weibliche Leiche im öffentlichen Aborthäuschen gefunden wird, gerät er bald ins Visier der ermittelnden Beamten unter der Leitung von Prätor Wilken. Aus einer wohlhabenden und einflussreichen Hamburger Patrizierfamilie stammend, hofft dieser, demnächst zum Bürgermeister gewählt zu werden und möchte deshalb sein Prätorenamt mit einer rundum gelungenen Aufklärung dieses Mordes zu Ende bringen. Hinrich Bunk bietet sich als perfekter Sündenbock an, da sein gotteslästerlicher Lebenswandel darauf schließen lässt, dass einer solchen Person auch ein abscheulicher Mord zuzutrauen ist. Jedoch ist es nicht nur die willkommene Sündenbockfunktion, die den Prätor zu seinen manipulativen Umtrieben motiviert...
    Der Prokurator Wrangel wird als Bunks Pflichtverteidiger berufen. Er ist ein geradliniger, ehrlicher und auch recht naiver junger Mann, dem die Wahrheitsfindung wichtiger ist als die Karriere. Bei seinen vorurteilslosen Recherchen stößt er auf Ungereimtheiten, die ihn an der Schuld seines Mandanten zweifeln lassen. Der jüdische Bankier Abelson und seine kluge Tochter Ruth, die sich nicht auf die traditionelle Rolle einer Frau beschränken lassen will, helfen Wrangel bei seinen Untersuchungen, sein Mandant sabotiert dagegen überraschend die Arbeit des Verteidigers, da er plötzlich eine eigene Agenda zu verfolgen scheint. Die aufblühende Romanze zwischen Wrangel und Ruth wird unaufdringlich präsentiert und nimmt einen vergleichsweise geringen Raum ein. Sehr gut hat mir die detaillierte Charakterisierung des Henkers gefallen, der hier sehr menschlich dargestellt wird und nicht nur als "Totmacher" erscheint.


    Es handelt sich trotz der als Mann verkleideten weiblichen Hauptfigur nicht um einen der gängigen Historienromane mit diesem Sujet, sondern um die literarische Rekonstruktion eines tatsächlichen Falls aus der Geschichte Hamburgs. Über den Kriminalfall hinaus erfährt der Leser eine Menge über die Hamburger Stadtgeschichte mit ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konventionen. Zwei Glossare (Historische Personen, Historische Begriffe) erleichtern dem Leser das Verständnis.
    Über einen historischen Roman geht "Schandweib" insofern hinaus, als das Buch Parallelen zur heutigen Zeit aufzeigt und das Verhalten karriere- und machtbessessener Politiker bloßstellt, eine offenbar "zeitlose" Eigenschaft, die einem bestimmten Menschentypus zugeordnet werden kann, mit dem man beinahe täglich in den Nachrichten konfrontiert wird.


    Fazit: "Schandweib" ist ein gründlich recherchierter, facettenreicher historischer Roman, der einen historischen Kriminalfall aufgreift. Es handelt sich jedoch bei dem Buch auf keinen Fall um einen Thriller, sondern eher um ein Sittengemälde des beginnenden 18.Jahrhunderts.
    Der Leser erhält viele interessante zeitgeschichtliche Informationen in einem authentisch wirkenden Sprachstil, wobei jedoch keine Hochspannung erzeugt wird. Dennoch könnten plastische Darstellungen damaliger Heilbehandlungen und Hinrichtungsmethoden sensible Leser belasten.
    Für Fans nervenstrapazierender Thriller ist das Buch weniger empfehlenswert, für Liebhaber anspruchsvoller historischer Romane dagegen sehr!
    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
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    Einmal editiert, zuletzt von €nigma ()

  • Vielen Dank für eure Rezis!


    Das Buch hört sich auf jeden Fall sehr lesenswert an und wandert somit gleich auch meine Wunschliste.



    Liebe Grüße
    Rapunzel

    Wir brauchen Geschichten.
    Wer möchte denn nur ein Leben führen, wenn er das von vielen besuchen kann?
    Sabrina Qunaj - Das Blut der Rebellin

  • Für Fans nervenstrapazierender Thriller ist das Buch weniger empfehlenswert, für Liebhaber anspruchsvoller historischer Romane dagegen sehr!

