Eugène Green – Der Wiederaufbau / La reconstruction

  • Original : Français, 2008


    ZUM INHALT :
    Paris, zwei Wochen auf Ostern 2003 zu. Jérôme Lafargue ist Literaturprofessor an der Sorbonne und versucht seinen Studenten, etwas von Poetik und Schönheit zu vermitteln. Eines Tages wird er von einem Johann Launer aus München kontaktiert: nach dem Tode seines Vaters Wenzel wäre er in Besitz verschiedener Elemente gekommen, die ihn an seiner Identität zweifeln lassen; Er hätte seine Gründe zur Annahme, dass Jérôme die Schlüssel in der Hand hat, um ihm weiterzuhelfen.


    Natürlich erinnert sich der Pariser an seinen Münchener Aufenthalt 1968, kurz nach den Maikrawallen in Paris. Hatte er doch dort seine Frau Jana kennengelernt, die gerade aus dem durch die Sowjets besetzten Prag geflohen war. Doch anfänglich erinnert er nichts, dass ihm und Johann auf die Sprünge helfen könnte.


    Erst nach und nach, durch die ständige Auseinandersetzung mit dem Thema, eine Erinnerungsarbeit und Niederschrift kommen die Ereignisse jener Münchener Tage wieder hoch, und eben die mehrmaligen Begegnungen mit Wenzel Launer, der ihn einige Tage beherbergt und einiges anvertraut.


    Wenzel stammte aus Böhmen, und fühlte sich seit der Staatsgründung der Tschechoslowakei 1920 als Tscheche mit deutscher Nationalität. Kurz darauf heirateten er und Margarete, und sie haben zwei Kinder, Johann und Sebastian. Erst die Besatzung zwingt ihn in eine Identität, die er nicht ausgesucht hatte...


    BEMERKUNGEN:
    Vor einigen Monaten hatte ich „La réligieuse portugaise“, einen neuen Film von Eugène Green, gesehen und überaus geliebt. Als ich dann neulich eine Rezension zu einem Buch von ihm las war ich erstaunt, dass er also auch Autor ist. Andererseits nicht so erstaunt, denn das Universum seines Films ließ deutlich erahnen, dass hier ein Liebhaber des Wortes am Werke ist, bei dem die Dialoge ausgefeilt sind und eine wichtige Rolle spielen.


    Von diesem ersten Roman aus seiner Feder, „La reconstruction“, wurde ich tief beeindruckt.


    Denkt man an eine Eingangsszene, ein Treffen zwischen dem Alzheimer erkrankten Vater Lafargue und Jérôme, so ist ein Grundthema direkt angeschlagen: Erinnerung, Gedächtnis, Verlust an Information. Jérôme sieht die Lücken des Vaters. Doch schon kurz darauf muss er selber nach und nach erkennen, wie auch bei ihm –und bei jedem Menschen – ganze Teile des Erlebten ins Vergessen hinabgesunken sind. Waren sie nicht „Identität“, Bestandteil unseres Ichs? Was bedeutet das? Wie kann er sich diese Teile wieder aneignen, und dabei auch Johann Launer eventuell auf seiner Identitätssuche helfen? Kann die Wahrheit dann auch wirklich helfen?


    Von daher eine erste Begründung für den Titel „Wiederherstellung“: nämlich der Erinnerung, eines Teils seiner Selbst.


    In Überlegungen zu seinem Aufenthalt in Deutschland vor 35 Jahren, und dem Schicksal der Launers als Flüchtlinge aus Prag nach München zum Ende des Krieges hin geht es aber auch um einen ganz konkreten Sinn des „Wiederaufbaus“: nämlich eines Landes (mehrerer Länder), und von Europa.


    Wie die Sprachführung in seinen Filmen ist auch hier die Sprache des Buches kristallklar und schön. Es gibt viele poetische und auch mystische Elemente (der Bezug des Autors zum Glauben, zum Gebet etc. ist offensichtlich), die das Herz erfreuen. Hinter dem Sichtbaren weiß man (noch) vom Unsichtbaren, Geheimnisvollen.


    Dialogszenen, Erzählszenen und Tagebucheinträge von Jérôme, teils zu denselben Themen und Tagen, wechseln einander ab und geben verschiedene Sichtweisen auf eine Realität.


    Für mich eine große Entdeckung, die Lust nach mehr macht!



    ZUM AUTOR :
    Eugène Green (* 28. Juni 1947 in New York City) ist ein französischer Theater- und Filmregisseur.Er spricht über seine frühe Lebensgeschichte wenig und begann seine Karriere als Dozent für Philosophie und als Maler. Ende der 1970er Jahre gründet er in Paris die Theatergruppe Théâtre de la sapience. Sein Ziel ist es, die Theatertraditionen des Barock neu zu beleben. Erst zu Beginn der Nuller Jahre wendet er sich dem Kino zu. Ohne kinospezifische Ausbildung dreht er 2001 seinen Debütfilm Toutes les nuits. Neben seiner Arbeit für das Kino veröffentlicht er weiterhin zu anderen Themen, etwa zum barocken Theater, zur Theorie des Kinos und schreibt Prosa.




    BIBLIOGRAPHIE:
    La parole baroque (Octobre 2001)
    La rue des Canettes : Cinq contes (Octobre 2003)
    Présences : Essai sur la nature du cinéma (20. Oktober 2003)
    Le présent de la parole précédé de Les lieux communs (1. März 2004)
    Poétique du cinématographe (15. Oktober 2009)
    La bataille de Roncevaux (5. November 2009)
    La Religieuse portugaise (7. Oktober 2010)
    Un comte du Graal (2010)
    La communauté universelle (14. April 2011)


    FILMOGRAPHIE:
    2001: Toutes les nuits
    2002: Le nom du feu (Kurzfilm)
    2003: Le Monde vivant
    2004: Le Pont des Arts
    2006: Les signes (Kurzfilm)
    2009 La réligieuse portugaise
    2009 Correspondences

    Broché: 190 pages
    Editeur : Actes Sud (15 août 2008)
    Collection : Domaine Français
    Langue : Français
    ISBN-10: 2742776885
    ISBN-13: 978-2742776887

  • Inzwischen auf Deutsch erschienen (eventuell Titel erweitern?)! "Der Wiederaufbau"
    Kurzbeschreibung (bei amazon)


    Ein katastrophales Treffen heute Morgen mit einem unbekannten Deutschen. Er ist kein Verrückter, aber er ist ein tiefunglücklicher Mann, denn er glaubt herausgefunden zu haben, dass er ein anderer ist, dessen Namen er nicht einmal kennt, so schreibt es Jérôme Lafargue, Professor an der Sorbonne, in sein Tagebuch. Johann Launer hatte ihn um dieses Treffen in einem Pariser Café gebeten, in der Überzeugung, dass nur Lafargue und seine Frau ihm würden helfen können, Licht in das Rätsel seiner Vergangenheit zu bringen Und zunächst erscheint auch alles wie eine Erkundung von Erinnerungen. Aber Der Wiederaufbau, der sich nach und nach zwischen München im September 1968, dem von den Nazis besetzten Prag, und dem Paris von heute vollzieht, ist weitaus mehr: er ist die Reise durch das Labyrinth des Lebens, dessen Energien in der wiedergefundenen und immer wiederzufindenden Gegenwart zusammenlaufen, in unserem Jetzt, wo alles atmet und erblüht