Anna-Luise Jordan: Herbst in Heidelberg

  • Kurzbeschreibung (amazon)


    1804 folgt Sophie Mereau (1770-1806) ihrem jungen Ehemann Clemens
    Brentano nach Heidelberg. Sie ist acht Jahre älter als er und schreibt
    mit großem Erfolg Gedichte und Romane. Ihre erste Ehe ist geschieden.
    Brentano träumt davon, gemeinsam mit ihr eine poetische Existenz als
    Vater vieler Kinder zu leben. Obwohl Sophie in dichter Folge drei Kinder
    zur Welt bringt, wächst die kleine Familie nicht. Nur der Freundeskreis
    um Sophie und Clemens vergrößert sich stetig. Sophie versucht, den
    Ansprüchen ihres ziellos umtriebigen Mannes gerecht zu werden. Der
    Heidelberger Freundeskreis wird Zeuge mancher Krise in dieser Ehe.
    Schließlich kommt es zur Katastrophe.




    Autorin (Klappentext)


    Anna-Luise Jordan wurde in Hannover geboren und studierte in Heidelberg Germanistik, Geographie und Soziologie. Sie promovierte über Sprachmentalität im 19.Jahrhundert und spezialisierte sich danach auf die Jahrzehnte zwischen Rokoko, Revolution und Restauration. Sie arbeitet als freie Lektorin und in der Erwachsenenbildung. "Herbst in Heidelberg" ist ihr erster Roman.


    Eigene Beurteilung


    Dieses Buch steht in unserer Bücherei zwar in der Abteilung "Biographie", der Untertitel lautet aber "Roman über die deutsche Romantik", deshalb ordne ich es bei den (biographischen) Romanen ein.Die Autorin erzählt aus dem Leben der Sophie Mereau (1780 -1806) . Sophie hat eine für ein Mädchen des 18.Jahrhunderts ungewöhnlich gute Ausbildung genossen und hat ausgeprägte schriftstellerische Interessen. In ihrer Vernunftehe mit dem Juraprofessor Karl Mereau ist sie nicht glücklich, obwohl ihr Mann nicht allzu viele Ansprüche an sie stellt und ihre dichterischen Bestrebungen nur dann milde kritisiert, wenn sie zur Vernachlässigung häuslicher Pflichten führen. Sophie ist eine Anhängerin der Französischen Revolution und meint, dass insbesondere die gesellschaftliche Rolle der Frau revolutioniert werden müsse. Der Zentralbegriff ihres Lebens ist "Freiheit", nur wer in Liebe und Freiheit lebt, kann ihrer Ansicht nach glücklich werden.
    Sie lässt sich von ihrem Mann scheiden - damals eine Aktion, die viel Mut und Initiative erfordert - und heiratet den acht jahre jüngeren Clemens Brentano (1778 - 1842) , der sie schon lange verehrt hat. Die Ehe wird nicht glücklich, denn es zeigt sich, dass Brentano Sophie nicht nimmt, wie sie nun mal ist, sondern immer wieder versucht, sie nach dem Idealbild zu formen, das er in seiner Phantasie von ihr geschaffen hat. Er selbst ist unstet, äußerst launisch und besitzergreifend, er bringt nichts zu Ende und ist ein gnadenlose Egozentriker. Es stört ihn, dass seine Frau entgegen seinen Wünschen schriftstellerisch tätig ist, bzw. von ihm nicht gebilligte Literatur übersetzt, es stört ihn, dass sie erfolgreicher ist als er, weswegen er sie in Gesellschaft ihres großen Freundeskreises immer wieder lächerlich macht und zu demütigen versucht. Er will ihr seine katholische Religion aufzwingen und meint, sie müsse nur noch für ihn und seine Wünsche leben. Auch sonst ist er egoistisch und rücksichtslos: er möchte unbedingt Kinder haben, nach zwei früh verstorbenen Kindern und einer lebensgefährlichen Fehlgeburt bezahlt Sophie schließlich bei der vierten Schwangerschaft mit ihrem Leben.
    Der Roman ist in der dritten Person geschrieben und die Kapitel sind teils nach den wechselnden Handlungsorten, teils nach den Jahreszeiten gegliedert. Sophie ist die Hauptfigur, jedoch erfährt der Leser nicht viel über ihr Seelenleben, er bleibt vielmehr ein Zuschauer, der der Handlung quasi "von außen" folgt. Er erlebt Sophie und Clemens im Kreise ihrer illustren Freunde/Verwandten (u.a. Achim von Arnim, seine spätere Frau Bettina Brentano, Karoline von Günderode etc). Die Beschreibung dieser Zeit und der Ideen, die hinter der Literatur der Epoche stehen, ist sehr anschaulich und faszinierend. Mir persönlich hat aber der Einblick in Sophies Psyche gefehlt: Warum lässt sich eine entschlossene, willensstarke und freiheitsliebende Frau wie sie von ihrem Mann soviel gefallen? Ihre diesbezügliche Langmut ist für mich ein Widerspruch zu ihrer sonstigen Natur und damit unerklärlich.
    Trotz dieses Kritikpunkts ist die Atmosphäre dieses gut recherchierten Romans aber eindringlich und beklemmend, sodass ich das Buch auf jeden Fall solchen Lesern weiterempfehle, die sich für Gesellschaft und Literatur des frühen 19.Jahrhunderts interessieren.
    Weitere Pluspunkte sind das Personenverzeichnis im Anhang und ein umfangreiches Literaturverzeichnis.
    Ich vergebe :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: .

