Sue Roe - Das private Leben der Impressionisten

  • Klappentext:
    Dieses Buch erzählt, wie die Impressionisten zueinander fanden. Es erzählt ihre Lebens- und Liebesgeschichten und handelt von ihren Eigenarten sowie von den Themen und der Entwicklung ihrer Kunst. Es konzentriert sich dabei auf die 26 Jahre zwischen ihrer ersten Begegnung und jenem entscheidenden Moment im Jahre 1886, als der Kunsthändler Paul Durand-Ruel ihre Werke in New York präsentierte.

    Zur Autorin (von Amazon kopiert):
    Sue Roe, Literaturwissenschaftlerin, Autorin, Lyrikerin, Essayistin und Herausgeberin lebt in Brighton.


    Allgemeines:
    Originaltitel: The Private Lives of the Impressionists
    aus dem Englischen übersetzt von Dominik Fehrmann
    417 Seiten in 7 Teilen, untergliedert in insgesamt 16 Kapitel, Prolog, Epilog und Anhang (Auflistung heutiger Preise für die Gemälde, Fußnoten, Personenregister, Literaturliste).


    Inhalt:
    In konsequenter Chronologie, verbunden mit den politischen Ereignissen und gesellschaftlichen Veränderungen, schildert die Autorin die künstlerischen und privaten Biographien der wichtigsten Maler des Impressionismus, behält ca. 10 Personen detailliert im Auge und lässt vereinzelt die Schicksale weiterer Maler dort erscheinen, wo sie die Gruppe punktuell berühren.


    Eigene Meinung:
    Eine gekonnte Mischung aus einem kunsthistorischen Sachbuch und einer romanhaften Biographiensammlung. Roe beginnt ihre Darstellung im Jahr 1860, als Claude Monet nach Paris kommt, um Malerei zu studieren. Nur mit dem Besuch einer privaten oder staatlichen Kunstschule und dem Studium, bzw. dem Kopieren der alten Meister konnte man ein Maler werden, der gesellschaftlich anerkannt wurde und dessen Bilder sich verkauften. Doch Monet und anderen aufstrebenden Malerlehrlingen genügt das nicht; sie wollen ausdrücken, was sie sehen und empfinden. Eine Revolution bahnt sich an, und weil einer allein keinen Umsturz durchziehen kann, schließen sich die von den etablierten Salon-Verantwortlichen verfehmten Künstler zusammen (Salon = DIE jährliche Pariser Kunstausstellung, die über Erfolg oder Misserfolg eines Malers entschied). Und wie immer am Beginn einer radikalen Neubesinnung werden die Denker der ersten Stunde mit Gehässigkeit und Spott übergossen. Von Medien, Kunstkritikern und dem Publikum.


    Neben der "Nur-gemeinsam-sind-wir-stark"-Einstellung wird die Gruppe auch von den persönlichen fürsorglichen Beziehungen ihrer Mitglieder getragen: Man teilt Wohnung oder Atelier miteinander; wer Geld besitzt oder verdient, unterhält die anderen samt ihren Familien; man malt Staffelei neben Staffelei am selben Motiv.
    Die politischen Zeiten sind schlecht, Frankreich liegt im Krieg gegen Preußen, Paris wird zerstört und belagert, Hungersnot und Inflation folgen.


    Von den ersten wirkungslosen, hämisch kommentierten Ausstellungen in Paris bis zum Durchbruch mit einer Bilderpräsentation 1886 in New York spannt die Autorin den Bogen, verfolgt Familiengründungen, Umzüge und Alltag der bekanntesten Maler aufs Genaueste, erzählt von der Entstehung bestimmer Gemälde und ihrem Verkauf und flicht Begegnungen mit anderen Größen der Zeit ein (Zola, Antonin Proust, Gambetta, u.a.).
    Nach dem Tod Manets 1883 und wegen der unterschiedlichen Auffassungen, sich neuen Malern (z.B. Gauguin) und neuen Strömungen zu öffnen oder nicht, sowie wegen des ungleichen künstlerischen Triumphs und kommerziellen Gewinns, zerbrach die Gruppe, so dass fortan jeder für sich kämpfte, malte, litt und verdiente.


    Auch wenn ich schon einige Monographien über Maler des Impressionismus gelesen habe, hat mich das Buch mit einer Fülle an neuen Informationen überrascht, weil vor allem die Persönlichkeit, die Stärken und Schwächen der Einzelnen dem Leser näher kommen. Die vielen Einzelheiten (z.B. wer wann wohin seine Wohnung, sein Atelier verlegte, wer wann wieviele Bilder an wen verkaufte, usw.) zollt die Autorin eher der wissenschaftlichen Genauigkeit als dem Gedächtnis des Lesers.
    Lesen ohne Unterbrechungen ist nicht möglich, weil das Buch nur wenige Drucke der ausführlich besprochenen Werke, die Hälfte nur in Schwarz-Weiß, enthält. Um wirklichen Nutzen aus den Besprechungen zu ziehen, muss man mit Google oder einem Stapel Kunstbände zur Seite lesen. Ich vermute, dass es sich bei der Aufmachung des Buches um einen Kompromiss in Sachen Preis-Leistungs-Verhältnis handelt.


    Fazit:
    Wer sich für den Impressionismus und seine Protagonisten interessiert und eine Überfülle an Material nicht scheut, kommt an diesem Buch kaum vorbei und erfreut sich während und nach der Lektüre an einem unvergleichlichen Wissen.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)