Wir schreiben das Jahr 2054 und befinden uns in Oxford. Zeitreisen sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern werden von Historikern intensiv zwecks Feldforschung genutzt. Die Studentin Kivrin soll kurz vor Weihnachten für ein paar Tage ins Jahr 1320 reisen, die Sitten und Gebräuche der Menschen beobachten und aufzeichnen und am Dreikönigstag zurückkehren. Alles ist vorbereitet, nur ihr Mentor, Professor Dunworthy, hat kein gutes Gefühl bei der Sache. Kivrin tritt aber trotzdem die Reise durch das "Netz" an und findet sich auf einer verschneiten Lichtung wieder, wo sie als vermeintliches Opfer eines Straßenräubers aufgelesen und in ein nahegelegenes Herrenhaus gebracht wird.
Das Problem an der Sache ist, dass es ihr tatsächlich ziemlich schlecht geht, allerdings nicht, weil sie von einem hinterhältigen Bösewicht niedergeschlagen wurde, sondern weil sie offenbar eine schwere Grippe aus der Gegenwart mitgebracht hat. Vorerst beschränken sich ihre Erfahrungen mit dem 14. Jahrhundert also auf das häusliche Leben und die Krankenpflegemethoden. Und sie muss feststellen, dass das in den Vorlesungen gelehrte Mittelenglisch doch etwas anderes ist als das, was man tatsächlich anno 1320 spricht.
In der Gegenwart zweifelt Professor Dunworthy immer stärker daran, dass Kivrins Zeitreise eine gute Idee war. Der Techniker, der ihren Zeitsprung berechnet und gesteuert hat, liegt mit einer schweren Virusinfektion kaum ansprechbar im Krankenhaus. Blöderweise ist er der einzige, der Kivrin in der Vergangenheit wirklich lokalisieren kann. Die Krankheit breitet sich epidemieartig aus, und bald müssen sich Dunworthy und seine Freundin und Kollegin Dr. Mary Ahrens mit unvorhergesehenen Schwierigkeiten wie einer eilends verhängten Quarantäne, Versorgungsengpässen und einer Horde übereifriger Glockenspieler aus USA herumschlagen. Und Marys Neffe Colin taucht unerwartet doch auf - eigentlich war sie davon ausgegangen, dass der Besuch des Jungen aufgrund der Quarantäne ausfallen würde, aber irgendwie hat er es aus London heraus nach Oxford geschafft und findet den Ausnahmezustand jetzt einfach nur spannend.
Wow, was für ein Buch! Ich kann mich kaum entscheiden, was ich spannender fand - Kivrins Entdeckungsreise ins 14. Jahrhundert, die sich weitaus dramatischer und gefährlicher gestaltet als erwartet, oder die Bemühungen von Dunworthy und Co., sicherzustellen, dass sie heil und gesund zurückkehren kann. Mehr Details zur Handlung möchte ich gar nicht verraten, nur soviel: ich konnte das Buch irgendwann kaum noch aus der Hand legen.
Was mich aber fast noch mehr begeistert hat als die Spannung und Dramatik, war der trockene britische Humor, der vor allem im Gegenwarts-Handlungsstrang ständig aufblitzt. Connie Willis ist eine Meisterin der Running Gags - ob implizite Bürokratiekritik, miese und nervtötende Verhunzungen traditioneller Weihnachtslieder, Colins etwas unappetitliche Naschgewohnheiten oder übereifrige Menschen, die stets im falschen Moment mit zwar durchaus wichtigen, aber banalen Problemchen wie einem drohenden Klopapierdefizit an der Universität ankommen, all das taucht immer wieder auf und sorgt für schmunzelnde Wiedererkennungseffekte, ohne zu nerven. Und die Charaktere an der Uni sind einfach herrlich schrullig, etwa der ewige Bedenkenträger Dunworthy, die resolute Mary Ahrens und Colin, für den alles nur ein riesengroßes Abenteuer ist.
Die Kapitel, die in der Vergangenheit spielen, haben einen ernsteren Grundton, zumal Kivrin auch eher ruhig und nachdenklich ist, bestechen dafür aber durch eindrückliche Schilderungen, die einem schon beinahe die Gerüche in die Nase steigen lassen und leise, eindringliche Porträts von Menschen und Gefühlen.
Eines meiner Highlights des Jahres!
(Falls sich jemand wundert, dass ich das Buch jetzt schon vor Erscheinen rezensiere: ich habe die englische Ausgabe "Doomsday Book" gelesen!)