    Tja - da ich mich für beides begeistern kann, komme ich nicht umhin, dieses Buch auf meine Wunschliste zu setzen. Danke, für eure schönen ausführlichen Rezis. :thumleft:

    Gelesen in 2024: 9 - Gehört in 2024: 6 - SUB: 626


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • Tja - da ich mich für beides begeistern kann,


    Mir gefällt auch beides. Ich wollte nur klarstellen, dass das Buch, obwohl es ein historischer Kriminalroman ist, nicht übermäßig spannend im Krimisinne ist. :wink:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • 1701 reist der junge Advokat Hinrich Wrangel von Lübeck nach Hamburg, um dort seinen Dienst am Niedergericht antreten. Kaum erreicht er Hamburg, als eine kopflose Frauenleiche aus einer öffentlichen Toilette des Schweinemarktes geborgen wird. Wrangel möchte sofort Nachforschungen anstellen und diesen Fall aufklären. Doch erst nach Monaten wird er als Pflichtverteidiger für Ilsabe Bunk bestellt, die als Mann verkleidet bei einer Messerstecherei verhaftet wurde und jetzt als Hauptverdächtige für die kopflose Leiche gilt. Erst nach viel Mühen erfährt Wrangel nach und nach, was Ilsabe widerfahren ist. Sie hat als junge Frau ihre gesamte Familie innerhalb kürzester Zeit verloren. Als alleinstehende Frau war sie allen Widrigkeiten ausgesetzt und wusste sich nicht anders zu helfen, als sich fortan als Mann zu verkleiden und unter dem Namen ihres toten Bruders zu leben. Als sie enttarnt wurde, war das allerdings nicht ihre größte Schande, sondern die Tatsache, dass sie mit Frauen zusammen gelebt hat, zur damaligen Zeit ein Riesenskandal. Die Öffentlichkeit sucht einen Schuldigen und hat sie in Ilsabe Bunk gefunden. Ein Prozess soll ihre Schuld besiegeln, damit die Öffentlichkeit ihre Gerechtigkeit bekommt. Wrangel selbst glaubt an die Unschuld seiner Mandantin, doch diese hilft ihm leider nicht, dies zu beweisen, doch auch von anderer Seite werden ihm Steine in den Weg gelegt.


    Die Hamburger Historikerin Claudia Weiss hat in ihrem Debütroman „Schandweib“ einen authentischen Kriminalfall zur Haupthandlung ihres Buches gemacht. Der Schreibstil ist wunderbar flüssig und lässt den Leser ab der ersten Seite nicht mehr los. Durch die sehr gut betriebene Recherche gelingt es der Autorin, ihren Leser in die damalige Zeit zu versetzen, die Menschen und das Umfeld wieder lebendig werden zu lassen ebenso wie die gesellschaftliche Position der Frau. Die Beschreibung der Folterinstrumente jagt dem Leser eine Gänsehaut über den Rücken und auch die Prozessführung zur damaligen Zeit lässt einen oftmals mit dem Kopf schütteln. Die Protagonisten sind sehr schön gezeichnet. Ilsabe ist eine hoffnungslose Frau, verbittert und kampfmüde ergibt sie sich in ihr Schicksal. Wrangel ist erst voller Optimismus, muss aber schnell erkennen, dass es nicht nur um Schuld oder Unschuld geht. Der Leser wird oft zum Nachdenken angeregt, wie er sich in bestimmten Situationen verhalten würde und mehrmals wird deutlich, dass man lieber heute lebt, als zur damaligen Zeit.


    Claudia Weiss hat mit ihrem Erstlingswerk einen ausgezeichneten und sehr realen historischen Roman vorgelegt, den man so schnell nicht vergisst und der spannender nicht sein könnte. Ein absolutes Lesevergnügen, nicht nur für Historienfans, auch Krimiliebhaber sollten sich hier angesprochen fühlen. Chapeau!


    Dieses Buch verdient :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: !!