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Hallo €nigma, nachdem du mich ja schon auf das Buch aufmerksam gemacht hast, steht es bereits wie du weißt auf meiner Wunschliste, und da wird es trotz des Kritikpunktes nicht mehr lange stehen. Danke für die sehr informative Rezi! :D


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Mikkel Birkegaard, Die Bibliothek der Schatten

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Gerade habe ich das Buch beendet, es hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt.
    Sophie Mereau war eine für die damalige Zeit sehr couragierte Frau, ihrer Zeit weit voraus mit einem ausgeprägten Freiheitsdenken. Um so unverständlicher für mich, dass sie Clemens Brentano geheiratet hat. Sie kannte seine "zwei" Seiten, seine Launenhaftigkeit, seine aufbrausende Art. Die Frage ob sie ihn auch geheiratet hätte ohne schwanger zu sein bleibt im Raum stehen. Ihre Liebe läßt ständig Kompromisse zu, sie verzeiht ihm immer wieder, versucht es ihm recht zu machen. Als Dank macht er sie vor Gästen lächerlich, wertet ihre Arbeit ab und quält sie mit seiner penedranten Eifersucht. Sie soll seinem Idealbild entsprechen. Ja auch ich wäre gerne intensiver in ihrer Gedankenwelt versunken, erwartete oftmals Widerspruch, Gegenwehr, nicht immer den gewährenden Ausgleich. Natürlich kann ich nicht beurteilen inwieweit verbriefte Hinterlassenschaften dies ermöglicht hätten oder nur reine Spekulation gewessen wären. Aber eines ist klar, das Leben an Brentanos Seite war mehr als schwierig. Dazu kam sein enormer Kinderwunsch, der sie ständig unter Druck setzte. In einem Streit warf er ihr sogar die Schuld der beiden Kinder vor. Und seine Unmäßigkeit und auch das mangelnde medizinische Wissen wurde ihr schließlich zum Verhängnis.
    Ich glaube ich muß nicht näher erläutern auf wessen Seite meine Sympathie liegt. Da hilft mir auch seine liebevolle Art zu Sophies Tochter, der er gerne Geschichten erzählte, nicht weiter.
    Das Buch ist sehr gut recherchiert. Ich bin mit durch die Heidelberger Straßen gewandelt, erkannte einiges wieder, das es auch heute noch gibt. Auch freute mich der Ausflug nach Mannheim zum Theater. Erheiternd die Szene mit dem Mietkutscher, dem Anna-Louise Jordan den Mannheimer Dialekt erstaunlich gut (in bestem Hochdeutsch) in den Mund gelegt hat. :applause: Überhaupt viel Lokalkolorit verleiht dem Buch Flair. Die Begegnung mit vielen bekannten Persönlichkeiten war interessant.
    Insgesamt ein sehr gelungenes Buch, das mir Sophie Mereau und Clemens Brentano näher brachte, mich oft in Gedanken versinken ließ und zahlreiche Einblicke von damals in meine Heimat gewährte. Das alles in angenehmem Erzählton und ohne heftiges Liebesgeflüster. Ich hoffe die Autorin beglückt mich noch öfters. :lol:
    Daher von mir :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:


    €nigma danke für die tolle Empfehlung!!!


