Klappentext:
In einem leerstehenden Berliner Hochhaus macht die Polizei einen grausigen Fund. Ein makaber drapierter Frauentorso stellt alles in den Schatten, was Hauptkommissar Zollanger in seiner Laufbahn je zu sehen bekam.
Anderswo in Berlin will eine verzweifelte junge Frau nicht an den »Selbstmord« ihres Bruders glauben – und sticht ahnungslos in ein Wespennest aus Gier, Verrat und Vertuschung übelster politischer Machenschaften. (von der Verlagsseite kopiert)
Zum Autor:
Wolfram Fleischhauer, geboren 1961 in Karlsruhe, ist einer der wenigen deutschen Autoren, denen es gelingt, Anspruch und Spannung für ein großes Publikum zu verbinden. Nach vier Romanen über die Künste ("Die Purpurlinie", "Die Frau mit den Regenhänden", "Drei Minuten mit der Wirklichkeit", "Das Buch, in dem die Welt verschwand"), dem Familienroman "Die Inderin" und dem Universitätsroman "Der gestohlene Abend" ist "Torso" sein erster literarischer Thriller. Mehr Informationen zum Autor unter: www.wolfram-fleischhauer.de (von der Verlagsseite kopiert)
Allgemeines:
427 Seiten mit 74 Kapiteln, zwei Seiten Danksagung
Bebildert mit drei Freskenausschnitten von Ambrosio Lorenzetti aus dem Palazzo Pubblico in Siena und drei Emblemen aus einem Handbuch zur Sinnbildkunst.
Aus der Sicht wechselnder Figuren in der personalen Erzählperspektive geschrieben.
Inhalt:
Ein Frauentorso mit aufgesetztem Ziegenkopf wird entdeckt. Noch während Zollanger und sein Team sich die Köpfe zerbrechen, wird aus einer Großraumdisco für Schwule der Fund eines merkwürdigen Tieres gemeldet. Aber auch das ist nicht die letzte grausame Entdeckung.
Elin, Streetworkerin aus Hamburg, wendet sich an Zollanger, weil sie mit dem Ermittlungsergebnis „Selbstmord“ zum Tod ihres Bruders nicht einverstanden ist.
Eine Frau wird – möglicherweise von einem Mönch – entführt.
Nur durch Jonglieren am Rande der Legalität kann eine Privatbank vor dem Ruin gerettet werden.
Man kann es sich kaum vorstellen, aber alle Fälle gehören zusammen.
Eigene Meinung / Beurteilung:
Fleischhauer gehört zu den unterhaltsamsten und vielseitigsten deutschen Autoren der Gegenwart, der immer wieder ein anderes Genre bedient und mit „Torso“ erstmals einen Thriller geschrieben hat – auch wenn das Cover ihn neutral als „Roman“ bezeichnet.
Die literarischen Stilmittel des Thrillers setzt er perfekt ein: Kurze Kapitel, Cliffhanger, scharfe Schnitte zwischen den einzelnen Szenen und eine knappe, kurzgehaltene Sprache. Die Anzahl der Personen ist übersichtlich, ihre Zugehörigkeit zum Lager der Guten oder der Bösen leicht erkennbar (oder am Ende doch nicht?). Der Täter geht nach einem bestimmten Muster vor, die Handlungsstränge sind gut zu verfolgen, und der temporeiche Szenenwechsel garantiert Spannung.
Doch Fleischhauer bietet mehr als den üblichen Thrillerabriss „Tat – Ermittlung – Täter“. Man könnte sein Buch als Mafia-Thriller bezeichnen, und Mafia bedeutet: Bänker, deren Einfluss bis in die höheren Etagen der Politik und der Justiz reicht, und die sich eine private Exekutionstruppe halten. Finanzschiebereien und persönliche Bereicherung stehen ganz oben auf der Werteskala, und Ausspähung per Handy oder PC gehört zum Standardrepertoire.
Neben diesen Bereichen thematisiert der Autor auch die Machenschaften der Stasi in ihren Gefängnissen, persönliche Schwierigkeiten des Protagonisten nach der Wende und soziale Probleme in der Hauptstadt, überfrachtet sein Buch damit.
Zollanger erinnert zunächst (aber nur zunächst!) an eine der vielen Variationen Kurt Wallanders: Kurz vor der Pensionierung dienstmüde, über sich selbst und die Gesellschaft grübelnd, aber immer noch mit Pflichtgefühl im Dienst.
Elin als Totalverweigerin sorgt für das Gegengewicht zu einer schnellen, sich vor Problemen, Technik und Unlauterkeit überschlagenden Welt. Sie benutzt keine anderen Fortbewegungsmittel als die eigenen Füße oder ein Fahrrad, lehnt ab, mit Geld zu bezahlen oder mit dem Handy zu telefonieren. Vor dem PC beweist sie allerdings, dass sie nicht nur notgedrungen und zum ersten Mal an einem Gerät sitzt – eine kleine Inkonsequenz der Figur.
Die endgültige Lösung erfährt man erst am Ende des Buches in einer Berichtform, sie ist nicht eingebettet in die Entdeckungen der Ermittler. Erst hier ist die Handschrift Fleischhauers zu erkennen, der in seinen früheren Büchern lebendige, komplex konstruierte Geschichten zu erzählen weiß, ein Können, das man im Verlauf dieses Buches bedauerlicherweise vermisst.
Die Geschichte geht nur deshalb auf, weil der Autor das
oft strapazierte Motiv des Doppelgängers verwendet.
Durch dieses Buch wird Fleischhauer sicher einige Leser gewinnen, die ihn bisher noch nicht kannten. Demjenigen, der ihn kennt, könnten in diesem Thriller wesentliche Merkmale fehlen, die seine anderen Bücher auszeichnen: Die Entfaltung des Handlungsgefüges, die Personenzeichnung und vor allem die ansprechende literarische Sprache.
Fazit:
Ein Thriller, der sich aus dem Gros des Genres heraushebt: Rasant, spannend – aber auch hintergründig.