    Bücher sind Träume, die in Gedanken wahr werden. (von mir)


    "Wissen ist begrenzt, Fantasie aber umfasst die ganze Welt."
    Albert Einstein


    "Bleibe Du selbst, die anderen sind schon vergeben!"
    _____________________________________________


    gelesene Bücher 2020: 432 / 169960 Seiten

  • Dazu gibt es hier schon einen Thread: können die Moderatoren die Beiträge bitte zusammenlegen?

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  • Hamburg 1701: Eine kopflose weibliche Leiche wird gefunden, niemand weiß, wer sie sein könnte und warum und von wem sie ermordet wurde. Als schließlich jemand seine Tochter als vermisst meldet, liegt der Verdacht nahe, sie könnte die Tote sein und nun gibt es auch jemand, der verdächtig ist: Ilsabe Bunk, die als Mann unter dem Namen Hinrich Bunk lebt. Hinrich Wrangel, neu in Hamburg und Prokurator am Niedergericht, wird als ihr Pflichtverteidiger eingesetzt. Wrangel, der seine Arbeit ernst nimmt, entdeckt Ungereimtheiten und tut sein Möglichstes, Ilsabe zu helfen.


    Der Roman beruht auf dem wahren Fall der Ilsabe Bunk. Ich finde das sehr faszinierend, auch, was Claudia Weiss aus diesem Fall gemacht hat. Die Autorin ist Historikerin, sie weiß, wie man historische Fakten recherchiert. Leider gibt es im Buch keine Erwähnung darüber, was Fakten und was Fiktion ist (es findet sich im Anhang aber ein Glossar mit wichtigen Begriffen und Personen). Allerdings bietet das Enhanced Ebook die Möglichkeit, entsprechende Informationen abzurufen ebenso wie die Internetseite zum Buch.


    Aber auch ohne dieses Wissen ist der Roman absolut lesenswert. Die Autorin erzählt spannend und bedient sich einer Sprache, die zu Zeit passt. Sie scheut auch nicht davor zurück, wenige Erfreuliches zu erzählen. Folter und Hinrichtungen gehörten zur Wahrheitsfindung und Rechtsprechung damals dazu und gehören deshalb mit in die Geschichte, allerdings wird beides nicht übertrieben eingesetzt.


    Die Charaktere sind tiefgründig und wirken authentisch. Ilsabes Vorgeschichte erfährt man teilweise schon im Prolog und man kann nachvollziehen, warum sie ein Leben als Mann vorzog. Hinrich Wrangel ist sympathisch und bietet durchaus Identifikationsmöglichkeiten. Gut gefällt mir auch der Henker, der hier einmal kein unsympathischer und brutaler Mensch ist sondern eben seinen Job tut und ansonsten ein ganz normaler, sogar recht sympathischer Mann ist.


    Die Hamburger Morgenpost wird auf dem Klappentext damit zititert, dass sie den Roman einen „Justiz-Thriller“ nennt, und ja, dieses Wort passt wirklich gut. Hauptteil der Handlung ist im Grunde genommen der Prozess, in dem es um Ilsabes vermeintliche (oder tatsächliche?) Taten geht. Es ist ungeheuer interessant, wie Rechtsprechung damals geschah. Claudia Weiss lässt zudem politische Ereignisse und sozialen Umständen mit ins Geschehen einfließen, an Hand der Figur des Moses Abelson und dessen Tochter Ruth wird dem Leser zudem Einblick in das jüdische Leben der damaligen Zeit gewährt.


    Wer Wert auf gut recherchierte historische Romane legt, in denen die Handlung nicht losgelöst von tatsächlichen gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten erzählt wird, ist hier genau richtig. Außerdem ist der Roman sehr spannend, interessant und mit lebendig wirkenden Charakteren ausgestattet. Mir hat er sehr gut gefallen und erhält neben der vollen Punktzahl auch eine absolute Leseempfehlung von mir. Und wer nach seiner Lektüre gerne wüsste, wie es mit Wrangel weitergeht, der kann direkt zum Nachfolgeband „Scharlatan“ greifen, den ich ebenso gut fand.


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