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Elke Vesper, Schreckliche Maria

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









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    Einmal editiert, zuletzt von Wirbelwind ()

  • Es freut mich, dass Dir das Buch auch gefallen hat.

    Um so unverständlicher für mich, dass sie Clemens Brentano geheiratet hat. Sie kannte seine "zwei" Seiten, seine Launenhaftigkeit, seine aufbrausende Art. Die Frage ob sie ihn auch geheiratet hätte ohne schwanger zu sein bleibt im Raum stehen.

    Das war für mich auch die zentrale Frage.


    Erheiternd die Szene mit dem Mietkutscher, dem Anna-Louise Jordan den Mannheimer Dialekt erstaunlich gut (in bestem Hochdeutsch) in den Mund gelegt hat. :applause: Überhaupt viel Lokalkolorit verleiht dem Buch Flair.

    Da ich nie in Mannheim war und auch in Heidelberg nur ein einziges Wochenende verbracht habe, ist mir da sicherlich Einiges entgangen.

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    (Francis Bacon)
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  • €nigma
    Heute gilt Mannheim als Industriestadt, aber es war einmal sehr schön. Ich betrachte mir oft Bildbände mit alten Fotos. An manches kann ich mich noch als kleines Kind erinnern. Aber weniges hat überlebt und es gibt heute noch so manch schönes Plätzchen. Das Theater aus Schillers Zeiten existriert nicht mehr, aber Gedenktafeln und der Platz erinnern noch daran.
    Heidelberg blieb vom Krieg nahezu verschont, und so kann man einigen Straßen etc. folgen, die im Buch beschrieben werden. Das Schloß blickt immer noch auf die Stadt, und der Blick von dort läßt so manchen Romantiker jubeln. Heidelberg lädt ein zum Bummeln und genießen. Durch das Buch hat sich für mich erneut ein Fenster geöffnet.


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Elke Vesper, Schreckliche Maria

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • An manches kann ich mich noch als kleines Kind erinnern.

    Hast Du immer in M. gewohnt?


    Heidelberg blieb vom Krieg nahezu verschont,

    Heidelberg hat mir sehr gut gefallen. Wir waren 1987 für ein Wochenende da, als mein Cousin noch dort wohnte. Aber die Zeit war zu knapp um viel zu sehen und das Buch hatte ich seinerzeit auch noch nicht gelesen... :wink:
    Aber das wäre direkt ein Ziel, das man mal wieder ansteuern sollte.

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  • Hast Du immer in M. gewohnt?


    Ja, nicht in der Innenstadt, aber in den Vororten - waschechte Mannheimerin. So jetzt weiß auch der Rest wo ich wohne. :lol:
    Von Mannheim und Heidelberg sind auch die Weihnachtsmärkte sehr schön! Und natürlich sollte man auch die Umgebung besuchen wie im Buch beschrieben - Schwetzingen, Ladenburg und nicht zu vergessen die nur wenige Minuten entfernte Pfalz - Weingebiet.
    Von Heidelberg aus kann man sehr schöne Ausflüge per Schiff machen, den Neckar entlang.
    So Werbung beendet, haha.


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


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    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Danke für Eure Meinungen zum Buch. Wenn mein SuB nicht so hoch wäre, würde ich ja sofort meinen Klickfinger aktiv werden lassen. Aber so kommt das Buch erst einmal auf den Wunschzettel.


    Wirbelwind
    Sollte ich Mannheim doch bei meinen Umzugsplänen berücksichtigen? :-k

  • Sollte ich Mannheim doch bei meinen Umzugsplänen berücksichtigen?


    Ja wäre doch ne schöne Alternative. :lol:


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


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    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Ich habe mich von dem Buch ganz schön mitreißen lassen und war selten so sauer auf eine der Hauptpersonen, auf Brentano nämlich. Und wenn ich mal einen Schritt zurücktrete, heißt das vermutlich, dass es die Autorin sehr gut geschafft hat, eine realistische, auch historische entsprechende Atmosphäre zu schaffen, die eben mitreißt.


    Was mir sonst noch zum Buch eingefallen ist, gibt's in der Dezember-Ausgabe (Online ausführlich, Print nur ganz knapp) der Emotion nachzulesen.

    "Was immer geschieht: Nie dürft Ihr so tief sinken,
    von dem Kakao, durch den man Euch zieht, auch noch zu trinken!"
    (Erich Kästner)